Tocotronic im LKA in Stuttgart Foto: Steffen Schmid

Das Konzert von Tocotronic am Mittwochabend im LKA erzählt vom Rock nach dem Rock.

Stuttgart - "Wir waren Tocotronic, und wir liebten euch", wird Dirk von Lowtzow am Ende den knapp 1500 Zuhörern zurufen. Es war laut, es war dröhnend an diesem Mittwochabend im LKA. Doch eine haltlos-leidenschaftliche Affäre war es trotzdem nicht.

Die Liebe steht auch am Anfang des Konzerts. Der Verweigerungsode "Eure Liebe tötet mich", die das aktuelle Tocotronic-Album "Schall und Wahn" eröffnet, wird live allerdings alle Sanftheit ausgetrieben. "Die Blumen glotzen mich an / Von oben herab / Ein Sterben lang", singt von Lowtzow zu Arne Zanks wirbelndem Schlagzeug, zur pfeifenden Gitarre Rick McPhails, zu Jan Müllers dumpf pochendem Bass.

Es ist ein mürrisch aufstampfendes Rockungetüm, das sich hier lärmend auf der Bühne aufbaut. Und die besten Songs des Abends werden es dem Opener gleichtun. Von Tocotronics Rückkehr zu ihren Anfängen war schon immer mal wieder die Rede, als das Album "Kapitulation" (2007) erschien. Und auch "Schall und Wahn" - seit Januar in den Läden - könnte an manchen Stellen das Missverständnis nähren, dass die inzwischen in Hamburg und Berlin beheimatete Band dem Schrammelrock der frühen Jahre wieder nähersteht als den poetisch-artifiziellen Poparchitekturen der Meisterwerke "Tocotronic" (2002) und "Pure Vernunft darf niemals siegen" (2005).

Doch wer am Mittwoch die Ohren aufsperrt, der merkt schnell, dass Tocotronic alles andere als eine Rückkehr zum trashigen Heulsusen-Grunge ihrer Frühzeit im Sinn haben. Hier wackelt und kracht nichts mehr. Stattdessen kann man konzentriert musizierenden Männern zuhören, die auch bei scheinbar einfach gebauten Nummern eher mit dem Postrock flirten als mit der unbeschwert lärmenden Postadoleszenz.

Das gilt nicht nur naturgemäß für neuere Songs wie "Gift", "Mach es nicht selbst" oder "Verschwör dich gegen dich", sondern auch für Neuinterpretationen des Frühwerks: für das mit einem sperrigen Staccato aufgebrochene "Drüben am Hügel" etwa oder für "Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit", den allerersten Song, den Tocotronic je gespielt haben und der jetzt mit einem langanhaltenden Gitarrenfeedback und mit sich immer neu überlagernden mürben Harmonien das Konzert am Ende der Zugaben abschließt.

Kalkül und eine gewisse Gefühlskälte

Tocotronic feiern bei ihrem tatsächlich erst zweiten Gastspiel in Stuttgart keinesfalls ein Fest des Ungestümen. Hinter der Gitarrenrockfassade lauern stets Kalkül, Genauigkeit und eine gewisse Gefühlskälte. Das Frühwerk wird dekonstruiert - von der Schnoddrigkeit von "Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen" lässt die Live-Version nicht viel übrig. Stattdessen verleiht Rick McPhails Gitarrenarbeit diesem wie vielen anderen Songs eine unerhörte Schwere.

Dirk von Lowtzow singt dazu von der Lust an der Unlust, von der Freude an der Niederlage, dem befreienden Gefühl des Aufgebens und von euphorischer Wehmut. Dieser ernste und zu einer gewissen Theatralik neigende Mann skandiert erst atemlos-zornig: "Sag alles ab / Wirf alles weg / Halt die Maschine an und / Frag nicht nach dem Zweck!" Später klingt seine Stimme zart und zerbrechlich, wenn er zum Beispiel in "Schall und Wahn" fleht, mitgenommen zu werden, während sich um ihn herum ein Klanggewitter entfacht.

Im Mittelpunkt der Postrock-Kunststücke, die Tocotronic im LKA aufführen, steht von Lowtzow eigentlich immer. Mal scherzt er über eine sich in Vorbereitung befindende Tocotronic-Autobiografie namens "Die Folter endet nie", mal grüßt er alle in Stuttgart beheimatete Dandys, mal widmet er den Song "Keine Meisterwerke mehr" dem US-Undergroundkünstler Jack Smith.

Nur für ein kleines Medley überlässt er Schlagzeuger Arne Zank das Mikrofon, der dann "Bitte gebt mir meinen Verstand zurück" nölt und ein bisschen daran erinnert darf, wie es früher bei Tocotronic zuging.