Macht den Tour-Verantwortlichen einige Sorgen: der britische Radsport-Professionelle Chris Froome Foto: AP

Nach seiner Salbutamol-Affäre wird Titelverteidiger Chris Froome bei der Tour de France mehr denn je zur Zielscheibe der Kritiker. Und die Offiziellen machen sich Sorgen.

Noirmoutier-en-l’ile - Einen ersten Eindruck, was ihn in den nächsten drei Wochen bei der Tour de France erwarten dürfte, erhielt Chris Froome am Donnerstagabend. Der Himmel weinte bei der Präsentation der 22 Teams auf dem Place Napoleon in La Roche-sur-Yon. Aber die Tränen von oben passten nur ins Bild, sie waren nicht das Thema. Im Gegensatz zu den Pfiffen, Buhrufen und Beleidigungen („Hau ab, Betrüger!“) eines Großteils der rund 5000 Zuschauer, als das Sky-Team auf die Bühne rollte. Froome ertrug die Anfeindungen in stoischer Ruhe, an den wartenden Journalisten fuhr er anschließend wortlos vorbei. Anders als Geraint Thomas. „Das ist natürlich nicht schön“, sagte der Sky-Profi über die Reaktionen des Publikums, „aber so lange es verbal bleibt, können wir damit leben.“ Das Problem ist: Das kann niemand garantieren.

Chris Froome (33) war noch nie sonderlich beliebt in Frankreich, was vor allem mit der Dominanz des viermaligen Tour-Gewinners (2013, 2015, 2016, 2017) und seines Sky-Teams zu tun hat, die viele an die dunkle Ära von Lance Armstrong und seiner Rennställe US Postal/Discovery erinnert. Vor allem 2015 erlebte Froome mehr als nur einen Spießrutenlauf, er wurde bepöbelt, bespuckt und einmal sogar mit einem Becher Urin beworfen. Bei der Tour 2018, die an diesem Samstag auf der Atlantik-Insel Noirmoutier beginnt, könnte Froome erst recht zur Zielscheibe seiner Kritiker werden.

Bei der Tour sind 23 000 Polizisten im Einsatz

Dass der Brite überhaupt starten darf, steht erst seit Montag fest, als ihn der Weltverband UCI nach fast zehn Monaten vom Vorwurf freisprach, ein Doper zu sein. Froome hatte zu seiner Verteidigung ein Heer von Anwälten in Stellung gebracht, nachdem er bei der Vuelta 2017 einen so hohen Wert des Asthmamittels Salbutamol aufwies, dass die erlaubte Marke ums Doppelte übertroffen worden war. Die Strategie ging auf. Angeblich, weil der Wert, mit dem Froome erwischt wurde, doch nicht so hoch war wie kommuniziert, und zudem die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) auch noch Ermessensspielräume genutzt hat. Eine Lex Froome? Prominenten-Rabatt? Die Wada sagt: Nein! „Wir verhalten uns in solchen Situationen immer gleich“, erklärte Wissenschafts-Direktor Oliver Rabin, „jetzt und in Zukunft.“

Aus Sicht von Froome ist alles positiv gelaufen. „Ich war völlig ehrlich, als ich gesagt habe, dass ich dem Gelben Trikot niemals Schande machen werde. Ich habe nichts falsch gemacht“, meinte der Brite, „irgendein Rennen durch Lüge zu gewinnen, wäre für mich eine persönliche Niederlage. Ich freue mich, weiter ein Botschafter für sauberen Radsport zu sein.“ Die Frage ist nur: Kommt diese Botschaft an?

Bei der Tour sind 23 000 Polizisten im Einsatz, doch Sicherheit gibt es nicht bei einem Radrennen. Froome hat angeblich Bodyguards beauftragt, ihn zu beschützen, wenn er nicht im Sattel sitzt. Doch eine Menge von 500 000 Fans, wie sie am Anstieg hinauf nach L’Alpe d’Huez erwartet wird, ist nicht kontrollierbar. Was bleibt, sind Appelle. „Ich bin davon überzeugt, dass die Franzosen gerechte Menschen sind“, sagte Froome, „wenn sie mich nicht mögen, sollen sie das Trikot eines Teams anziehen, das sie unterstützen – und nichts Negatives in dieses Rennen tragen.“

Stefan Schumacher versteht die Sorgen

Genau das aber ist die Befürchtung, zum Beispiel von David Lappartient. Der UCI-Präsident beteuerte einerseits, im Fall Froome nicht habe anders entscheiden zu können („Wenn die Wada keine Verletzung der Anti-Doping-Regeln sieht, kann ich ihn nicht sanktionieren“), andererseits verlangt er von den Fans, dieses Urteil zu akzeptieren: „Die Leute wollten Froomes Kopf auf einer Stange, ob er schuldig ist oder nicht. Nun fordere ich alle Zuschauer auf sicherzustellen, dass Froome sich sicher fühlen kann.“

Schon die martialische Wortwahl zeigt, wie ernst man das Problem nimmt. Zurecht, wie Stefan Schumacher findet. Der Ex-Profi und geständige Doper trug vor zehn Jahren bei der Tour das Trikot des Führenden, er weiß, wie es sich anfühlt, auf einem Anstieg im Hochgebirge durch ein enges Spalier aus Menschen zu fahren, die einen anschieben, anschreien, antreiben. „Im Team Sky gibt es zum Thema Anti-Doping nur große Sprüche, keine Taten. Das ist eine einzige Heuchelei“, sagte der Nürtinger nach dem Freispruch für Froome, „sobald er in Gelb fährt, wird es eine fürchterliche Tour für ihn.“

Froome will das seltene Double schaffen

Das treibt auch die aktuellen Kollegen um. Die Deutschen John Degenkolb („Ich habe Bedenken, dass Gefahren von Außen entstehen“) oder Tony Martin („Es wird ein Schatten auf der ganzen Tour liegen“) zum Beispiel, aber auch Tom Dumoulin. Der Niederländer ist einer der Konkurrenten Froomes um den Gesamtsieg, er dürfte ihm eigentlich nicht von der Seite weichen. Trotzdem hat er angesichts des Urinbecher-Wurfs im Scherz angekündigt, lieber ein paar Positionen hinter dem Briten zu fahren – um im Ernst hinzuzufügen: „Froome mache ich keinen Vorwurf, er ist freigesprochen. Aber wie chaotisch der Fall von der UCI behandelt wurde, ist nicht das, was der Radsport für seine Reputation braucht.“

An der sportlichen Zielsetzung Froomes ändert das alles nichts. Er will nicht nur das seltene Double schaffen, Giro und Tour innerhalb von drei Monaten zu gewinnen (das gelang zuletzt dem überführten Doper Marco Pantani 1998). Sondern mit seinem fünften Tour-Sieg auch zu Jacques Anquetil, Eddy Merckx, Bernard Hinault und Miguel Indurain aufschließen. Aller Antipathien zum Trotz. Dass dies nicht einfach wird, ist ihm klar. „Dieses Rennen“, sagte er, „wird die größte Herausforderung meines Lebens.“