Der Tatort in der Talstraße in Bernhausen: Danach bleibt die Frage nach dem Warum Foto: 7aktuell.de/Eyb

Womöglich war es Drogenkonsum, der einen Randalierer mit dem Messer auf die Polizei losgehen ließ. Das soll eine Obduktion des 29-Jährigen klären, der mit zwei Schüssen aus einer Dienstwaffe getötet wurde. Der Staatsanwalt spricht von Notwehr.

Filderstadt - Es gibt Ereignisse, die auch einen Kirchenmann um Worte ringen lassen. „Mein Mitgefühl gilt beiden“, sagt Rainer Kiess, Dekan der Evangelischen Kirchengemeinde Bernhausen, „den Eltern, die ihr Kind verloren haben, und dem Polizisten, der Leben geschützt hat.“ Gleich neben dem Dekanatamt und der Petruskirche sind am Tag zuvor die tödlichen Schüsse gefallen. Ein 29-Jähriger aus der Nachbarschaft hatte mit Samurai-Schwert und Messer randaliert, war dann in der Talstraße mit einem Messer auf einen Polizisten losgegangen. Der schoss zweimal. Der 29-Jährige starb. „Wer“, sagt Dekan Kiess, „will da ein Urteil abgeben?“

Im Erdgeschoss des Wohnkomplexes, in dem der Getötete mit seinen Eltern lebte, ist die Kiosk-Betreiberin am Montag „völlig durch den Wind“. Wegen Personalmangels kann sie ohnehin nur mittags zwei Stunden öffnen, und alle, die sich hier mit einem Vesper versorgen, sprechen jetzt nur über dieses eine Thema. Man fühlt mit den Eltern, man kann es nicht fassen. Das sei doch immer „ein lieber Junge“ gewesen. Und jetzt ziehen die sozialen Netzwerke über ihn her.

Drohungen und Pfefferspray blieben wirkungslos

Wer will da ein Urteil abgeben? Die Polizei erklärt, am Sonntagnachmittag sei ein innerfamiliärer Streit ausgebrochen. Der Vater sagt dagegen, es habe gar keinen Streit gegeben. Vielmehr habe er seinen Sohn, den er „so noch nie erlebt“ habe, beruhigen wollen. Der 29-Jährige soll sich in einem psychischen Ausnahmezustand befunden haben. „Die Ermittlungen ergaben Hinweise auf einen möglicherweise vorangegangenen Drogenkonsum“, sagt Polizeisprecherin Andrea Kopp. Hatte der Mann daher die Aufforderungen und Drohungen der Polizei in den Wind geschlagen und selbst die Wirkung von Pfefferspray ignoriert?

Eine Nachbarin erzählt, dass ihre Enkelin den „Mann mit dem Schwert“ noch vom Spielplatz aus gesehen habe und weggerannt sei. Ihre Tochter habe sie noch angerufen und aufgefordert, die Terrassentür zu schließen, weil da einer mit einem Schwert rumrenne. Was wohl zu spät gewesen wäre.

Denn die Polizei war da schon vorne auf der Straße. „Der junge Mann war immer freundlich“, sagt die Nachbarin. „Warum hat er das Messer nicht weggeworfen?“

Laut Polizeiprotokollen rasten um 14.40 Uhr drei Streifenwagenbesatzungen in die Talstraße. Anwohner hörten deutlich die Rufe der Polizisten, das Messer wegzulegen. Alles ging in Minutenschnelle. Kurz nach 14.45 Uhr fielen die Schüsse. Um 14.47 Uhr war der Notarzt unterwegs. Er konnte dem 29-Jährigen nicht mehr helfen.

Polizeiexperte fordert Elektroschocker

Laut Polizeisprecherin handelt es sich bei dem Schützen um einen erfahrenen Beamten. Mitte 30, ein Polizeioberkommissar. Ob er rechtmäßig gehandelt hat, „wird nun routinemäßig untersucht“, sagt Staatsanwalts-Sprecher Jan Holzner. Es heißt, der Angreifer sei im Abstand von nur vier Metern mit erhobenem Messer auf den Beamten zugelaufen. Der Staatsanwalt will den Untersuchungen nicht vorgreifen, sagt aber: „Bisher spricht vieles dafür, dass es sich um Notwehr handelte.“

„Wenn das so abgelaufen ist, dann hat ein Beamter kaum mehr andere Möglichkeiten“, sagt Peter Kollmannthaler. Der inzwischen pensionierte Leiter des Einsatztrainings bei der Stuttgarter Polizei sagt, dass es bei einem Angreifer mit Messer dann nur noch eines gibt: „Schießen und zur Seite ausweichen, denn der Täter wird zunächst weitergehen.“ Es sei eine Legende, dass ein Schuss ins Bein oder in den Arm einen Angreifer sofort stoppe. Kollmannthaler fordert den Test von Elektro-Impulswaffen, die auf Distanz Elektroschocks schleudern. „Alles, was den Schusswaffengebrauch vermeiden hilft, sollten wir haben“, sagt er. Eine Kugel sei gefährlich – leicht könne sie auch Unbeteiligte treffen.

In Bad Boll geht gleiche Situation glücklich aus

Denn solche Situationen sind keine Seltenheit. Erst drei Tage zuvor, an Fronleichnam, hatte ein psychisch Kranker in Bad Boll, Kreis Göppingen, mit Messer und Schwert randaliert. Auch hier musste die Polizei zur Festnahme schreiten. Der 52-Jährige hatte sich in seine Wohnung zurückgezogen und war äußerst aggressiv. „Wir hatten schon Spezialkräfte angefordert“, sagt Polizeisprecher Wolfgang Jürgens. Dann ging aber alles unverhofft schnell zu Ende: „Als der Mann kurz zur Tür raus schaute, haben die in der Nähe stehenden Beamte schnell zugegriffen“, so Jürgens. Eine günstige Gelegenheit.

In Bernhausen gab es die günstige Gelegenheit nicht. Gibt es Trost? „Für den tiefen Verlust kann es nur einen Allerweltstrost geben“, sagt Dekan Kiess. Ein wirklicher Trost sei aber, und davon sei er überzeugt, dass es eine Hoffnung gebe: „Dass es etwas gibt, das über dieses Leben hinaus geht.“