Das Mercedes-Museum ist eine beliebte Touristenattraktion. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Sicherheitsbedenken und die Terrorsituation sind die größten Hemmnisse für asiatische Reisende, derzeit nach Europa zu kommen. Bei Gästen aus China verzeichnet Stuttgart unter allen deutschen Großstädten das deutlichste Minus.

Stuttgart - Für 26 Prozent der Japaner sind Sicherheitsbedenken der wichtigste Grund, derzeit nicht nach Europa zu reisen. Und: 68 Prozent asiatischer Auslandsreisender haben im Oktober 2016 – also noch vor dem Anschlag in Berlin – erklärt, dass die Terrorsituation Einfluss auf ihre Reiseplanung habe. Die Folgen bekommt Stuttgart überraschend stark zu spüren.

Wurden im Jahr 2015 noch mehr als 72 000 Übernachtungen chinesischer Gäste in der Landeshauptstadt gezählt, waren es im vergangenen Jahr weniger als 62 500 – ein Minus von mehr als 13 Prozent. Damit bekommt Stuttgart die Zurückhaltung der Reisenden aus China unter den deutschen Großstädten besonders deutlich zu spüren. Zwar müssen sich die meisten Metropolen nach Jahren deutlich zweistelliger Zuwächse bei Gästen aus China mit einem einstelligen Plus zufriedengeben, ein mit Stuttgart vergleichbares Minus muss mit einem Rückgang von elf Prozent allein Dresden einstecken. Einzige Ausnahme vom Negativtrend ist Hamburg, dort wurde von Januar bis November 2016 ein Plus bei Übernachtungen chinesischer Gäste von rund 32 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet.

Diese Pille ist für den Stuttgarter Tourismus besonders bitter, da sich China in den Vorjahren fest unter den Top Drei der wichtigsten Herkunftsländer etabliert hatte. Zudem galt das Land als der Markt mit dem größten Wachstumspotenzial. Und: „Chinesen gehören mit durchschnittlichen Ausgaben von 2687 Euro pro Reise zu den konsumfreudigsten Touristen“, berichtet Petra Hedorfer, die Vorsitzende des Vorstandes der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT).

Chinesen sind sehr auf Sicherheit bedacht

Hedorfer erklärt, dass laut einer aktuellen Studie, dem World Travel Monitor, die Sicherheitsaffinität asiatischer Gäste generell höher sei als die anderer Reisender. „Wir haben dies bereits in den vergangenen Jahren feststellen können, etwa beim Ausbruch der Krankheit Sars.“ Weiter sagt Hedorfer: „Das Thema Sicherheit hat seit dem Jahr 2015 eine neue Dynamik erfahren, ausgehend von dem Anschlag auf Charlie Hebdo und den weiteren Ereignissen in Paris, Brüssel, Nizza, Istanbul und Berlin.“

Die Vorstandschefin der DZT verbreitet trotz allem Optimismus: Zwar habe sich das starke Wachstum der vergangenen zehn Jahre deutlich verlangsamt, trotzdem verzeichne man 2016 deutschlandweit immer noch ein Wachstum von 1,6 Prozent bei Reisenden aus China im Vergleich zu 2015.

Doch warum verzeichnet ausgerechnet Stuttgart einen derart deutlichen Rückgang bei Gästen aus Fernost? Warum trifft die Terrorangst der Chinesen Stuttgart härter als Hamburg, Frankfurt oder München? Die Stadt habe als starker Wirtschaftsstandort einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Geschäftsreisenden, erklärt Stuttgarts Tourismuschef Armin Dellnitz. „Durch diesen hohen Anteil an Geschäftsreisenden sind wir direkter von weltpolitischen Ereignissen betroffen als andere Städte“, sagt er.

Dellnitz folgert: „Die Zeit, in der wir jedes Jahr einfach einen deutlich zweistelligen Zuwachs bei Reisenden aus Asien eingeplant haben, ist vorbei.“ Weitere mögliche Erklärungen seien, dass Chinesen die im Schnitt hochpreisigeren Stuttgarter Hotels meiden und inzwischen eher im Umland übernachten, so Dellnitz weiter. Der Zuwachs bei Gästen aus China war in den vergangenen zehn Jahren in Stuttgart im Übrigen mehr als deutlich. Während 2006 noch rund 23 000 Übernachtungen gezählt wurden, waren es 2016 mehr als 62 000.

Touristen sind in der Regel vergesslich

Zur Gesamtsituation sagt Dellnitz: Touristen seien im Grunde recht vergesslich. Katastrophen würden nach einigen Wochen oder Monaten wieder verdrängt, die Zurückhaltung bei den betroffenen Reisezielen verliere sich rasch wieder. Doch in Sachen Terror haben sich die Ereignisse gehäuft. „Die Angst baut sich nicht mehr so rasch ab“, sagt er. Doch Dellnitz ist überzeugt: „Selbst wenn die Delle in der Statistik länger anhält – ich bin sicher, dass China für uns künftig der größte Wachstumsmarkt sein wird.“ Neben China verzeichnet Stuttgart bei Gästen aus dem arabischen Raum (-18,2 Prozent) sowie aus Russland (-14,9 Prozent) ein deutliches Minus. Offenbar schreckt die Angst vor Anschlägen gerade Menschen aus Ländern ab, in denen diese Ereignisse häufiger vorkommen als in Deutschland. „Was ich zu Hause an Sorgen habe, will ich speziell auf Reisen und im Urlaub hinter mir lassen“, mutmaßt Dellnitz.