Sam Smith am Montagabend in Berlin Foto: picture alliance/PIC ONE/Markus Werner

Beim ersten von zwei Deutschlandkonzerten hat Sam Smith in der Berliner Mercedes-Benz-Arena ein Fest der Diversität, der Sinnlichkeit und des Exzesses gefeiert. Pompöse Balladen treffen dabei auf erotisch aufgeladene Dancetracks.

Der Mensch im Scheinwerferlicht sieht aus wie eine Puttenfigur, der man die Flügel abgenommen und stattdessen in einen Ledertanga gezwängt hätte. Sam Smith zeigt stolz seinen Körper, wackelt vergnügt mit dem Hintern, der in Großaufnahme auf die Videoleinwand über der Bühne projiziert wird. Wir befinden uns im Finale des Konzerts am Montagabend in der ausverkauften Mercedes-Benz-Arena in Berlin, im dritten Kapitel der Show, das den Kapiteln „Love“ und „Beauty“ folgt und passenderweise den Titel „Sex“ trägt. Nach „Gloria“, das perfide in einen Choral verpackt von Dämonen, Monstern und der Lust auf Selbstverwirklichung erzählt, gibt es hier eine exaltierte Coverversion von Madonnas Elektropop-Hymne „Human Nature“ zu erleben, deren Refrain so etwas wie das Motto des Sam Smith ist: „Express yourself, don’t repress yourself!“ Lebe dich aus, unterdrücke nicht, was du bist!

Feier der Sex- und Body-Positivity

Tatsächlich gleicht das erste von zwei Konzerten, das Sam Smith in Deutschland gibt, einer großen Feier der Sex- und Body-Positivity, bei der Geschlechterrollen verschwimmen und infrage gestellt werden. „In dieser Show geht es um Freiheit“, sagt Smith früher am Abend, bevor „Too Good at Goodbyes“ an der Reihe ist: „Macht immer, wonach euch ist. Das ist ein sicherer Raum!“ Smith, der einst als eher braver Schmusesänger bekannt wurde, ist inzwischen eine Ikone der queeren Community, versteht sich selbst als divers, als nonbinäre Person und liebt opulente und freizügige Inszenierungen seiner selbst und seiner Songs.

Nach zwei Stunden endet die gaga-gigantische Show des Sam Smith als feurige BDSM-Party mit dem Dancetrack „Unholy“, für den Smith in diesem Jahr zusammen mit der deutschen Transfrau Kim Petras mit einem Grammy ausgezeichnet wurde. Smith thront zum Abschied als feixender Teufel mit Dreizack und Zylinder auf der Bühne, die einen riesigen Putto darstellt, der sich lasziv auf dem Boden rekelt – und durchaus Ähnlichkeit mit Sam Smith erkennen lässt.

Show und Outfits werden immer wilder

Um 20.45 Uhr hatte Tiny Tims „Tiptoe Through the Tulips“ den Ton für die schrill-überkandidelte Show vorgegeben. Mit den gospelhaft inszenierten Hits „Stay with Me“ und „I’m Not the Only One“ beginnt der Auftritt eher brav. Anfangs trägt Smith einen kuriosen Mix aus Anzug und Abendkleid. Im Verlauf des Konzerts wird er immer wieder in einer anderen Versenkung in der Bühne verschwinden, um die Garderobe wechseln – und nach und nach werden die Show und die Outfits wilder und wilder werden.

Das Kapitel „Love“ wird gefüllt von Songs wie der Ballade „To Die For“, durch die ein lässiger Beat mäandert, oder die Tanznummer „Diamonds“, durch die ein R’n’B-Groove zuckt. Es gibt Platz für das quirlige „Dancing with a Stranger“ oder die Midtempoballade „How Do You Sleep?“ mit ihrem grandios verschnörkelten Refrain.

Das Kapitel „Beauty“ eröffnet das herrlich kitschige von Des’ree geborgte „I’m Kissing You“. „Gefällt euch mein neues Kleid? Ich trage es heute zum ersten Mal“, sagt Smith und führt kokett das lila Ballkleid mit aufgeplusterten Ärmeln vor, zu dem er lange Handschuhe und eine Kopfbedeckung trägt, auf der „Queer“ steht. Die Großballade „Lay Me Down“ beschert der Show einen Gänsehautmoment, wenn Smiths großartige Stimme mit betörendem Vibrato allein zum Piano ertönt und von überwältigenden Gefühlen, von Tränen und einer großen Sehnsucht erzählt wird.

Pompöse Balladen und Partytracks

Eine wunderbare Dramaturgie führt an diesem Abend die Vielseitigkeit Sam Smiths vor. Da sind zum einen immer wieder Songs, die wie „Lay Me Down“ große Gefühle in pompöse Balladen übersetzen. Und da sind auf der anderen Seite die Partytracks, die den Exzess und die Befreiung des eigenen Ichs feiern: Songs wie das virtuos choreografierte „Gimme“, der clevere Discochant „I’m Not Here to Make Friends“ oder Donna Summers Klassiker „I Feel Love“, zu dem sich die Show in eine erotisch aufgeladene Discofete verwandelt, bei der sich dieser wunderschön grinsende Putto namens Sam Smith umringt von Tänzerinnen und Tänzern ausgelassen im Kreis dreht und es genießt, den Menschen im Publikum vorzuleben, wie befreiend es ist, das zu sein, was man sein möchte – unabhängig davon, ob man als Frau oder Mann auf die Welt gekommen ist.

Sam Smith auf Tournee

Konzert
Sam Smith tritt am 8. Mai im Rahmen seiner Europatournee in der Lanxess Arena in Köln auf. Es gibt noch wenige Tickets.