In Stuttgart-Ost kam es am Montag zu dem tödlichen Schuss . Foto: Andreas Rosar/dpa

Der tödliche Schuss in Stuttgart heizt die Debatte um Taser für die Polizei an. Dabei stellen Gewerkschafter und hochrangige Polizisten klar: Im Ernstfall würde trotzdem geschossen.

Hätte der tödliche Schuss in Stuttgart-Ost möglicherweise durch den Einsatz von Tasern verhindert werden können? Experten, die das Video eines Zeugen für unsere Zeitung ausgewertet haben, schließen das nicht aus. Sie sind der Meinung: wäre der Polizist mit einem Taser – also einem Elektroschocker – ausgerüstet gewesen, wäre es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu dem Schuss gekommen. Doch Polizeigewerkschafter sagen auch – die Ausstattung mit einem Taser bedeutet nicht, dass keine Schusswaffen mehr zum Einsatz kommen.

 

In der Nacht zum Dienstag war in Stuttgart-Ost ein Mann bei einem Polizeieinsatz durch einen Schuss tödlich verletzt worden. Der 29-Jährige soll zuvor einen anderen Mann mit einem Schnitt schwer am Hals verletzt haben. Die Staatsanwaltschaft hat – wie in solchen Fällen üblich – Ermittlungen auch gegen den Polizisten aufgenommen.

Die Analyse der Polizeicoaches ist auch ein Argument für ein Anliegen von Ralf Kusterer, dem Landesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Man sei in der Vergangenheit in vielen Fällen zur Auffassung gelangt, dass ein Taser geholfen hätte, sagt er – und zur Analyse der Polizeiexperten: „Wenn das wirklich so ist, muss man sich fragen, ob nicht der Innenminister auch die unmittelbare Verantwortung dafür trägt?“

Ralf Kusterer: Fordert flächendeckende Ausstattung von Polizisten mit Tasern. Foto: dpa

Kusterer fordert seit Langem, dass die Polizisten hierzulande flächendeckend mit Tasern ausgestattet werden. „Das zeigt erneut die Dringlichkeit. Wir brauchen Taser.“ Der Gewerkschafter stellte aber auch klar, dass es durchaus Situationen gibt – etwa wenn ein Angreifer den Beamten sehr nahe kommt – in denen keine andere Möglichkeit bleibt, als zu schießen.

Das ist Landespolizeidirektor Norbert Schneider wichtig zu betonen: „Der Taser kann nur unter günstigen Bedingungen zum Einsatz kommen“, sagt der oberste Schutzpolizist im Land. Das sei eine statische Lage. Anders liegt der Fall, wenn sich ein Täter schnell auf die Einsatzkräfte zubewegt. „Wenn ich mit einem Messer angegriffen werde, hilft kein Taser“, sagt Schneider. Jeder Abstand unter sieben Meter sei lebensgefährlich, so die Faustregel, und die Einsatzkräfte müssen binnen Sekundenbruchteilen reagieren: „Ich kann bei einem Messerangriff nicht noch ein Einsatzmittel ausprobieren“, sagt Schneider. „Dazu kommt, dass die Wirkung des Tasers bei dicker Kleidung, Fettleibigkeit oder Medikamenteneinfluss eingeschränkt sein kann.“

Zum aktuellen Fall äußerte sich Schneider nicht. Ein Sprecher des Innenministerium betonte, dass jeder Fall, in dem eine Polizeibeamtin oder ein Polizeibeamter auf einen Menschen schießt, gründlich untersucht wird. „Das gilt auch für den aktuellen Fall in Stuttgart.“ Er verwies auf Aussagen von Innenminister Thomas Strobl (CDU), der gesagt hatte, der Gebrauch der Schusswaffe sei Ultima Ratio. Wer aber einen Menschen mit einem Messer angreife, riskiere sein Leben. Der Innenminister hatte die Warnung vor kurzem auch nach Messerattacke auf Polizisten in Wangen (Landkreis Göppingen) ausgesprochen. Bei dem Vorfall war der Angreifer ebenfalls von einem Polizisten erschossen worden.

Tests mit Tasern ab 2026 geplant

Bis Streifenpolizisten mit Tasern ausgestattet sind, dürfte es ohnehin noch dauern: Bisher sind die Elektroimpulsgeräte nur bei Spezialeinheiten im Einsatz. Den Einsatz im Streifendienst hatte das Innenministerium lange abgelehnt. Erst vergangene Woche teilte es mit: Streifenbeamte des Polizeipräsidiums Freiburg sollen die Geräte nun testen. Auch eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit des Polizeipräsidiums Einsatz in Göppingen wird mit Tasern ausgestattet. Der genaue Zeitplan hängt unter anderem auch an den Lieferfristen des Herstellers. Das Innenministerium rechnet mit einem Start der Erprobung im Jahr 2026. Als Grund für die Kurskorrektur nannte das Innenministerium die technische Weiterentwicklung der Geräte. Landespolizeidirektor Schneider sagt: „Für uns ist die Frage, ob wir den Taser im Streifendienst mit Zwei-Mann-Besetzung sinnvoll einsetzen können.“ Gerade sei aber erstmal die Frage, wann man die Geräte für den Pilotversuch kriege. „Der Hersteller braucht vermutlich einige Monate für die Auslieferung“, so Schneider. „Wir beschleunigen, was geht, aber zaubern können wir auch nicht.“

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP), neben DPolG die andere große Polizeigewerkschaft in Deutschland, begrüßt den Testlauf. Damit werde eine Entscheidungsgrundlage geschaffen. „Wir bleiben dran, dass der Taser in Baden-Württemberg so schnell wie möglich eingeführt wird“, sagte Thomas Mohr, im GdP-Landesvorstand zuständig für Ausrüstungsfragen. Ob im aktuellen Fall der Tote hätte verhindert werden können, darüber will Mohr keine Aussage treffen. „Der Taser ist ein weiteres Hilfsmittel“, sagte er, betonte aber auch, in bestimmten Situationen sei der Taser kein Ersatz für eine Schusswaffe.

Opposition trommelt seit Langem für den Taser

Die innenpolitische Sprecherin der FDP, Julia Goll, will sich zum aktuellen Fall vor Abschluss der Ermittlungen nicht äußern. Sie sagt: Unabhängig von dem aktuellen Fall sei es wichtig, dass die Polizei mit der besten Ausrüstung ausgestattet werde. Schon früher hatte sie vor unnötigen Verzögerungen bei der Einführung des Tasers gewarnt und gesagt: „Der Taser hat sich in anderen Bundesländern bereits ausreichend bewährt.“

Auch der SPD-Innenpolitiker Sascha Binder sagt zum aktuellen Fall: „Das muss jetzt überprüft werden.“ Binder hatte sich ebenfalls immer für eine Ausstattung der Polizei mit Tasern ausgesprochen. „Das muss jetzt umgesetzt werden“, sagte er mit Blick auf die geplanten Tests bei der Polizei. „Ich hoffe, dass das nicht reines Wahlkampfgetöse ist.“