Die Eltern der Opfer im Kleinwagen (vorne im Bild) sind Nebenkläger. Foto: 7aktuell.de/

Menschlich tragisch und zugleich juristisch spannend ist der Fall eines Jaguarfahrers, der einen tödlichen Unfall verursachte. Ein solches Verfahren ist in Baden-Württemberg das erste seiner Art.

Stuttgart - Eine Mordanklage wegen eines Raserunfalls, das hat es in Baden-Württemberg so noch nicht gegeben. Am Mittwoch startet der mit Spannung erwartete Prozess gegen einen 20-Jährigen, der im März mit einem gemieteten Jaguar mit mehr als Tempo 160 durch die Rosensteinstraße gerast sein soll. Die rasante Fahrt endete fatal: Sein Wagen raste in das Auto eines jungen Paares, das ums Leben kam.

Was ist passiert?

Gegen 23.35 Uhr kommt es an der Rosensteinstraße zu einem Unfall. Ein Jaguar mit 550 PS rast in einen Kleinwagen. Darin sitzt ein junges Paar. Der 25-jährige Fahrer und seine 22 Jahre alte Partnerin auf dem Beifahrersitz sind sofort tot.

Was weiß man über die Unfallursachen?

Der Unfallfahrer soll mit einem Tempo von bis zu 168 Stundenkilometern durch die Rosensteinstraße gerast sein. Das hat ein Gutachter im Auftrag der Staatsanwaltschaft herausgefunden, als er den Bordcomputer auswertete. Für die Steuerung der Airbags messen die Instrumente in modernen Fahrzeugen, wie stark Gas gegeben wird. Diese technische Möglichkeit brachte einen brisanten Fakt zutage: Der Fahrer soll das Gaspedal kurz vor dem Unfall bis zum Anschlag durchgedrückt gehabt haben. Unmittelbar vor dem fatalen Zusammenstoß verlor der junge Fahrer die Kontrolle über den Wagen. Er soll einem entgegenkommenden Wagen ausgewichen sein, der nach links abbog. Jenem Fahrer sei kein Fehler zuzuweisen, stellten die Ermittler fest. Als er nach links abbog, war von dem heranrasenden Wagen noch nichts zu sehen. Wegen des Ausweichmanövers soll der Fahrer ins Schleudern geraten sein. Er soll mit noch etwas mehr als Tempo 100 auf den Wagen aufgeprallt sein.

Was ist das für ein Auto?

Der 20-jährige Unfallfahrer hatte den Wagen, einen Jaguar F-Type, gemietet. Ein Verleih in Nürtingen (Kreis Esslingen), der auf solche Luxuskarossen spezialisiert ist, hatte den Wagen angeboten. Der Wagen hat 550 PS und beschleunigt laut Herstellerangaben in 5,7 Sekunden von 0 auf 100. Der Bremsweg beträgt laut diesem Test des ADAC 32,7 Meter bei Tempo 100, wenn eine Super-Hochleistungsbremsanlage eingebaut ist – wobei der ADAC einen schwächeren Motor testete.

Ist das legal?

Laut dem Verband der Versicherungen ist die einzige Frage, die der Vermieter zu klären hat, ob der Fahrer einen gültigen Führerschein hat. Bei jüngeren Fahrern mit wenig Fahrpraxis ist das Risiko etwas höher, daher kostet dann die Versicherung mehr.

Wer sind die Opfer?

Jacqueline war 22 Jahre alt, ihr Freund Riccardo 25. Erst vor kurzem waren sie aus Nordrhein-Westfalen nach Stuttgart gezogen, weil Riccardo hier einen Job gefunden hatte, der ihm zusagte. Er hatte Tourismusmanagement studiert und stieg beim Ufa-Palast an der Rosensteinstraße als Theaterleiter ein. Als der Unfall geschah, wollten sie sich gerade auf den Heimweg vom Kino machen und waren aus der Mitarbeiter Tiefgarage herausgefahren. Am Straßenrand warteten sie, um in die Rosensteinstraße einzubiegen. Dann geschah der Unfall.

Wer ist der Beschuldigte?

Der 20 Jahre alte Stuttgarter ist Auszubildender bei einem Automobilhersteller. Mehr ist über ihn nicht bekannt geworden. Er kam nach dem Unfall in Untersuchungshaft. Zunächst erging der Haftbefehl wegen fahrlässiger Tötung. Laut einem Bericht des „Kölner Stadtanzeigers“ soll er direkt nach dem Unfall Freunden geschrieben haben, sie sollen Videos der Fahrt vor dem Unfall von ihren Mobiltelefonen löschen. Die Polizei habe das Telefon nicht sofort eingezogen, weswegen ihm das noch möglich gewesen sein soll. Allerdings können Kriminaltechniker solche Inhalte heutzutage wiederherstellen. Damit lägen dann also sowohl die Videos und Fotos von der Fahrt vor, als auch die Nachrichten an die Freunde mit der Aufforderung, die Aufnahmen zu löschen.

Um was geht es in dem Verfahren?

Die Anklage der Stuttgarter Staatsanwaltschaft lautet auf Mord. Aufgrund der hohen Geschwindigkeit habe der Mann es billigend in Kauf genommen, dass ein Unfall geschehen könnte. Dabei sei das Auto aufgrund des Tempos zu einem „gemeingefährlichen Mittel“ geworden – quasi zur Tatwaffe. Für eine Mordanklage muss mindestens ein Mordmerkmal erfüllt sein, das Verwenden eines sogenannten gemeingefährlichen Mittels ist eines, dass die Staatsanwaltschaft nach ihren Ermittlungen erkannt hat.

Wer sind die Verfahrensbeteiligten?

Die Anklage erhebt die Staatsanwaltschaft gegen den Beschuldigten. Er hat den Stuttgarter Anwalt Markus Bessler als Verteidiger an seiner Seite. Der Jurist hat angekündigt, den Mordvorwurf gegen seinen Mandanten widerlegen zu wollen. Dann sitzt noch eine weitere Partei im Saal, für die der Weg in den Gerichtssaal sicher kein leichter Gang sein wird: Beide Elternpaare der Unfallopfer nehmen am Verfahren teil. Sie wollen mit einem Gedenkstein am Unfallort an das Schicksal ihrer seit mehreren Jahren liierten Kinder erinnern. Die Eltern sind nicht nur Zuhörer, sondern treten als Nebenkläger auf. Es sei ein „ umfangreiches Zeugenprogramm“ in dem Verfahren geplant, sagte ein Sprecher des Gerichts. .

Wurden schon vergleichbare Fälle verhandelt?

In Baden-Württemberg ist das die erste Anklage wegen Mordes nach einem Raserunfall. Zwei Fälle, die deutschlandweit für Aufsehen sorgten, wurden in Berlin und Hamburg verhandel. Allerdings waren dabei die Konstellationen andere. In Hamburg hatte ein Autodieb auf der Flucht vor der Polizei mit einem gestohlenen Taxi Tempo 155 erreicht. Er raste in ein anderes Taxi, dessen Fahrer starb. Das rechtskräftige Urteil sah hier das Mordmerkmal des „gemeingefährlichen Mittels“ vorliegen. In Berlin lieferten sich zwei Männer ein Autorennen am Kurfürstendamm. Sie missachteten auf der Fahrt etliche Rot zeigende Ampeln. Ein Auto rammte den Wagen eines 69-Jährigen auf einer Kreuzung. Der Mann starb in seinem Auto. Auch hier fiel ein Mordurteil, das allerdings noch nicht rechtskräftig ist. Neu am Stuttgarter Fall und damit auch für Juristen spannend ist im Vergleich zu den Verfahren in Berlin und Hamburg, dass kein weiterer Wagen beteiligt war: Statt einer Verfolgungsjagd oder einer Flucht vor der Polizei war es im vorliegenden Fall offenbar die Lust an der Geschwindigkeit, die den Fahrer aufs Gas treten ließ.