Jill Roord (rechts) und der VfL Wolfsburg waren in der vergangenen Saison für Lisa Magull (links) und den FC Bayern nicht zu stoppen. Foto: /Sven Simon

Noch gibt der VfL Wolfsburg und nicht der FC Bayern vor dem Topspiel der Frauen-Bundesliga am Sonntag den Trendsetter. Es hat Gründe, warum auch mehr EM-Heldinnen in Wolfsburg spielen.

Es gibt so Tage, an die möchte eine Sportlerin nicht gerne erinnert werden. Doch vergessen haben die Fußballerinnen des FC Bayern natürlich nicht, was am 3. April dieses Jahres passierte. Völlig entkräftet, der Kader nach mehreren Coronafällen ausgezehrt, kassierten die Münchnerinnen mal wieder eine Niederlage gegen den VfL Wolfsburg. Die 0:6-Pleite am Mittellandkanal manifestierte den Tiefpunkt einer Saison, in der binnen weniger Tage alle Titelträume platzten. Am Ende sackte wieder der Werksclub Meisterschale und DFB-Pokal ein – auch weil er alle drei direkten Duelle gewann.

Das Topspiel am Sonntag im Free-TV

Klar, dass Ralf Kellermann vor dem Bundesliga-Gipfel zwischen Wolfsburg und Bayern (Sonntag 14 Uhr/NDR und BR) die jüngere Historie herauskramt. Schließlich haben die Wölfinnen jenes Siegergen implantiert, das im deutschen Fußball gemeinhin den männlichen Bayern-Stars zugeschrieben wird. Bei den Frauen hat aber der VfL seit 2014 13 von 16 nationalen Titeln gewonnen – nur unterbrochen von drei Münchner Meisterschaften (2015, 2016, 2021).

Kellermann stutzt selbst ein bisschen, denn eigentlich seien beide Vereine sportlich wie wirtschaftlich auf Augenhöhe: „Bayern unternimmt immense Anstrengungen, sie sind mit dem Campus weit vorne und haben die Strahlkraft einer Stadt, die für junge Frauen sehr attraktiv ist.“ Dazu der Glanz der Marke FC Bayern. Alles Argumente, die längst für eine Wachablösung sprechen müssten, die aber bis heute nicht erfolgt ist – weswegen auch Trainer Jens Scheuer gehen musste, dem Alexander Straus gefolgt ist. Das Topspiel ist auch für den Novizen aus Norwegen der Lackmustest. Dauerhaft wollen Lina Magull, Lea Schüller oder Linda Dallmann nicht titellos bleiben. Das bayerische „Mia san mia“-Leitbild gilt geschlechterübergreifend.

Lange fehlte in München eine Strategie

Doch der Frauenabteilung fehlte lange eine echte Strategie. Auch Bianca Rech vermisste einen klaren Plan, „in welche Richtung die FC-Bayern-Frauen in Zukunft gehen wollen“, sagte die Sportliche Leiterin bei Amtsantritt 2019 – und forderte eine Vision ein. Die 41-Jährige arbeitet akribisch daran, Wolfsburg irgendwann von der Spitze zu verdrängen. Warum gerade Talente im östlichen Niedersachsen schneller als in der bayrischen Landeshauptstadt funktionieren, erklärt Kellermann so: „Unser Vorteil ist ein familiäres Umfeld, keine weiten Wege.“ Wenn die Spielerinnen alle im Umkreis von fünf, sechs Kilometern wohnen würden, so der 54-Jährige, könnte eine Gruppendynamik leichter entstehen.

Tatsächlich ist erstaunlich, wie geschlossen dieses Ensemble trotz aller Umbrüche und Trainerwechsel – von Kellermann zu Stephan Lerch, seit vergangenen Sommer Tommy Stroot – auftritt. Der Sportliche Leiter des VfL glaubt, dass es in dieser Spielzeit „noch mehr auf die direkten Duelle“ ankommt. Denn die Lücke zu einem Club wie Eintracht Frankfurt, der sich anschickt, die dritte Kraft im deutschen Frauenfußball zu werden, ist (noch) beträchtlich; speziell was die Kadertiefe angeht. Nur die beiden Champions-League-Teilnehmer leisten sich Budgets deutlich jenseits der Fünf-Millionen-Euro-Grenze und zahlen teils fünfstellige Monatsgehälter. Aktuell spielen zehn Vize-Europameisterinnen für den VfL Wolfsburg, sechs für den FC Bayern.

15 000 Tickets sind verkauft

Das Stelldichein der EM-Heldinnen lockt eine stattliche Kulisse in die werkseigene Arena: Weit mehr als 15 000 Karten sind verkauft, das sei mitten in den niedersächsischen Herbstferien „richtig klasse“, meint Kellermann. Kürzlich im Spiel bei der TSG Hoffenheim hatten sich 5000 Menschen erhoben, um der kurz vor Schluss ausgewechselten Svenja Huth zu applaudieren. Solche Gänsehautmomente machen ihm Mut, dass der Weg mit vermehrten Highlight-Spielen in den großen Arenen der richtige ist.

Nach vier Spieltagen vermeldet die Frauen-Bundesliga bislang einen Schnitt von 2270 Besuchern – fast das Dreifache der Vorsaison (811). Doch auch hier ist Wolfsburg weiter als Bayern: Dort lag die Zuschauerzahl jahrelang kaum über der 1000er-Marke, erst jetzt war der Campus mit seinen 2500 Plätzen zweimal voll besetzt. Und auch mit einem Umzug in die Arena warteten die FCB-Bosse lange: Vorstandschef Oliver Kahn verkaufte die 13 000 Fans zur Premiere gegen Paris Saint-Germain im Frühjahr als Meilenstein, aber für seinen Club geht sicherlich viel mehr. Was die Verankerung in Verein und Stadt angeht, ist die VW-Tochter weiter. Rekordbesuch bei Wolfsburgs Fußballerinnen sind 22 057 Anhänger, die am 30. April gegen den FC Barcelona kamen, als der Einzug ins Champions-League-Finale nach einem starken Auftritt verpasst wurde.