Insbesondere Senioren verunglücken häufig schwer im Haushalt. Foto: dpa

Stürzen alte Menschen im Haushalt oder im Straßenverkehr, hat das häufig schwerwiegende Folgen: Jeder dritte bis vierte Patient über 85 Jahre mit einem Knochenbruch am Hüftgelenk stirbt innerhalb des ersten Jahres. Nur Gefahrenzonen zu meiden reicht nicht.

Ulm/Stuttgart - Der offensichtlich Schuldige ist schnell gefunden: die Teppichkante, der hohe Bordstein, das Kabel der Stehlampe im Wohnzimmer. Alles Stolperfallen, deretwegen pro Jahr in Deutschland mehr als 300.000 Senioren mit Sturzverletzungen in Krankenhäuser eingeliefert werden.

Teppiche lassen sich zwar einrollen, Treppenstufen können rutschsicher gemacht werden, und dank hellerer Lampen werden Stolperfallen besser erkannt. Diese und weitere Tipps hat die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) anlässlich ihres Kongresses im Oktober zusammengestellt, um Unfallgefahren im Haushalt zu reduzieren. Doch damit allein lassen sich Stürze nicht verhindern, sagen Experten wie Florian Gebhard, DGU-Mitglied und Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfallchirurgie in Ulm.

Denn es gebe viel mehr Auslöser, die Menschen ab 75 Jahren immer häufiger zu Fall brächten, sagt der Unfallchirurg Gebhard. Im Vergleich zu einem 30-Jährigen hat die Muskelmasse bei einem 70-Jährigen schon 20 Prozent abgenommen. Der gleiche Wert gilt für die Gehirndurchblutung. Die Augen werden schlechter, bei Dämmerung erkennt man weniger. Und weil sich viele im Alter nicht mehr so viel bewegen, nimmt die Leistungs- und Reaktionsfähigkeit ab.

Hinzu kommt, dass viele ältere Menschen auf Medikamente angewiesen sind, sie sich im Körper anreichern können, weil die Ausscheidungsfunktion der Nieren im Alter nachlässt, der Körperfettanteil dagegen zunimmt. Die Wirkstoffe brauchen also länger, bis sie wieder abgebaut sind. Insbesondere Schlafmittel können bei alten Menschen zu einem Restspiegel führen.

„Die Heilung bedeutet meist Bettlägerigkeit“

Kleinere Stolperer können dann schnell zur Katastrophe werden, weil der Körper nicht mehr so flexibel darauf reagieren kann. „Es ist im Grunde nicht die Teppichkante, die schuld am Sturz ist, sondern ein Moment der Unaufmerksamkeit, gepaart mit der körperlichen Eingeschränktheit“, sagt Clemens Becker, Chefarzt der Geriatrischen Rehabilitationsklinik des Robert-Bosch-Krankenhauses in Stuttgart.

Dorthin kommen die Menschen, die nach schweren Krankheiten oder Operationen wieder fit gemacht werden sollen für ein möglichst selbstständiges Leben. Doch das ist in vielen Fällen kompliziert, sagt Becker. Ganz gefährliche und sehr häufige Brüche, die sich Senioren bei Stürzen zuziehen, sind Frakturen nahe des Hüftgelenks – etwa der Oberschenkelhals oder die Hüftknochen.

„Die Heilung bedeutet meist Bettlägerigkeit“, sagt der Ulmer Unfallchirurg Gebhard. „Ältere verlieren während eines Krankenhausaufenthalts etwa ein Viertel ihrer Muskulatur“, sagt auch Becker. Für viele ist es schwer, diese wieder zu kräftigen. Sie werden zum Pflegefall. Zahlen der DGU zeigen, dass jeder dritte bis vierte Patient über 85 Jahre mit einem Bruch am Hüftgelenk innerhalb des ersten Jahres verstirbt.

Umso wichtiger ist es, auch im Alter auf die Beweglichkeit zu achten. So haben Studien gezeigt, dass ein Drittel der Sturzverletzungen vermeidbar gewesen wäre, wenn die körperliche Verfassung der Senioren besser gewesen wäre. Regelmäßige Bewegung, einfache Balance-Übungen und ein wenig Krafttraining geben älteren Menschen die Sicherheit bei alltäglichen Bewegungsabläufen zurück.

Schwindel durch Blutdruckmittel

So gibt es Kurse zur Vorbeugung, die Krankenkassen, Sportgruppen oder Wohlfahrtsverbände anbieten. Gut geeignet sind auch regelmäßige Tanzstunden, Nordic Walking, sowie Tai-Chi und Qigong. „Wichtig ist, dass der Sport mindestens zweimal die Woche ausgeübt wird, damit sich auch ein Effekt zeigt“, sagt Becker. Am besten ist es dabei, vor die Türe zu gehen. Denn die Sonneneinstrahlung bewirkt, dass sich das körpereigene Hormon Vitamin D bildet. Das trägt zur Stärkung der Muskulatur bei.

Zudem sollten Menschen ab dem Alter von 75 Jahren regelmäßig ihre Medikamenteneinnahme vom Hausarzt überprüfen lassen. „Blutdruckmittel können – wenn sie zu stark eingestellt sind – häufig Schwindel hervorrufen“, sagt Becker.

Für Brillenträger ist auch eine Zweitbrille sinnvoll: So ergab 2010 eine Studie im Britischen Ärzteblatt, dass Gleitsichtbrillen oder auch Bifokalbrillen in vielen Lebensbereichen zweifellos Vorteile haben, etwa beim Fahren, Einkaufen und Kochen. Doch im Freien erhöhen solche Brillen das Sturzrisiko: „Die unscharfe Fernsicht im unteren Bereich der Brille kann beispielsweise beim Treppensteigen oder Wandern schnell zu Fehleinschätzungen führen“, sagt Becker.

Hohe Behandlungskosten von Sturzverletzungen

Doch im Alltag ist es meist schwer, die Forschungsergebnisse in die Lebenswelt der Älteren zu bringen. Ein gelungenes Beispiel hierfür gibt es nach Meinung des Gerontologen Becker derzeit in Stuttgart und in Reutlingen. In dem vom Bundesforschungsministerium und dem Robert-Bosch-Krankenhaus geförderten Projekt „Schritt halten“ werden bestehende Angebote vernetzt, welche die sichere Bewegung älterer Menschen stärken. Nachzulesen ist das beispielsweise in einer Broschüre, die in Apotheken und Arztpraxen ausliegt.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die Stuttgarter Broschüre „fit ab 50 in Mönchfeld“. Durch solche Ansätze sollen die Angebote in der Öffentlichkeit besser wahrgenommen werden. Experte Becker hofft, dass sich solche Programme in weiteren Kommunen durchsetzen. „Das würde auch die Gesundheitskosten senken.“

Laut Studien betragen die Behandlungskosten der Sturzverletzungen von Älteren mehr als drei Milliarden Euro. „Es ist realistisch, dass man aufgrund von einer flächendeckenden Sturzprävention ein Drittel davon einsparen könnte“, sagt Becker.