Betriebsreise im Extremformat. Mehr als 2600 Mitarbeiter eines Kosmetikkonzerns aus China haben am Montag des Mercedes-Museum in Beschlag genommen. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Betriebsausflug XXL: Mehr als 2600 chinesische Mitarbeiter eines Kosmetikkonzerns machen Station in Stuttgart. Es handelt sich dabei um den größten Betriebsausflug, den Deutschland je erlebt hat.

Stuttgart/Metzingen - Eine nicht enden wollende Kolonne an Reisebussen, eine extrem komplexe Logistik und klingelnde Kassen in Luxusgeschäften. Die mutmaßlich größte Betriebsreise, die Deutschland bislang gesehen hat, hat am Montag in Stuttgart Station gemacht. Das Mercedes-Museum wurde dafür komplett gemietet. In Metzingen rechnen die Betreiber des Werksverkaufs mit mindestens zwei Millionen zusätzlichem Umsatz. Der Grund für den gigantischen Betriebsausflug: ein erhoffter Motivationsschub für die Belegschaft.

Eigentlich wollte der amerikanische Konzern Jeunesse seine gesamte chinesische Belegschaft als Belohnung und Anreiz für tüchtigen Einsatz auf Deutschlandtour schicken. Doch vor einer Reisegruppe mit mehr als 6000 Teilnehmern haben die Organisatoren kapituliert. Denn schon die mehr als 2600 Chinesen, die am Montag auf einen Schlag in Stuttgart angekommen sind, bedeuten nach Aussage der Stuttgarter Tourismusvermarkter das größte sogenannte Incentive, welches in Deutschland jemals stattgefunden hat.

Am Morgen wurde vor dem Museum ein zehn mal zehn Meter großes Banner der Beautyfirma ausgerollt. An den Fahnenmasten vor dem Bau in Bad Cannstatt weht das Konzernlogo im Wind. Alle Bildschirme im Inneren zeigen dasselbe Bild. Selbst die Aufzüge, die die Besucher in die Ausstellung bringen, werfen das Firmenzeichen des Kosmetikriesen an die Betonwände. „Das geht ja zu wie im Taubenschlag“, raunt einer der Sicherheitsleute seinem Kollegen zu.

Das gesamte Museum am Ruhetag gemietet

Eigentlich hat das Mercedes-Museum an Montagen geschlossen. Doch für die Riesenreisegruppe wurden die Tore eigens geöffnet. „Die Firma hat kurzerhand das gesamte Museum gemietet“, erzählt Stuttgarts Tourismuschef Armin Dellnitz. Wie viel das gekostet hat? Auf diese Frage will niemand antworten. Auch die Kosten für den kompletten Betriebsausflug werden nicht ausgeplaudert. Nur so viel: Einer der Organisatoren berichtet hinter vorgehaltener Hand: „Das bewegt sich locker im Millionen-Bereich.“ Und weiter: „Seien Sie sicher, für das Museum lohnt sich der Aufwand.“

Zunächst hat die Reisegruppe in Frankfurt Station gemacht – eine Bootsfahrt auf dem Main und ein Besuch in Heidelberg inklusive. Auf dem Weg nach München und zum Schloss Neuschwanstein stehen Stuttgart und Metzingen auf dem Programm. Knapp 70 Reisebusse transportieren die Gruppe quer durch Süddeutschland – sechs Tage Deutschland im Galopp.

Zur offiziellen Begrüßung der chinesischen Firmenchefs werden neben Dellnitz noch Alexandra Süß, die Geschäftsführerin des Museums sowie Jutta Benz, die Ur-Enkelin von Carl Benz, ins Foyer gerufen. Die drei werden von wie Popstars gefeiert. Als Begleitmusik für den obligatorischen Austausch von Visitenkarten und Geschenken rufen die Gäste ihr Firmenmotto wie einen Schlachtruf im Chor durchs Foyer des Museums – „One Team, One Family“. Am Ende muss Tourismuschef Dellnitz mit leicht rotem Kopf für Dutzende Selbstporträts mit den chinesischen Gästen Modell stehen.

Werbung für das Reiseziel Stuttgart

Dass der Tross in Stuttgart Station macht, wurde auf einer Touristikmesse in Las Vegas in den USA angebahnt. „Für uns ist dies das beste Marketing“, sagt Dellnitz. Denn seine Hoffnung ist klar. „Wenn wir uns als verlässlicher Partner in dieser Sache erweisen, werden wir in Zukunft wieder den Zuschlag für solche Reisen bekommen“, erklärt der Tourismuschef. Asien gilt in der Tourismusbranche als extrem wichtiger Markt. Erst vor Kurzem wurde in Stuttgart die Sorge laut, Reisende aus China könnten die Stadt aus Angst vor Smog und Feinstaub meiden.

Die Incentive genannten Belohnungsreisen für verdiente Mitarbeiter sind in Deutschland vorsichtig ausgedrückt aus der Mode gekommen. Verschiedene Versicherungskonzerne hatten Schlagzeilen gemacht, als es bei Reisen nach Jamaika oder Ungarn zu Sex-Orgien gekommen war. In China hingegen sind die Betriebsausflüge im XXL-Format gängiges Mittel zur Belohnung und Motivation der Belegschaft. „Das ist dort üblich denn das Thema Compliance (zu deutsch: Regeltreue) spielt nicht die selbe Rolle wie bei uns“, erzählt ein Reiseleiter.

Völlig aufgedreht posieren die Reisenden vor den Sportwagen und Oldtimern im Museum – alle schießen unablässig Bilder mit ihren Handys bevor sich die Karawane erneut in Bewegung setzt. Wenig später steigen die Gäste aus China in Metzingen aus den Bussen und winken den Kameradrohnen zu, mit denen die Holy AG, der Betreiber des Werksverkaufs, die Ankunft der 2600 zahlungskräftigen     Kunden     dokumentiert.

Mehr als zwei Millionen geschätzter Umsatz extra

Waren die Teilnehmer des Betriebsausflugs im Mercedes-Museum für die eigenen Verhältnisse noch zurückhaltend unterwegs, drehen sie im Outlet-Städtchen am Fuße der Alb so richtig auf. Erste Station auf dem Shopping-Streifzug sind die Boutiquen von Edelmarken wie Prada und Gucci. In den Läden ist rasch kein Durchkommen mehr. Vor den Tischen mit den Handtaschen drängen sich die Reisenden. Wer daran denkt, dass jede dieser Taschen über Tausend Euro kostet, auf den wirken die Szenen, die mehr an einen Räumungsverkauf oder die Schnäppchenjagd am Wühltisch erinnern, einigermaßen bizarr.

„Die Shops haben den Bestand an den gefragten Artikel aufgestockt“, erzählt Isidora Muthmann, die Pressesprecherin der Holy AG. „Wir wissen seit einem halben Jahr, dass diese Reisegruppe zu uns kommt und haben uns vorbereitet“, sagt sie. 80 Mitarbeiter des Outlet-Betreibers sind in den Straßen der Stadt unterwegs und leiten die chinesischen Gäste zu den Luxusboutiquen. Während auf den Parkplätzen am südlichen Rand von Metzingen noch immer Busse ankommen, bilden sich vor den Eingängen einzelner Shops bereits lange Schlangen.

Und auch in Metzingen sprechen die Verantwortlichen nicht gerne über Geld. Doch auch wenn niemand berichten will, was die Gäste aus China genau ausgeben, gibt es doch Schätzungen. „Vorsichtig gerechnet, werden die Teilnehmer an diesem Betriebsausflug im Schnitt mindestens 800  Euro pro Kopf hier ausgeben“, erzählt einer der Verantwortlichen. Und weiter: „Die haben teilweise lange Listen an Bestellungen von Freunden und Verwandten dabei, die jetzt abgearbeitet werden.“ Schenkt man diesen Zahlen Glauben, werden in Metzingen an diesem Montag mindestens zwei Millionen zusätzlicher Umsatz gemacht.