Die Verteidigerin Anke Stiefel-Bechdolf (links) begleitet Elisabeth S. (Bildmitte) in den Großen Schwurgerichtssaal im Heilbronner Landgericht. Foto: dpa

Glaubt man der Angeklagten, hat sie es eigentlich nur gut gemeint, wollte sie ihrem Schützling nur helfen. Das Problem: danach war der Siebenjährige tot. Der Vater des Buben reagiert wütend auf eine Erklärung, die immer noch wenig erklärt: „Sie wusste genau, was sie tat.“

Künzelsau/Heilbronn - Der Richter hat die Hoffnung schon aufgegeben. „Bekommen wir Antworten auf unsere Fragen?“, sagt Roland Kleinschroth, der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer am Heilbronner Landgericht – und beantwortet diese Frage gleich selbst. „Leider nein.“ Doch, es werde eine Erklärung geben, kündigt die Verteidigerin Anke Stiefel-Bechdolf an. Elisabeth S., 70 Jahre alt, ehemalige Krankenschwester aus Künzelsau, angeklagt wegen Totschlags an einem Siebenjährigen, will sich am achten Verhandlungstag erstmals dazu äußern, was aus ihrer Sicht am 27. April 2018 geschah.

Die Eltern des toten Jungen, den Elisabeth S. von klein auf regelmäßig betreut hatte, warten schon lange auf diese Erklärung. Doch als die Angeklagte nach einer guten halben Stunde fertig ist mit ihrer immer wieder von Weinen und Wimmern unterbrochenen Erzählung, mischt sich Wut in die Verzweiflung des Vaters. Es wäre unerträglich, wenn das Gericht der Taktiererei von Frau S. auf den Leim ginge. Die Angeklagte, so der Vater, sei „eine unglaubliche Schauspielerin, die genau wusste, was sie tat“.

Vor Panik falsch reagiert?

Elisabeth S. hat genau das zuvor bestritten. „Es ist für mich unerklärlich, wie ich in dieser Nacht reagiert habe“, sagt sie, als sie auf die 18 Fragen antwortet, die ihr das Gericht vor zehn Tagen gestellt hat. Sie, die in jener Zeit ohnehin schlecht geschlafen habe, sei aufgewacht. Der Junge habe nicht richtig geatmet. „Ich dachte, er hat was verschluckt, ihm steckt etwas im Hals“, so die 70-Jährige. Da habe sie ihn mit beiden Händen am Hals gepackt, zugedrückt und geschüttelt. „Ich war so in Angst um ihn.“ Vor Panik habe sie nicht richtig reagiert, „ich habe nicht abrufen können, was ich gelernt habe“, erklärt die ehemalige Krankenschwester.

Der Siebenjährige sollte in jener Nacht bei ihr übernachten, weil die Eltern ein Konzert besuchen wollten. Es war nicht das erste Mal, das hatte es hin und wieder schon gegeben. Den Nachmittag beschreibt Elisabeth S. als harmonisch. „Wir hatten nie ein Problem miteinander“, sagt sie. Es habe keinerlei Streit gegeben zwischen ihnen, niemals, das beteuert sie mehrfach. Um 19.45 Uhr hat sie noch Fotos gemacht von dem Jungen, wie er in die Kamera lacht. „Er war für mich einer der wichtigsten Menschen“, sie habe sich gefreut, wie das Kind sich entwickle. Sie habe auch keine Verlustängste gehabt, ihr sei klar gewesen, dass die Besuche des Buben seltener würden, je älter er werde, „das war für mich selbstverständlich“. Die Staatsanwaltschaft glaubt, Elisabeth S. habe den Siebenjährigen getötet, weil sie genau das eben nicht ertragen habe.

Die 70-Jährige klagt über Depressionen und Schlafprobleme

Ihr selbst sei es zu jener Zeit nicht gut gegangen. Sie habe große Schlafprobleme gehabt und sei depressiv gewesen. „Ich habe viel geweint und musste mich zu allem zwingen“, sagt die Angeklagte. Darüber geredet habe sie aber mit niemandem. „Das sollte keiner merken.“

„Ich bin froh, dass Sie sich, wenn auch spät, doch noch geöffnet haben“, erklärt der Richter. Dennoch bleiben viele Punkte unklar. Da ist etwa die Sache mit dem Bad. Sie habe den Jungen gefragt, ob er sich die Haare waschen wolle. Er habe ja gesagt, und sie habe deshalb die Badewanne eingelassen. Später habe er es sich anders überlegt. Die Wanne sei gefüllt gebleiben, weil sie vergessen habe, sie wieder abzulassen. Die Eltern des – recht wasserscheuen – Kindes halten diese Schilderung für Unsinn. Den Sohn zu baden, „war eine mittlere Katastrophe“, ihn auch nur zu duschen war immer noch „eine Herausforderung“, erinnert sich der Vater.

Die Eltern halten die Erklärung für Unsinn

Auch die Frage, wie der – schon tote Junge – in die Wanne kam, bleibt offen. Elisabeth S. sagt, sie habe das schon leblose Kind mit dem Oberkörper über die Badewanne gehängt, um ihn mit Wasser zu bespritzen. Dabei sei er hineingefallen. Die Eltern fanden ihr totes Kind am nächsten Morgen aber nicht irgendwie schief im Wasser, sondern ganz normal auf dem Rücken liegend.

Auf die Hausärztin wirkte die Angeklagte eher unruhig

Fünf Tage vor der Tat war Elisabeth S. zusammen mit dem Siebenjährigen und dessen Mutter beim Eisessen gewesen. Auch davon gibt es Fotos, auf denen der Bub und die Pflegeoma um die Wette strahlen. Der Kindsvater glaubt deshalb nicht an Depressionen: „Da war sie das blühende Leben“, sagt er. Auf ihre Hausärztin, eine Nachbarin des getöteten Buben und mit den Eltern gut bekannt, hat Elisabeth S. eher als unruhig denn als depressiv gewirkt. 2010, kurz nachdem Elisabeth S.’s Mann gestorben sei, habe sie deprimierter gewirkt. Die Angeklagte hatte die Ärztin genau eine Woche vor der Tat nach einer fünfjährigen Pause wegen ihrer Schlafprobleme konsultiert. Sie habe ihr dabei aber auch vom bevorstehenden Besuch des Jungen erzählt und dass sie sich darauf freue, erzählt die Medizinerin. „Am Wochenende“, habe Elisabeth S. gesagt, „ sehe ich meinen Sonnenschein.“

Der Prozess wird fortgesetzt, das Urteil wird Anfang Februar erwartet.