Der VfB-Trainer Pellegrino Matarazzo schielt noch nach oben – auf Platz zwei. Foto: dpa/Uli Deck

Beim VfB Stuttgart spürt der Trainer Pellegrino Matarazzo immer mehr den Druck im Aufstiegsrennen. Doch vor dem Heimspiel gegen den SV Sandhausen begegnet er diesem auf seine ganz eigene Art.

Stuttgart - Pellegrino Matarazzo mag es nicht, reduziert zu werden. Auf den Analytiker, den Mathematiker für den Fußball reine Kopfsache ist. Vielmehr stecken für den Trainer des VfB Stuttgart pure Emotionen in diesem Spiel. Wenn man so will, ist Fußball für ihn eine Herzensangelegenheit. Schließlich hat sich der Italoamerikaner nach seinem Studium in New York dazu entschieden, nicht im feinen Zwirn als Investmentbanker in einem Bürohochhaus zu arbeiten, sondern mit Stollen an den Kickschuhen im Profisport.

Ergebnisse müssen in beiden Branchen geliefert werden, und Matarazzo ist dann ja den beschwerlichen Weg über die Niederungen der deutschen Fußballprovinz gegangen. Er hat sich als Spieler durchgekämpft und als Trainer hochgearbeitet – bis zu der großen Chance beim VfB. Und jetzt, in der wohl schwierigsten Situation seiner bisherigen Laufbahn als Coach, ist der 42-Jährige nicht gewillt, diese Möglichkeit so einfach herzugeben. Selbst wenn es nach der Niederlage beim Karlsruher SC so wirkte, als er enttäuscht auf der Bank saß.

Die Stunde des Kämpfers schlägt

„Nach diesem Rückschlag müssen wir wieder aufstehen. Es geht darum, dass wir uns mit aller Macht wehren, um den Widrigkeiten eines Spiels zu trotzen – und das werden wir auch tun“, sagt Matarazzo vor der Heimpartie an diesem Mittwoch (18.30 Uhr) gegen den SV Sandhausen. Für den VfB-Trainer schlägt also nicht die Stunde des Strategen, sondern die Stunde des Kämpfers. Nur: Ähnliche Aussagen gab es in den vergangenen Wochen öfters – und doch ist die Mannschaft aus der Fassung geraten, und Matarazzo hat sie nicht mehr fixiert bekommen. Die Stuttgarter spielen verängstigt, wirken leidenschaftslos, und kein Spieler offenbart die nötigen Führungsqualitäten, um das Spiel an sich und die Mitspieler mitzureißen.

Weshalb sich nun die Frage stellt, ob es Matarazzo noch einmal schafft, die Stuttgarter zu motivieren; sie aus dem spielerischen und emotionalen Loch herauszuführen. Als er seinen Job im Januar antrat, da ist es Matarazzo gelungen. Er bildete mit seiner Sachlichkeit den Gegenpart zum wilden Tim Walter, der sich weder um die Gegner scherte noch um die vielen gut gemeinten Ratschläge, die ihn intern ereilten.

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Doch nur ein halbes Jahr später weist Walter mittlerweile den besseren Punkteschnitt als sein Vorgänger auf: 1,7 der eine bei 18 Spielen (31 Punkte, fünf Niederlagen), 1,6 der andere bei 13 Spielen (21 Punkte, vier Niederlagen). Nach Sven Mislintats Rechnung ist beides zu wenig. Einen Punkteschnitt von zwei hat der Sportdirektor stets vorgegeben, um möglichst sicher aufsteigen zu können. Dennoch hat er den Vertrag mit Matarazzo vorzeitig um ein Jahr verlängert. Weil Mislintat überzeugt davon ist, dass sich die Mannschaft in guten Händen befindet.

Der Sportdirektor schätzt die saubere handwerkliche Arbeit des Trainers, sein Analysevermögen und seine Kommunikationsfähigkeit. Die Kritik am Zeitpunkt dieser Entscheidung ist jedoch seither nicht verstummt. Vielmehr nimmt das Rumoren zu, da es in drei wichtigen Beurteilungsbereichen keine sichtbaren Fortschritte gibt. Die Entwicklung der Mannschaft stagniert in weiten Teilen, die aktuelle Spielqualität lässt zu wünschen übrig und die Ergebnisse passen nicht.

Keine Witze in der Mannschaftssitzung

Der Druck auf Trainer und Team ist so vor den drei ausstehenden Ligaspielen und der möglichen Relegation immens gestiegen. Die Dimension der Aufgabe, so sehr sie auch reizen mag, ist nun deutlich spürbar. Ob sie dem sanften Riesen aus New Jersey über den Kopf wächst, ist nun eine spannende Frage. Matarazzo will der Herausforderung jedenfalls mit einem Schuss Lockerheit begegnen.

„Wir wollen wieder den Spaß am Fußballspielen finden“, sagt der Coach. Mit der Spielfreude soll auch der Mut zurückkehren, der den Stuttgartern in den vergangenen Begegnungen gefehlt hat. „Wir haben eine andere Form der Ansprache gewählt“, sagt Matarazzo. Wie diese aussah und sich anhörte, bleibt jedoch sein Betriebsgeheimnis. Nur so viel: Sie dauerte länger als sonst. Es wurden jedoch weder Witze erzählt noch Lieder gesungen.

Matarazzo bleibt ein Mann, der sich inhaltlich ausrichtet. Er sucht die stabilste Elf und Räume auf dem Feld, die einen Sieg ermöglichen. Dass er dies vor dem 32. Spieltag nach einer Derbypleite tun muss, macht die Sache nicht einfacher. Der Trainer, der sich seiner Wirkung bewusst ist und über Emotionskontrolle referieren kann, hat sich nach dem Auftritt im Wildparkstadion jedenfalls wieder gestrafft.

Klar, er war frustriert. Er wollte insgesamt jedoch keine zusätzliche Hektik von außen auf das Spielfeld transportieren. Nun geht es Matarazzo darum, ermutigende Signale an die Spieler auszusenden. „Man muss die Lockerheit selbst verkörpern“, sagt der Trainer. Ob dies reicht, um die bei nahezu jedem VfB-Profi fehlenden Prozentpunkte an Leistungsvermögen wieder herauszukitzeln, wird sich zeigen.