Großaufgebot der Polizei bei der Beerdigung von Hooligan und Rechtsextremist Thomas H. Foto: dpa-Zentralbild

Zwei Ereignisse finden am Montag in Sachsen 100 Kilometer entfernt voneinander statt und hängen doch eng zusammen. Der Prozess um die tödliche Messerattacke von Chemnitz beginnt in Dresden, und in Chemnitz wird ein rechtsextremer Hooligan beerdigt.

Chemnitz - „Chemnitz lässt momentan nichts aus, in den Schlagzeilen zu bleiben“, sagt der Jurist und Politiker Klaus Bartl mit einem Unterton von Sarkasmus. Am Montag ist er von seiner Heimatstadt Chemnitz nach Dresden gekommen, weil ein Gericht hier den gewaltsamen Tod eines Mannes aufklären soll.

Die als Totschlag angeklagte Tat hat sich am 26. August 2018 am Rande des Chemnitzer Stadtfestes ereignet. Zwei Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien sollen nach einem Streit den Deutschen Daniel H. erstochen haben. Vor Gericht verantworten muss sich derzeit nur der Syrer Alaa S. Der mutmaßliche Mittäter Farhad A. ist auf der Flucht und wird weltweit gesucht.

Der Fall erregte Aufsehen, weil es in Chemnitz danach zu Angriffen auf Flüchtlinge und ausländische Restaurants kam. Bei Demonstrationen wurde damals auch ein Mann gesichtet, der am Montag in Chemnitz zu Grabe getragen wurde: der Hooligan und Rechtsextremist Thomas H., führender Kopf der früheren Vereinigung HooNaRa (Hooligans-Nazis-Rassisten).

Der Ruf von Chemnitz war erneut ruiniert

Hooligans hatten nach der Messerattacke vom August die erste Demonstration gegen Flüchtlinge in Chemnitz angeführt. Als unlängst Fans des Fußball-Regionalligisten Chemnitzer FC den nach einer Krankheit gestorbenen Thomas H. mit einer aufwendigen Inszenierung und technischer Unterstützung des Vereins im Stadion ehrten, war der Ruf von Chemnitz erneut ruiniert.

Für Klaus Bartl hängen der Prozess, die Beerdigung und die jüngsten Schlagzeilen aus seiner Stadt zusammen. Der Abgeordnete der Linken im sächsischen Landtag, wirft den CFC-Hools vor, den Tod des 35-Jährigen Deutschen im August instrumentalisiert zu haben. Im Grunde kann sein Vorwurf auch für den Tod von Thomas H. gelten. Denn die aufwendige Choreografie für ihren toten Kameraden im Stadion wird auch als Machtdemonstration der rechten Szene gedeutet.

Zum Begräbnis kommen mehrere Hundert Gesinnungsgenossen, teils in schwarzen Szeneklamotten, die Augen hinter dunklen Sonnenbrillen verborgen. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot von ebenfalls mehreren Hundert Beamten präsent, gewährleistet aber lediglich Ordnung und Sicherheit. Denn der Aufmarsch ist offiziell keine Kundgebung - allerdings ist er eine Demonstration der Stärke.

Hohe Sicherheitsvorkehrungen bei Prozess in Dresden

Auch beim Prozess in Dresden gibt es umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen. Besucher und Medienvertreter dürfen den Saal erst nach strengen Kontrollen betreten.

Bartl hat auch ein berufliches Interesse an dem Prozess, der wegen des großen öffentlichen Interesses und wegen Sicherheitsbedenken in einen speziellen Saal des Oberlandesgerichtes Dresden verlegt wurde. Denn die Beweislage ist nach Ansicht von Prozessbeobachtern dünn, die Verlesung der Anklage nimmt nur wenige Minuten in Anspruch. Bartl sieht das Schwurgericht vor einer „anspruchsvollen Aufgabe“. Er sei aber fest davon überzeugt, dass die zuständige Kammer das mit der notwendigen Souveränität untersucht. Wenn es Zweifel an der Schuld des Angeklagten gebe, müsse das Gericht das tun, was das Gesetz vorsehe - freisprechen.

Bis zu einem Urteil dürfte es noch ein weiter Weg sein. Der Auftakt des Prozesses verläuft zäh. Noch bevor es zum Verlesen der Anklage kommt, verliest Verteidigerin Ricarda Lang eine Liste von Fragen, hinter denen Zweifel an der Unbefangenheit des Gerichtes stehen. Sie will von den Berufs- und den Laienrichtern beispielsweise wissen, ob sie schon einmal an Kundgebungen der AfD oder der islamfeindlichen Pegida-Bewegung teilnahmen, ob sie Mitglieder oder Unterstützer der AfD sind oder wie sie zu Flüchtlingen generell stehen. Ihr Mandant gehöre zum „erklärten Feindbild“ von Anhängern der AfD, sagt sie. Dabei habe er ein Recht auf ein faires Verfahren.

Chemnitzer Oberbürgermeisterin Ludwig hofft auf eine Verurteilung

Ausgerechnet die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) hat der Verteidigung zuvor eine Steilvorlage geliefert. Sie hoffe für die Familie des Opfers sehr, dass es zu einer Verurteilung komme, damit die Angehörigen Ruhe finden könnten, sagte sie der Berliner Zeitung „taz“. Bei einem Freispruche würde es „schwierig für Chemnitz“.

Rechtsanwältin Lang stellt deshalb den Verdacht einer politischen Einflussnahme auf das Verfahren in den Raum. Ihr Verteidigerkollege Frank Wilhelm Drücke fordert später die Einstellung des Verfahrens und die Aufhebung des Haftbefehls. „Es mangelt an handfesten Beweisen“, heißt es kurz und bündig in einer Stellungnahme.

Der Zeuge Dmitri M., der bei der Gewalttat vom August 2018 mit einem Messer schwer verletzt wurde, vermag den Angeklagten am Montag nicht als Messerstecher zu identifizieren. Der aus Russland stammende Mann kann lediglich beschreiben, dass eine Person in heller Kleidung auf das bereits am Boden liegende Opfer Daniel H. einstach. Nach der Befragung sind die offenen Fragen nicht weniger geworden. Am kommenden Dienstag geht es mit dem Prozess in Dresden weiter. Derweil hofft die Stadt Chemnitz darauf, endlich zur Ruhe zu kommen.