Jonas Vingegaard steht vor dem Triumph bei der Tour de France. Foto: AFP/MARCO BERTORELLO

Scharfe Attacken, ein spektakulärer Sturz von Tadej Pogacar und eine große Geste von Triumphator Jonas Vingegaard: Auf der letzten Pyrenäen-Etappe kommt es zum großen Showdown der beiden Topstars. Für Simon Geschke ist dagegen der Traum vom Bergtrikot beendet.

Als sich Jonas Vingegaard vor den Augen von Monsieur Le Président Emmanuel Macron auf der Skistation Hautacam ans Herz fasste und Handküsse verteilte, hatte ein denkwürdiger Tag in den Pyrenäen seinen Höhepunkt erreicht - mit einem bitteren Ende der Paris-Träume von Simon Geschke. In einem atemberaubenden Duell mit seinem Rivalen Tadej Pogacar machte Vingegaard im 1520 Meter hoch gelegenen Skiort wie einst sein dänischer Landsmann Bjarne Riis mit dem souveränen Etappensieg den wohl entscheidenden Schritt zum Gesamtsieg bei der Tour de France - und zeigte sich zugleich als wahrer Champion.

Denn die 18. Etappe lieferte am Donnerstag nicht nur die Vorentscheidung, sondern vor allem ein großes Spektakel. Unentwegt attackierte der am Ende zweitplatzierte Pogacar schon am vorletzten Berg das Gelbe Trikot, ehe es auf der halsbrecherischen Abfahrt vom Col de Spandelles zum großen Drama kam. Erst verhinderte Vingegaard (25) mit einem gekonnten Manöver einen Sturz, dann kam sein Rivale aus Slowenien in einer Kurve zu Fall. Doch Vingegaard zeigte wahre Größe und wartete auf den Tour-Champion von 2020 und 2021. Kurz darauf war Pogacar (23) mit zerfetzter Radhose und aufgeschürftem Bein wieder am Hinterrad. Beide gaben sich die Hand. Erinnerungen an die Duelle zwischen Jan Ullrich und Lance Armstrong wurden wach.

Geschke (36) war zu dieser Zeit schon weit abgehängt. Für den gebürtigen Berliner platzte der Traum vom ersten deutschen Bergkönig in Paris. Nach neun Tagen musste der Mann mit dem Vollbart auf der letzten Pyrenäen-Etappe seinen rotgepunkteten Dress wieder hergeben.

Das Bergtrikot schnappte sich stattdessen Vingegaard bei seiner Machtdemonstration auf der superschweren 18. Etappe mit mehr als 4000 Höhenmetern quasi im Vorbeigehen. Nachdem der Däne alle Attacken seines Rivalen Pogacar pariert hatte, versetzte er ihm mit seinem Angriff 4,4 Kilometer vor dem Ziel den K.o. Schon 1996 hatte Riis in Hautacam letzte Zweifel am Tour-Triumph beseitigt - allerdings mit unerlaubten Mitteln, wie er später zugab.

Die Tour steht erstmals seit 26 Jahren wieder im Zeichen von Danish Dynamite

64 Sekunden Vorsprung hatte Vingegaard am Ende, damit liegt er in der Gesamtwertung nun 3:26 Minuten vor Pogacar. Das dürfte reichen, um den zweiten dänischen Toursieg am Sonntag in Paris perfekt zu machen. Denn diesen Rückstand dürfte Alleskönner Pogacar im Einzelzeitfahren am Samstag kaum wettmachen können. Dazu liegt Vingegaard auch in der Bergwertung mit 72 Punkten uneinholbar vor Geschke (64).

Für Geschke waren die Hoffnungen auf einen weiteren Coup im Bergtrikot bereits am Col d’Aubisque dahin. Erst verpasste der 36-Jährige kurz nach dem Start im Wallfahrtsort Lourdes die Ausreißergruppe, dann verlief seine Aufholjagd erfolglos, ehe er schließlich mit herausgestreckter Zunge komplett abreißen lassen musste. Geschke war am Ende seiner Kräfte, nachdem er fast jeden Tag eifrig Punkte geholt hatte.

Im Mittelpunkt stand aber das Duell der beiden Kletter-Stars. Pogacar ließ nichts unversucht und attackierte Vingegaard unentwegt. Doch nach dem Sturz war der 23-Jährige angeschlagen. Am Schlussanstieg waren dann alle Träume vom dritten Tour-Triumph in Serie für Pogacar dahin. Lokomotive Wout van Aert zog für Vingegaard das Tempo an, dann war der 25-Jährige weg und der Willen von Pogacar gebrochen.

Damit steht die Tour erstmals seit 26 Jahren wieder im Zeichen von Danish Dynamite. Der Grand Depart erfolgte passenderweise schon in Kopenhagen, danach sammelten Vingegaard, Mads Pedersen und Magnus Cort Nielsen insgesamt vier Etappenerfolge ein. Zum Vergleich: Gastgeber Frankreich durfte noch gar nicht jubeln.

Für den erfolgreichsten Tour-Teilnehmer im Peloton ist dagegen das Rennen beendet. Chris Froome, der Sieger von 2013, 2015, 2016 und 2017, wurde positiv auf Corona getestet und musste das Rennen aufgeben. Das galt auch für den Spanier Imanol Erviti und den Italiener Damiano Caruso, womit die Tour insgesamt schon 15 Corona-Fälle vermeldete.

Nach den drei schweren Pyrenäen-Etappen dürfen die Stars der Branche am Freitag eine Verschnaufpause einlegen. Die 19. Etappe über 188,3 Kilometer von Castelnau-Magnoac nach Cahors verläuft größtenteils über flaches Terrain.