Der Mühlkanal war einst der Motor der gewerblichen Entwicklung in der Kommune. Bis heute gewinnt die Kunstmühle Schuler einen Großteil ihres Strombedarfs durch Wasserkraft.
Süßen - Bis zu 60 Prozent des Energiebedarfs deckt die Kunstmühle Schuler durch Wasserkraft“, erklärt Bettina Schuler. Manchmal, wenn der Mühlkanal wenig Wasser führe, seien es nur 40 Prozent. „Im Sommer reicht es nicht ganz aus“, sagt die Geschäftsführerin der Mühle. Die Süßener Firma leitet das Wasser des Kanals auf zwei Turbinen, die Strom erzeugen. Süßen gehört zu den wenigen Kommunen, in denen ein Mühlkanal noch offen durch den Ort fließt. Damit ist ein hoher Aufwand verbunden, etwa beim Hochwasserschutz. Der Wasserlauf bedeutet aber auch Lebensqualität. Zum Beispiel ist die Zehntscheuer, die am Kanal liegt, ein beliebter Veranstaltungsort. Mit Kultur hatten die Anfänge nichts zu tun. Der künstliche Wasserlauf war Motor des Gewerbes und der Industrialisierung in Süßen.
Um den Strom nicht im Netz einkaufen zu müssen, möchte Bettina Schuler ihre Energielücke mit Sonnenenergie decken. Sie plant, Solarzellen aufs Dach zu setzen.
Bauern aus der Umgebung beliefern die Schulermühle
In die Annahmegasse liefern Landwirte Weizen und Dinkel. Sie fahren über eine Waage, dann zur Stelle, an der das Getreide ausgekippt wird. Das Korn wird gereinigt und kommt ins Silo. Die Bauern, die die Schulermühle beliefern, kommen aus der Umgebung, berichtet die Geschäftsführerin: aus dem Filstal, dem Remstal, von der Alb. Juli/August ist Erntezeit, Hauptsaison bei der Annahme. Bettina Schuler hat den Eindruck, dass in diesem Jahr in der Region die Getreideernte ganz ordentlich ausfällt.
Die 31-Jährige ist seit Mitte 2019 als geschäftsführende Gesellschafterin in den Familienbetrieb eingestiegen. Weitere Geschäftsführer sind ihr Vater Rainer und ihr Onkel Georg Schuler. Die Familie betreibt die Mühle in der fünften Generation. Die Geschäftsführerin möchte dem Betrieb neue Impulse geben.
Zu Beginn des Rundgangs führt sie auf die Nordseite des Geländes. Ein schmaler Eisensteg überbrückt den Mühlkanal zum „Ziergarten“. Hier ist von einem Handwerksbetrieb wenig zu bemerken. Das verwilderte Grün am Wasserlauf wirkt idyllisch: Büsche, Bäume, eine Grillstelle. Schuler möchte den Platz ab Herbst etwas umgestalten, um ihn besser nutzen zu können. Ihr schwebt vor, den Außenbereich eines Mühlencafés anzulegen.
Eine Vielzahl von Röhren saugt das Mehl ins dritte Stockwerk
Im Innern der Kunstmühle, die sieben Mitarbeiter beschäftigt, ist es weniger idyllisch, eher laut. Im Erdgeschoss drehen sich die Walzen von neun grün-lackierten Mühlen. Bettina Schuler öffnet das erste Mahlwerk. Hier fällt vor allem Weizenschrot an, aber auch schon feinere Mehle in kleinen Mengen. Damit nichts verloren geht, saugen eine Vielzahl von Röhren das Mehl ins dritte Stockwerk. Aus etwa 60 Tonnen Getreide können so etwa 50 Tonnen Mehl gewonnen werden. Die Spreu findet ebenfalls ihren Markt – als Viehfutter.
Ein enger Industrieaufzug fährt in den dritten Stock. Dort stehen Siebmaschinen und trennen das Mehl je nach Feinheitsgrad. Jetzt kann es weiter gemahlen oder abgepackt werden. Wieder fließt das Mahlgut durch Röhren – zurück zu den Mühlen oder zur Packstation.
Die Reinheit des Mehls wird kontrolliert
Zur Produktion gehört auch eine Maschine, die die Reinheit des Mehls kontrolliert. Pilze wie Mutterkorn oder fremde Pflanzen wie Raps werden aussortiert, erläutert Bettina Schuler. Dazu werden Kameras mit Infrarottechnik eingesetzt. Es sei hier die modernste Maschine. Im mittleren Stockwerk wird Mehl abgefüllt. „Absacken“ nennt dies Schuler. Hier stehen 25-Kilogramm-Säcke. Es gibt aber auch Papierbeutel, die 2,5 Kilogramm Mehl fassen, das ist die kleinste Einheit für Schuler-Produkte. Das wird sich aber ändern. Die Chefin ist dabei, Design und Packungsgrößen zu überarbeiten. Das hängt mit ihren Plänen zusammen, einen Mühlenladen einzurichten.
Bisher geht das Mehl aus Süßen vor allem an Zwischenhändler von Gastronomen, Bäcker und Konditoren. Fertiges Mehl hat im Winter Hauptsaison. Bäcker und Gastwirte haben zur Advents- und Weihnachtszeit den größten Bedarf. Gemahlen wird aber das ganze Jahr über. Laut Schuler produziert die Kunstmühle an die 10 000 Tonnen Mehl.
Die Mühle hat auch einen Werksverkauf
In Supermarktregalen steht bisher kein Schulermehl. Die Mühle hat aber auch einen Werksverkauf. Privatkunden können Packungen, die 2,5 Kilogramm Mehl fassen, unter der Woche kaufen. Diese Möglichkeit war im März und April für die, die davon wussten, eine gute Möglichkeit, trotz Engpässen in den Supermärkten an Mehl zu kommen. Den Verkauf ab Werk möchte Bettina Schuler ausweiten. Deswegen die neuen Verpackungen. Das Konzept für den Mühlenladen soll in diesem Herbst entwickelt werden. Dort sollen Produkte verkauft werden, „die zum Mehl passen“ – zum Beispiel Waren von Bauern, die bei ihr Getreide abliefern.
Mit ihren Ideen möchte die junge Geschäftsführerin die Kunstmühle in die Zukunft steuern. Bettina Schuler will auf neue Trends reagieren. Neben dem feinen Weizen- und Dinkelmehl soll auch Schrot verkauft werden, weil häufiger mit gröberer Körnung gebacken wird. Von der Entwicklung könnte auch die Stadt Süßen profitieren, da der Flecken zwischen Mühlkanal und Fils eine zusätzliche Aufenthaltsqualität erhalten wird.
Geschichte: Als Mühlsteine durch Walzen ersetzt wurden
Die Kunstmühle Schuler am Süßener Mühlkanal ging aus zahlreichen Umbauten, Erweiterungen und Besitzerwechseln hervor, heißt es auf der Homepage „Industriekultur im Filstal“ des Verbands Region Stuttgart. Magnus Schuler kaufte im Jahr 1890 die Kunstmühle. Robert Schuler vereinigte im Jahr 1917 die obere und untere Mühle zu einem Betrieb.
Der Name Kunstmühle hat nichts mit den schönen Künsten, sondern mit der Ingenieurskunst zu tun, mit technischen Verbesserungen. Mühlsteine, die sich waagrecht drehen, wurden durch Walzen ersetzt, die sich vertikal drehen. Das Korn wird zwischen den Walzen gemahlen, wobei sich die Walzen gegenläufig oder gleichläufig drehen können. Mühlen, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts diese Innovation einführten, durften sich Kunstmühlen nennen, erläutert Geschäftsführerin Bettina Schuler.