Frühestens in einem Jahr wird der neue Pächter des Gasthauses Gäste bewirten können. Foto: factum/Simon Granville

Der Gemeinderat wollte in einem mehrstufigen Verfahren den neuen Pächter des Traditionsgasthauses auswählen. Ein dreimonatiger Suchlauf blieb ohne Ergebnis. Der nächste Vermarktungsversuch hat begonnen.

Sindelfingen - Das legendäre Fußballerzitat des Bayern-Stürmers Jürgen Wegmann passt auf das zumindest in Sindelfingen nicht weniger legendäre Wirtshaus: „Erst hatten wir kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu.“ Beim Versuch der Wiederbelebung des historischen Gasthauses Hirsch haben die Stadtoberen auf Glück gehofft, reichlich Spielzeit mit Ballgeschiebe verstreichen lassen, nun müssen sie in die Verlängerung.

Eigentlich sollte in diesen Tagen der Name eines neuen Pächters für das Traditionslokal veröffentlicht werden. Stattdessen gab der Bürgermeister Christian Gangl bekannt, dass zu wenige Wirte Interesse gehabt hätten. Eine eigens gegründete Arbeitsgruppe sollte aus einer Bewerberschar eine Vorauswahl treffen, letztlich der Gemeinderat entscheiden, welcher Kandidat der geeignetste wäre. Ursprünglich sollte die Bewerbungsfrist am 8. April enden. Sie wurde bis Ende Juni verlängert. Statt einer Schar stellten sich am Ende des dreimonatigen Suchlaufs zwei Interessenten vor. Diese rechnerische Minimalauswahl „war keine ausreichende Basis“ für eine Ratsentscheidung, sagt Gangl. Der Hirsch wird erneut angeboten, mit Zeitungsanzeigen und im Internet.

Mindestens seit 1711 wird an der Adresse Bier ausgeschenkt

Dass sich – ungewöhnlich genug – Politiker mit einem Gasthof beschäftigen, begründet sich mit der Geschichte des Hirschen. Mindestens seit 1711 wird zwischen Ziegelstraße und Martinskirche Bier ausgeschenkt. Der Ur-Hirsch brannte ab, sein Nachfolger wurde 1865 erbaut. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Keller des Hauses mit Jazzkonzerten zum Zentrum des Nachtlebens. In den Sechzigern scheiterte ein Abrissplan am wütenden Widerstand der Sindelfinger.

450 Quadratmeter Gesamtfläche sind im Angebot, denkmalgeschützt, aber mit der Aussicht auf eine Vollsanierung bis zur Schlüsselübergabe. Gut eine Million Euro will die Stadt investieren, um dem alten Haus zu neuem Glanz zu verhelfen. Der künftige Pächter wird bei der Innenarchitektur mitsprechen und in einem großen Biergarten bewirten dürfen. Alles, was fest eingebaut ist, einschließlich Möbel und Leuchten, soll ebenfalls mit Steuergeld bezahlt werden. Eine viereinhalb Zimmer große Pächterwohnung gehört zum Angebot. Überdies dürfe der künftige Betreiber sich „fairer Pachtkonditionen“ und einer provisionsfreie Übernahme erfreuen.

„Der Markt ist im Moment nicht ganz einfach“

„Der Markt ist im Moment nicht ganz einfach“, sagt Ulrich Riedel. Er ist Geschäftsführer der in Reutlingen ansässigen GEM GmbH. Die Stadt Sindelfingen hat das Unternehmen mit der Vermarktung des Hirschen beauftragt. GEM beschäftigt sich mit so gut wie allen Dienstleistungen rund um Gastronomie und Hotellerie. Neben der Vermittlung steht ausdrücklich die „Revitalisierung“ im Portfolio. Dass ein Wirtshaus zwei- oder sogar dreimal ausgeschrieben werden müsse, bis Pächter und Verpächter zusammenkommen, „ist überhaupt nichts Ungewöhnliches“, sagt Riedel. „Die richtigen Leute müssen zur richtigen Zeit frei sein“.

Diese richtige Zeit liegt in ferner Zukunft. Frühestens in einem Jahr soll die Sanierung beendet sein. Derzeit arbeitet die Stadt an einem Zeitplan. Im März 2018 hatte das Betreiberehepaar Giffhorn sein Inventar versteigert und war in den Ruhestand gegangen. Schon ein Jahr zuvor hatten die Wirte den Vertrag gekündigt. Die Stadtoberen mussten sich im Gemeinderat durchaus Kritik dafür anhören, dass zwischen Kündigung und Wiedereröffnung dreieinhalb Jahre vergehen sollen.

Laut Riedel ist der ferne Eröffnungstermin zumindest bei der Vermarktung keine Erschwernis. „Die Ausschreibungen sind häufiger so früh“, sagt er. Mancher Pächter winke ab, wenn er in einen Gastraum blickt, in dem Handwerker arbeiten. Andere seien begeistert, wenn sie bei der Gestaltung mitreden könnten. Letztlich werde die Vermarktung gelingen, meint Riedel, „glauben Sie mir, ich bin schon einige Jahrzehnte in der Branche“.