Pellegrino Matarazzo hört gut zu, wenn ihm die Spieler etwas mitteilen. Der VfB-Trainer hat im Interview aber auch selbst einiges zu sagen. Foto: Baumann

Pellegrino Matarazzo, der Trainer des VfB Stuttgart, spricht vor dem Saisonstart gegen den SC Freiburg über die Showbühne Bundesliga, sein Verhältnis zu Sportdirektor Sven Mislintat und die neue Spielergeneration.

Stuttgart - Der VfB Stuttgart steht vor einer herausfordernden Saison. Pellegrino Matarazzo ist das bewusst – und der Trainer des Fußball-Bundesligisten erklärt im Interview, warum nicht zu viel Druck auf der jungen Mannschaft lasten sollte, um sie zu meistern.

 

Herr Matarazzo, das Klischee über einen typischen Amerikaner beinhaltet, dass dieser ein lauter Showman ist. Sie wirken ganz anders. Besonnen und sachlich. Täuscht dieser Eindruck – oder stimmt das Klischee nicht?

Mit diesem Klischee will ich mich gar nicht so sehr auseinandersetzen. Aber Ihr Eindruck täuscht nicht: Ich bin kein Showman, und der Fußball ist für mich keine Bühne, um mich darzustellen. Ich arbeite lieber inhaltlich und betrachte die Spieler als die Hauptakteure. Ihnen gehört die Show.

Dennoch betreten Sie jetzt mit dem Heimspiel gegen den SC Freiburg die große Bundesligabühne. Muss der Fußballlehrer Matarazzo da mehr aus sich herausgehen als bisher?

Ich glaube nicht. Vielleicht gibt es nach dem Aufstieg nun eine noch größere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und ein weiter gesteigertes Medieninteresse am VfB und mir, aber die Arbeit mit der Mannschaft hat sich für mich durch den Aufstieg nicht verändert.

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In der Vorsaison schien es manchmal so, als seien Sie ein zu ruhiger Trainer.

Ich empfinde mich ganz und gar nicht als ruhig. Wenn die Fernsehkameras und Mikrofone permanent auf mich gerichtet wären, würden sie aufnehmen, dass ich sehr viel kommuniziere und häufig versuche, Einfluss auf das Spiel zu nehmen. Immer abhängig davon, was in der jeweiligen Situation notwendig ist, um der Mannschaft zu helfen und um erfolgreich zu sein.

Was ist notwendig?

Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Zuletzt in Rostock hat man wieder gemerkt, wie schwierig es ist, die Spieler verbal zu erreichen, wenn Zuschauer im Stadion sind – und in Rostock während des DFB-Pokalspiels waren es nur 7500. Also nutze ich sämtliche Möglichkeiten der Kommunikation. Ich betrachte mich als aktiven Trainer: Ich rede, ich steuere, ich bereite Szenen für die Halbzeit vor. Das muss aber nicht jedes Mal über die Lautstärke reguliert werden. Ich mache, was ich für sinnvoll erachte.

Sie haben in der Endphase der Vorsaison den Satz geprägt: Wer Mut von seiner Mannschaft verlangt, darf selbst kein Angsthase sein. Lässt sich dieser Vorsatz in der Bundesliga weiter umsetzen, wenn es ständig um die sportliche Abwägung geht: Wie viel Sicherheit muss sein und wie viel Risiko darf sein?

Grundsätzlich ist mir die Bewertung von Außenstehenden nicht so wichtig, wenn ich von einer Herangehensweise überzeugt bin. Wenn ich die Chance sehe, ein Spiel zu gewinnen, dann werde ich die entsprechenden Entscheidungen treffen. Ganz gleich, ob sie personeller oder taktischer Natur sind, und ganz gleich, ob die Maßnahmen im Gegensatz zu den Meinungen vieler anderer Menschen stehen.

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Verfügt der VfB denn über eine mutige Mannschaft?

Wir verfügen auf jeden Fall über eine junge Mannschaft. Sie ist frisch und kann frech aufspielen. Vielleicht lassen sich diese Eigenschaften mit Mut gleichsetzen. Wie viel Angst in der Mannschaft steckt, kann ich derzeit noch nicht beantworten.

Es gibt Skeptiker, die glauben, dass der VfB-Kader nicht stark genug für die erste Liga sei, auch aufgrund der vielen Verletzten. Ist das Team gut gerüstet für den Saisonstart?

Ja. Zumal ich ohnehin nicht glaube, dass es darum geht, verletzte Spieler eins zu eins zu ersetzen. Ein Nicolas Gonzalez lässt sich nicht einfach ersetzen, da er über ganz bestimmte Qualitäten verfügt. Die Aufgabe lautet vielmehr, es hinzubekommen, dass diejenigen Spieler, die für andere einspringen, sich mit ihren jeweiligen Stärken gut in die Mannschaft einbringen können.

Nach dem Ausfall von Gonzalez, der viele Wochen fehlen wird, sind Sie also nicht auf den Verein zugegangen und haben einen neuen Stürmer gefordert?

Nein. Ich befinde mich mit Sportvorstand Thomas Hitzlsperger und Sportdirektor Sven Mislintat im ständigen Austausch über unsere Spieler und Möglichkeiten – und dabei geht es nicht darum, was ich mir wünsche, sondern darum, was realistisch ist. Ich weiß, welche Forderungen ich stellen kann und welche nicht.

Es gibt Stimmen, die meinen, dass Sven Mislintat, sich nicht nur stark mit Ideen und Transfers einbringt, sondern sich auch in ihren Kompetenzbereich einmischt. Stimmt das?

Nein, natürlich nicht. Ich habe alle Freiheiten, um zu entscheiden. Dennoch ist es mir wichtig, immer wieder auch Svens Meinung zu hören. Außer von den Mitgliedern aus dem Trainerteam frage ich in diesem Zusammenhang noch die Meinung von ein, zwei anderen Personen ab.

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Wie viel Verantwortung spüren Sie für die Entwicklung eines Traditionsvereins, der viele Menschen in der Region bewegt, den finanzielle Probleme plagen und der darum kämpft, sich wieder in der Bundesliga zu behaupten?

Sicherlich ist das eine sehr große Verantwortung. Das ist mir bewusst, seit ich im vergangenen Januar beim VfB angefangen habe. Deshalb gehe ich meine Arbeit mit der größtmöglichen Ernsthaftigkeit an. Ich mache mich durch diese Konstellation aber nicht verrückt.

Ist das hohe Verantwortungsbewusstsein, das Sie in sich tragen, auch in der Mannschaft verankert – oder ist es sogar besser, dass sich die vielen jungen Spieler gar keinen Kopf machen und möglichst unbeschwert aufspielen?

Das ist eine gute Frage, und ich glaube, dass die Spieler den Druck nicht zu sehr spüren sollten. Mir ist wichtig, dass sie gewinnen wollen und wissen, was sie dafür tun müssen.

Sie haben als früherer Nachwuchscoach schon lange mit jungen Spielern zu tun. Wie sehen Sie die neue Spielergeneration mit all der Professionalität der Nachwuchsakademien einerseits und all den Ablenkungen durch die sozialen Netzwerke andererseits?

Das ist ein komplexes Thema. Einfach ausgedrückt, bin ich überzeugt, dass die jungen Spieler mit der Situation generell gut zurechtkommen, weil wir Menschen Adaptionstiere sind. Sie wachsen mit all den Möglichkeiten auf. Die entscheidende Frage für mich ist jedoch, ob sie es schaffen, sich auf ihren Beruf zu fokussieren und die Bereitschaft mitbringen, alles Notwendige dafür zu tun.

Ist das ein schwieriger Lernprozess?

Ja, denn wir können die heutige Spielergeneration nicht einfach auf unser älteres Wertesystem umerziehen. Sie braucht ihre Freiräume. Wir benötigen deshalb ein gemeinsames Wertesystem, das sowohl für den Profisport funktioniert als auch im Mannschaftskreis. Ich spreche deshalb zum Beispiel kein generelles Handyverbot in der Kabine aus. Es gilt aber die Regel, dass kein Handy dabei ist, wenn die Spieler bei einer Maßnahme sind – ganz gleich, ob sie auf der Massagebank liegen, ein Eisbad nehmen oder im Kraftraum schwitzen. Da sollen sie sich voll auf ihren Körper konzentrieren, da dulde ich keine Ablenkung.

Haben Sie genügend dieser Typen in der Mannschaft, die erfolgsgierig sind?

Ja, und es werden immer mehr.

Haben Sie auch ausreichend Führungsspieler im Team?

Ich bin der Überzeugung, dass alle elf Spieler auf dem Platz Verantwortung übernehmen sollten. Deshalb habe ich in Gonzalo Castro auch nur den Kapitän bestimmt und keinen Stellvertreter. Sollte Gonzo einmal nicht auf dem Feld stehen, kann grundsätzlich jeder andere die Spielführerbinde tragen. Ich werde dann anhand der Eigenschaften, die jeweils gefordert sind, bestimmen, wer die Binde trägt.

Wie darf man sich das vorstellen?

Wenn wir zum Beispiel eine gewisse Härte und Emotionalität benötigen, kann es gut sein, dass Marc Oliver Kempf die Kapitänsbinde für eine Partie bekommt. Wenn mehr Kreativität und Lockerheit gefragt sein sollten, dann erhält sie womöglich Daniel Didavi. Wenn wir einen disziplinierten Mannschaftsspieler an der Spitze brauchen sollten, dann bekommt am ehesten Wataru Endo die Binde. Und es gibt noch weitere Spieler im Kader, die die notwendigen Eigenschaften mitbringen.