Jonas Vingegaard eroberte das Gelbe Trikot. Foto: AFP/ANNE-CHRISTINE POUJOULAT

Lennard Kämna ist mit den Kräften am Ende und muss den Traum vom Gelben Trikot aufgeben. Doch nicht nur der junge Deutsche leidet, auch Superstar Tadej Pogacar kann nicht mithalten.

Mit seinen Kräften am Ende hing der scheinbar unbesiegbare Superstar Tadej Pogacar minutenlang über seinem Lenker, rang nach Luft und spülte ein wenig Wasser hinunter. Dann raffte sich der Rad-Dominator der vergangenen beiden Jahre auf und gratulierte seinem großen Rivalen Jonas Vingegaard, der am Handy bereits Glückwünsche für sein erstes Gelbes Trikot bei der Tour de France entgegennahm. Beim ersten großen Alpen-Showdown der 109. Frankreich-Rundfahrt erlebte Pogacar am Mittwoch einen sensationellen Einbruch und musste Abschied vom Gelben Trikot nehmen.

„Heute habe ich drei Minuten verloren, morgen gewinne ich vielleicht drei Minuten. Ich gebe nicht auf und werde attackieren“, sagte der Slowene, nachdem er den ersten großen Frust verdaut hatte.

Geschke behält Bergtrikot

Pogacar träumt noch von Gelb, für Lennard Kämna hat sich das Thema erledigt. Der Norddeutsche, der am Vortag in Megève das Maillot jaune nur um elf Sekunden verfehlt hatte, quälte sich abgeschlagen die steilen Rampen in den Alpen hinauf und erreichte mit fast 30 Minuten hinter Tagessieger Vingegaard als 62. das Ziel. Aus deutscher Sicht rettete immerhin Simon Geschke einen weiteren Tag sein Bergtrikot über die Hochgebirgs-Riesen hinweg.

Doch die Sensation des Tages spielte sich unter den Stars ab. Pogacar verlor schier unglaubliche 2:51 Minuten auf Vingegaard, der in 2413 Metern Höhe Tränen der Freude vergoss. „Es ist wirklich unglaublich. Ich kann das schwer in Worte fassen. Das ist das, wovon ich geträumt habe. Eine Etappe in der Tour und das Gelbe Trikot - das ist unglaublich“, sagte der Däne. „Wir haben einen Plan geschmiedet und wollten ein super schweres Rennen fahren. Ich habe viel Zeit gewonnen, aber ohne mein Team hätte ich das nicht geschafft.“

Kampfansage von Pogacar

4,5 Kilometer vor dem Ziel attackierte Vingegaard. Pogacar versuchte noch zu kontern, aber nichts ging mehr bei dem scheinbar Unbesiegbaren. „Die ganze Jumbo-Mannschaft hat mich attackiert. Als Jonas ging, habe ich mich nicht gut gefühlt. Ich weiß nicht, ob es die Attacken waren oder eine Schwäche. Jetzt kann ich anfangen, sie zu attackieren“, sagte Pogacar.

Geraint Thomas, Romain Bardet, David Gaudu oder Nairo Quintana - alle Mitfavoriten ließen Pogacar am Berg förmlich stehen. Der Slowene taumelte bedenklich, das Trikot komplett aufgerissen. Es war die größte Niederlage in seiner noch jungen Karriere. 2:22 Minuten liegt Pogacar in der Gesamtwertung nun als Dritter hinter Vingegaard, der die Etappe im Alleingang vor Altstar Quintana und Bardet gewann. Gesamtzweiter ist nun der Franzose Bardet 2:16 Minuten hinter dem Mann aus Hillerslev im hohen Norden.

Vingegaard mit guten Beinen

„Am Galibier hat Tadej noch alle anderen abgehängt außer mich. Da war er stark. Am letzten Berg habe ich mir gedacht: Ich kann nicht gewinnen, wenn ich es nicht versuche. Ein zweiter Platz im Gesamtklassement ist schön, aber das hatte ich letztes Jahr schon“, sagte Vingegaard.

Für Kämna war schon am Col du Télégraphe gut 67 Kilometer vor dem Ziel der Traum von Gelb beendet. Schweren Trittes musste Kämna die Favoriten ziehen lassen, beim Anstieg zum 2642 Meter hohen Col du Galibier hatte er bereits mehr als vier Minuten Rückstand. Der 25-Jährige war daher beim großen Spektakel ganz vorne gar nicht mehr in Sichtweite.

Alpe d’Huez wartet

Eine couragierte Vorstellung lieferte einmal mehr Routinier Geschke ab. Der 36 Jahre alte Berliner war erneut in der Ausreißergruppe vertreten, kämpfte sich als Dritter über den Télégraphe und als Zweiter über den Galibier. Das reichte, um sein begehrtes weißes Dress mit den roten Punkten erfolgreich zu verteidigen.

Damit darf Geschke am Donnerstag die 21 berühmtesten Serpentinen der Welt im Bergtrikot in Angriff nehmen, wenn es zur legendären Skistation Alpe d’Huez hinaufgeht. Hunderttausende Fans werden an dem 13,8 Kilometer langen Schlussanstieg mit durchschnittlich 8,1 Prozent Steigung wieder Spalier stehen und für ein Tollhaus sorgen. Aber auch schon vorher hat es die Etappe in sich. Nach dem Start in Briançon geht es wieder über den Galibier sowie den Col de la Croix de Fer, allesamt Berge der höchsten Kategorie.