Todeszelle im Gefängnis von Huntsville in Texas: In diesem Jahr wurden in den USA bereits 20 Menschen hingerichtet, im vergangenen Jahr 39 Foto: dpa

Hinrichtungen mit der Giftspritze werden in den USA zum Problem. Jetzt sagt sogar der Oberste Gerichtshof Nein. Der Hintergrund ist makaber: Den USA gehen Gifte aus, die möglichst schnell und schmerzfrei töten.

Hinrichtungen mit der Giftspritze werden in den USA zum Problem. Jetzt sagt sogar der Oberste Gerichtshof Nein. Der Hintergrund ist makaber: Den USA gehen Gifte aus, die möglichst schnell und schmerzfrei töten.

Washington - Ein Vierteljahrhundert lang tötete Jerry Givens (61) im Namen des Volkes. Aus Überzeugung, weil er als junger Mann den brutalen Mord eines Mädchens mit ansehen musste. Heute besuchen ihn die 63 Hingerichteten in seinen Träumen. Und tagsüber verfolgt den pensionierten Henker von Virginia der ganz und gar beunruhigende Gedanke: Was wäre, wenn einer von ihnen unschuldig war?

Wie Earl Washington Jr., der siebzehn Jahre wegen einer Vergewaltigung und einem Mord im Gefängnis saß, die er nicht begangen hatte. 2001 kam er nach einem DNA-Test als erster Todeskandidat des Bundesstaats auf freien Fuß.

„Hätte ich eine unschuldige Person hingerichtet, wäre ich kein bisschen besser als die Leute in der Death Row’“, sagt Givens, der bereits einen Termin für Washington im Kalender stehen hatte. Wenige Tage vor der Vollstreckung des Urteils schafften es dessen Anwälte, die Beweisaufnahme noch einmal neu aufzurollen. In allen anderen Fällen muss der Henker des Bundesstaates mit den meisten Exekutionen nach Texas mit der Ungewissheit leben.

Anteil der Unschuldigen auf etwa vier Prozent geschätzt

Dabei ist das Risiko groß, dass seit der Wiedereinführung der Todesstrafe in den USA 1976 auch unbescholtene Bürger hingerichtet wurden. Eine Studie der Universität von Michigan schätzt den Anteil der Unschuldigen unter den 7482 Todeskandidaten auf etwa vier Prozent. Seit Zulassung der ersten DNA-Tests 1989 kamen laut „Innocence Project“ 316 Justizopfer auf freien Fuß. Knapp die Hälfte der Betroffenen saß in der Todeszelle.

„Für einige Leute war das ein Aha-Moment“, meint Richard Dieter vom „Death Penalty Information Center“ in Washington. Die ganz reale Möglichkeit der Hinrichtung eines Unschuldigen habe zu einem Einstellungswandel in den USA geführt.

Niemand verkörpert diese Entwicklung so sehr wie der ehemalige Henker von Virginia. Der Gefängniswärter meldete sich freiwillig für den Job. „Ich dachte, es gibt Leute, die den Tod verdient haben“, steht Givens zu seiner damaligen Sicht. Diese war von dem Trauma geprägt, als Jugendlicher miterleben zu müssen, wie ein Bewaffneter eine Party stürmte, wahllos um sich schoss und das Mädchen tötete, mit dem er tanzenwollte. Givens rief die Bluttat in Erinnerung als er im Oktober 1984 erstmals vor der Aufgabe stand einen Todeskandidaten ins Jenseits zu befördern.

Der berüchtigte Massenmörder Linwood Briley hatte vor der Vollstreckung des Urteils darum gebeten, die Taufe zu empfangen. Briley kniete in der Gefängnis-Kapelle neben seinem Henker, der ihn kurz darauf auf dem Holzstuhl festschnallte. „Das schwierigste war der Rollenwechsel vom Wärter zum Vollstrecker“, beschreibt Givens die absurde Situation, einem Menschen das Leben zu nehmen, für den er eben noch gebetet hatte. Schlag 11 Uhr drückt er auf den roten Knopf.

Tödlicher Cocktail: Sodiumthiopental, Pancuroniumbromid, Kaliumchlorid

Mitte der 1990er musterte Virginia den elektrischen Stuhl aus. Wie alle anderen der 32 Gliedstaaten der USA, in denen die Todesstrafe bis heute im Gesetzbuch steht, richtete der Commonwealth seine Verurteilten fortan mit einem Giftcocktail hin. Über eine Venenkanüle wird zunächst das Narkosemittel Sodiumthiopental verabreicht. Danach stoppt eine Dosis Pancuroniumbromid die Atmung, bevor Kaliumchlorid das Herz zum Stillstand bringt. Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten segnete die angeblich „humanere“ Methode 2008 ab.

Als Reaktion auf den Missbrauch seiner für den Erhalt von leben entwickelten Medikamente stellte der einzige US-Hersteller Hospira 2011 die Produktion in den USA ein. Gleichzeitig verhängte die Europäische Union ein Ausfuhrverbot. In Oklahoma, Missouri, Ohio, Florida, Texas und anderen Bundesstaaten neigen sich die brauchbaren Vorräte dem Ende entgegen.

In ihrer Not beginnen die Verantwortlichen zu experimentieren. Mit horrendem Ausgang, wie zwei grausame Exekutionen der letzten Wochen zeigten. In Oklahoma kämpfte der verurteilte Mörder Clayton Lockett im April 43 Minuten lang mit einem unerprobten Giftgemisch. Die Hinrichtung musste abgebrochen werden, weil der 38-jährige Mann sich vor Schmerzen nur so krümmte. Er verstarb anschließend an einem Herzinfarkt. US-Präsident Barack Obama versprach eine Untersuchung der Umstände.

Was im Januar in Ohio Dennis McGuire widerfuhr dürfte auch alles andere als human sein. Er rang 22 Minuten mit einem qualvollen Tod durch einen ungetesteten Giftcocktail. In der Kombination war das selbst dem tendenziell konservativen Obersten Gerichtshof zu viel. Mit fünf zu vier Stimmen stoppten die Verfassungsrichter kürzlich in letzter Minute die Exekution Russel Bucklew’s, der in Missouri mit einem neuen Chemikalien-Mix getötet werden sollte.

Wyoming, Missouri und Utah erwägen wieder Erschießungs-Kommandos

In einigen Bundesstaaten gibt es angesichts der Engpässe Überlegungen, zu altbewährten Methoden zurück zu kehren. Wyoming, Missouri und Utah erwägen wieder Erschießungs-Kommandos zuzulassen, Tennessee nimmt den elektrischen Stuhl wieder in Betrieb und auch in Virginia gibt es einen Vorstoß, wieder auf die Variante mit dem Stromstoß zurückzugreifen. „Keine gute Idee“, appellierte Ex-Henker Givens Anfang des Jahres bei einer Anhörung im Senat des Commonwealth leidenschaftlich an die Gesetzgeber. „Stellen Sie sich vor, was die Augenzeugen ertragen müssen, wenn Feuer und Rauch aus dem Körper kommen.“

Für den Antrag der Republikaner fand sich keine Mehrheit. Damit steht Virginia vor einem nicht ganz freiwilligen Moratorium. Wie andere Bundesstaaten auch. Todesstrafen-Gegner Dieter erwartet in der Folge einen weiteren Rückgang der Hinrichtungen. Diese sind von 98 auf dem Höhepunkt 1998 auf ein Drittel im vergangenen Jahr gefallen. Angesichts der neuen rechtlichen Hürden werden es 2014 noch weniger sein. „Wir erleben das langsame Ende der Todesstrafe“.

Seinen Optimismus gründet Dieter auch auf die wachsende Zahl an Bundesstaaten, die auf die ultimative Strafe verzichten. Seit 2007 schafften sechs Staaten die Todesstrafe ab. Washington und Oregon verhängten ein freiwilliges Moratorium. Givens hofft, auch in Virginia werde sich die Einsicht durchsetzen, zu der er selber durch einen Weckruf gelangte. Den erhielt er wenige Tage vor einer angesetzten Exekution als er 1999 selber ins Visier der Justiz geriet. Unbedacht hatte er zusammen mit einem alten Kumpel aus Richmond ein Auto gekauft. Die Mittel des Freundes stammten aus dem Handel mit Drogen. Givens beteuert, er habe nichts davon gewusst.

Plötzlich fand sich der Wärter selber für vier Jahre hinter Gittern wieder. „Unschuldiges Opfer eines Justizirrtums“, wie er bis heute standfest behauptet. „Das war Gottes Weg, mich von meinem Tun abzubringen“, deutet er das abrupte Ende seiner Karriere als Henker von Virginia.

Ein Reporter fragte den zu nationaler Prominenz aufgestiegenen Todesstrafen-Gegner kürzlich, ob er etwas in seinem Leben anders würde, wenn er könnte? „Ich bedauere sehr, den falschen Beruf ergriffen zu haben.“