Toctronic bei ihrem Auftritt im LKA in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Tocotronic waren am Freitagabend im LKA in Stuttgart. Von den Anschlägen in Paris bekam zu dieser Zeit niemand etwas mit. So spielen Tocotronic eines ihrer besten Konzerte in Stuttgart. Es ist laut, heiß und geht nach vorne.

Stuttgart - Was wird man den Kindern mal von den neunziger Jahren erzählen? Von jenen Jahren, in denen es schick war, in Trainingsjacken auf Konzerte zu gehen? Als es noch keinen Justin Bieber, kein Instagram gab. Man sich nicht via Whats App, auf dem Spielplatz oder vor der Konzerthalle verabredete.

Das Gute: Den Kindern wird es vielleicht nicht peinlich sein, dass man immer noch nach all den Jahren Tocotronic hört. Die Band hat auch auf der aktuellen Platte namens „Das Rote Album“ viel zu sagen zu der Liebe und dem Leben. Einige der 1300 Gäste am Freitagabend im sehr heißen LKA, schauen während der ganz wunderbaren Vorgruppe Sarah and Julian immer mal wieder auf das Smartphone, ob beim Babysitter daheim alles gut ist.

Das Älterwerden ist ja immer wieder ein Thema in der Popmusik. Man darf aber nicht vergessen: Nicht nur die da oben auf der Bühne haben graue Schläfen von schlaflosen Nächten, auch die davor haben es. Wir sind mit der Band älter geworden, haben gelebt, gelitten, geliebt. Und Dirk von Lowtzow sang in jeder Lebensphase dazu.

Seit mehr als zwanzig Jahren gibt es Tocotronic. Wahrscheinlich sind sie genau jetzt in ihrer absoluten Hochphase. Der Gig im Stuttgarter LKA ist ein Konzert, wie es sein muss: 100 Minuten lang, mit viel Schweiß und Enthusiasmus, tanzenden Menschen, alten und neuen Liedern mit klugen Zeilen, die live noch lauter und roher als auf Platte sind. Von einer Band, die super aufeinander abgestimmt ist: Rick McPhail an der Gitarre, Arne Zank am Schlagzeug, der niemals älter werdende Jan Müller am Bass und Dirk von Lowtzow natürlich, der regelrecht enthusiasmiert Lieder ansagt, sich bedankt und Anekdoten erzählt. Wie jene zum Beispiel, dass er ganz frisch den Führerschein hatte, zum Konzert von Sonic Youth und Nirvana ins Stuttgarter Longhorn fuhr. Dass es ihm gefällt, dass er in einem Artikel mit Justin Bieber verglichen wird. Überhaupt: von Lowtzow ist bestens gelaunt, küsst eine Rose am Stiel und wirft sie ins Publikum, um „Du bist immer für mich da“ anzustimmen. Tocotronic spielen einige neue Lieder wie etwa „Die Erwachsenen“, in dem es heißt „Man kann den Erwachsenen nicht trauen“, oder auch „Rebel Boy“, „Jungfernfahrt“ und „Ich öffne mich“. Es gibt aber auch alte Gassenhauer wie „Drüben auf dem Hügel“ oder „Digital ist besser“, die Klassiker aus der Turnjackenzeit. Aber: Das hier ist gar nicht nostalgisch, sondern absolut gegenwärtig. Das schaffen nicht viele.