Man kann es nicht mitansehen: Ein Polizeibeamter aus Lake County reagiert emotional in der Innenstadt von Highland Park auf das Massaker. Foto: dpa/Brian Cassella

Die Schießattacke auf eine Parade zum Feiertag am 4. Juli verändert eine friedliche Wohnstadt in der Nähe von Chicago vielleicht für immer. Die Motive des mutmaßlichen Täters sind – wie so oft – unklar.

Die Nachbarschaft von Highland Park ist ziemlich das Gegenteil der South Side von Chicago. Während dort in den armen Vierteln Schusswaffen zum Alltag gehören, rühmt sich das in Filmen wie „Home Alone“ dargestellte Idyll für seine niedrige Kriminalitätsrate. Acht von zehn Einwohnern in Highland Park sind weiß, verdienen im Schnitt 150 000 US-Dollar im Jahr und führen ein eher ruhiges Leben.

An diesem Nationalfeiertag zog eines der ärmsten mit einem der reichsten Wohngebiete von Chicago gleich. Auf der South Side kamen – wie so oft – durch Schusswaffen fünf Menschen ums Leben, im nördlich gelegenen Highland Park sechs. Schlagzeilen machte allein die Schusswaffengewalt vor der Kulisse des begrünten Vororts.

Mehr als vierzig Zuschauer erlitten zum Teil schwere Verletzungen.

Dort hatte sich eine fröhliche Festtagsparade mit Fußgruppen, Blaskapellen und mit US-Fahnen-geschmückten Wagen gerade in Bewegung gesetzt, als gegen 10 Uhr morgens Schüsse fielen. Dee Dee Strauss (64) saß mit Bruder und Schwägerin vor dem Walker-Brothers-Restaurant, um den patriotischen Umzug zu verfolgen. Wie viele andere Besucher dachte sie, dies seien Salutschüsse für die Veteranen oder Feuerwerkskörper. „Plötzlich sah ich Leute auf dem Boden, blutüberströmt“, erzählt Dee Dee von dem Moment, in dem sie realisierte, was los war.

Panisch versuchten die Menschen, in alle Richtungen zu flüchten, während der Schütze vom Dach eines Kosmetikladens aus mit einer kriegstauglichen Waffe in die Menge schoss. Als es vorbei war, hatten sechs Menschen ihr Leben verloren, mehr als vierzig erlitten zum Teil schwere Verletzungen.

Der Verdächtige ist Sohn eines lokalen Feinkostladen-Besitzers

Er habe als Arzt schon viele schlimme Szenen gesehen, beschreibt David Baum gegenüber der „New York Times“ den Schauplatz nach der Tat. Die Opfer seien regelrecht zerfetzt gewesen. „Das ist schwer zu verarbeiten.“

Nach einer achtstündigen Verfolgungsjagd konnte die Polizei den mutmaßlichen Täter festnehmen. Es handelt sich um den Sohn eines lokalen Feinkostladen-Besitzers, der in der 30 000-Einwohner-Stadt einmal erfolglos als Bürgermeister angetreten war. Was den 22-jährigen Gelegenheitsarbeiter zu seiner mörderischen Bluttat angetrieben hatte, blieb zunächst unklar.

US-Präsident Joe Biden äußerte sich schockiert

Einiges deutet auf psychische Probleme des langhaarigen, stark tätowierten Mannes hin, der sich als „Awake the Rapper“ auf Youtube versucht hatte. In einer seiner inzwischen gelöschten Mitteilungen klagt er: „Ich hasse es, wenn andere mehr Aufmerksamkeit im Internet bekommen als ich.“

US-Präsident Joe Biden äußerte sich schockiert über die sinnlose Schusswaffengewalt. Er hob die – bescheidenen – Verschärfungen im Waffenrecht hervor, die der Kongress kürzlich beschlossen hatte. Dazu gehören zusätzliche Überprüfungen, die Waffen aus den Händen von Gefährdern halten sollen. „Aber es gibt noch viel mehr zu tun, und ich werde den Kampf gegen die Epidemie der Waffengewalt nicht aufgeben“, sagte Biden.

Das dritte Massaker in den wenigen Wochen

Deutlicher äußerte sich der Gouverneur von Illinois, J. B. Pritzker. Es gebe keine Worte „für diese Art von Monster, das auf Lauer liegt und in eine Menge aus Familien mit Kindern feuert“. Gebete seien zu wenig, „den Terror der außer Kontrolle geratenen Waffengewalt in unserem Land zu beenden“.

Es handelte sich um das dritte Massaker, das in den vergangenen Wochen weltweit Schlagzeilen machte. Die Angriffe im Mai auf einen Supermarkt in Buffalo im Bundesstaat New York und kurz darauf auf eine Grundschule im texanischen Uvalde hatten erstmals seit 30 Jahren eine überparteiliche Mehrheit für eine Minireform des Waffenrechts im Kongress zustande bekommen. Gleichzeitig aber erleichtert ein aktuelles Urteil des obersten Gerichts der USA den Zugang zum Erwerb von Waffen.