Besonderen Wert legt Tobias Ulmer auf die Silhouette seiner Looks. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Viele Jahre leitete Tobias Ulmer eine Werbeagentur in Stuttgart. Heute lebt er in New York als Modedesigner. Für ein kurzes Gastspiel ist er zurück in der Stadt.

„Hab Angst“ steht in roten Druckbuchstaben auf Tobias Ulmers Shirt, als er die Kunstgalerie Better Go South betritt. Eine breite schwarze Jacke mit verstärkten Schultern und eine weite Hose in derselben Farbe vervollständigen das Outfit. Schnell wird die düstere Erscheinung des Modedesigners allerdings von einem freundlichen „Hello“ gebrochen. Mit breitem Grinsen begrüßt Ulmer den amerikanischen Künstler JAK, der die lichtdurchfluteten Räume in der Rotebühlstraße in den kommenden Wochen mit seinen Kunstwerken füllen wird. Es werden Witze gerissen und kleine Sticheleien ausgetauscht, dann wandert das Gespräch zum Kern ihres Zusammentreffens.

 

Fünf Jahre ist es nun her, da hat Tobias Ulmer der Stadt und seinem alten Leben den Rücken gekehrt, und Stuttgart Richtung New York verlassen. Jetzt ist er wieder in der Stadt, zumindest für ein paar Tage. Grund dafür ist eine Performance seines Modelabels HYACYN, die er am Freitag zur Eröffnung der Ausstellung „Language Models“ in der Better Go South-Galerie im Stuttgarter Westen beisteuert.

Steiler Aufstieg in der Marketingwelt

Ulmers Lebensweg ist eine Geschichte von steilem Aufstieg, riskanten Entscheidungen und abrupten Kehrtwendungen. Eigentlich möchte er nach dem Abitur Architektur studieren, muss dafür aber einige Wartesemester in Kauf nehmen. Nur um in der Zwischenzeit etwas zu tun zu haben, fängt er als Praktikant in einer Werbeagentur an. „Ich bin niemand, der gerne einfach nur herumsitzt.“, sagt er.

Und das Werbegeschäft scheint ihm zu liegen. Schnell arbeitet er sich im Unternehmen nach oben und macht sich dann mit 22 Jahren selbstständig. Zusammen mit einem Kollegen gründet er die Stuttgarter Agentur Werbewelt. Nur zehn Jahre später beschäftigen die beiden 120 Mitarbeitende und zählen internationale Marken wie etwa Hugo Boss zu ihren Kunden.

Neubeginn in New York

Mit der Zeit merkt Ulmer allerdings, dass ihn die Arbeit in der Agentur nicht mehr erfüllt. Irgendwann sei er immer sarkastischer geworden, meint er. Da weiß er, es ist Zeit für etwas Neues. Schon länger spielt Ulmer mit dem Gedanken mit seinem Mann, in dessen Heimatstadt New York zu ziehen. 2019 macht er schließlich ernst, verkauft seine Anteile an der Agentur an seinen Geschäftspartner und ist weg. Einfach sei die Entscheidung nicht gewesen, meint Ulmer, er sei aber prinzipiell kein ängstlicher Mensch, sondern „eher auf eine positive Art naiv“.

Für den Neuanfang in Amerika hätte Ulmer sich allerdings einen besseren Zeitpunkt aussuchen können. Kaum hatte er sich in New York eingerichtet, sorgt das Coronavirus erstmals für Schlagzeilen, wenig später gibt es die ersten Lockdowns: „Wir haben wirklich ein Jahr lang nur im Apartment gelebt“, erinnert er sich.

Kurz vor der Pandemie besucht Ulmer allerdings noch einen Workshop, der seine weitere Laufbahn in ungeahnter Weise beeinflussen würden. Er lernt dort, Schuhe zu nähen, kauft sich dann eine Nähmaschine und fängt an, erste Schuhmodelle zu entwerfen. Um die Ergebnisse mit der Welt zu teilen, richtet er ein Instagram-Profil mit dem Namen HYACYN ein, postet dort seine selbstproduzierten Schuhe. Erstaunlich schnell hat er auch damit Erfolg. „Das ging dann viral.“, erzählt er, „und ich hab ich darauf aufgebaut.“ Von da an hatte Ulmer Blut geleckt. Schon bald entwirft er nicht mehr nur Schuhe, sondern Jacken, Hosen, Oberteile. HYACYN wird zur Marke und Ulmer vom Marketingmensch zum Modedesigner.

Im Gegensatz zur Werbung, biet die Mode Ulmer die Möglichkeit, sich selbst auszudrücken. Kaum etwas scheint ihm so wichtig zu sein, wie Authentizität. Spricht er über seine Kleidungsstücke, fällt immer wieder das Wort „Heritage“. Seine Designs sollen zu hundert Prozent ihn als Person, seine Eindrücke und Erfahrungen widerspiegeln.

Innerhalb von drei Jahren wurde aus einem Instagram-Kanal ein erfolgreiches Modelabel. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Obwohl Ulmer HYACYN explizit als New Yorker Label versteht, finden sich in der neuesten Kollektion daher viele deutsche Referenzen wieder. Da ist zum Beispiel ein Shirt, das mit dem TÜV-Logo bedruckt ist oder ein Oberteil auf dem „Rasterfahndung“ steht. “Die ganze Kollektion ist von den frühen 80er-Jahren inspiriert”, erklärt er. Das sei eine Zeit sei, die auch ihn als Menschen geprägt hätte.

Besonders die Protestbewegungen der Zeit faszinieren ihn. Man hätte damals zum ersten Mal eine echte Aggression gegen den Staat gespürt, erzählt er, die Zeit von Flower-Power wäre vorbei gewesen. „Bis heute bin ich gefühlt Rebell“, meint er. Begeistert erzählt er auch von der Musik der Zeit, von Bands wie Kraftwerk, die selbst Synthesizer gebaut haben, um die elektronische Musik zu revolutionieren. Es ist kaum verwunderlich, dass Ulmer dieser DIY-Ethos imponiert.

Inspiration kommt auch aus Japan

Seine Mode balanciert irgendwo zwischen High Fashion und Streetwear. Besonderen Wert legt er fast immer auf die Silhouette der Kleidungsstücke. Seine Bomberjacken zum Beispiel haben aufgeplusterte Arme, sitzen an der Taille aber eng. Die Schultern wiederum sind stark gepolstert. Inspiriert wurde Ulmer dabei auch von der japanischen Modewelt. Allgemein spiele Mode dort eine viel größere Rolle meint er. „Dort hat man einfach mehr Mut sich modern zu kleiden.“

Nicht zuletzt deshalb, sieht sich Ulmer auch zukünftig in New York. Aufgeregt erzählt er von der Community an kreativen Köpfen in der Stadt, die in motiviert, selbst immer besser zu werden. In Stuttgart habe er sich oft nicht ganz verstanden gefühlt, weil er trotz seines Erfolgs eben nicht der Typ im Anzug mit dem dicken Wagen war. Gibt es dennoch etwas, dass Stuttgart besser kann als New York? „Definitiv die Verlässlichkeit“, sagt Ulmer und lacht. In New York würde man öfter versetzt werden.

Authentizität statt Kommerz

Wo soll es für HYACYN in Zukunft hingehen? „Ich möchte damit nicht unbedingt in die Kaufhäuser“, meint Ulmer. „Die Marke muss nicht groß sein, nur gut.“ Die eigene Vision zugunsten kommerziellen Erfolgs einzuschränken, komme für ihn nicht infrage. Lieber orientiert er sich an Künstlerinnen wie Björk, die es trotz, oder gerade wegen, ihrer kompromisslose Kunst zu Welterfolg gebracht haben.

Zunächst liegt der ganze Fokus jedoch auf der Show am Freitag. Das Konzept der Performance steht bereits, als sich Tobi Ulmer an diesem Nachmittag in der Galerie mit JAK trifft. Nur der Titel der Performance sorgt noch für Diskussionsbedarf. Am Ende einigen sich die beiden auf „Cells“. Ein Verweis auf das Motiv der Ausstellung, die sich unter anderem mit Frage der Kommunikation im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz auseinandersetzt. Tobias Ulmer hat eine klare Meinung dazu. “Ich bin meine eigene künstliche Intelligenz”, meint er. Angst vor der KI scheint er keine zu haben.

HYACYN in Stuttgart

Zur Ausstellung
Am 14. März startet die Ausstellung „LANGUAGE MODEL“ des amerikanischen Künstlers JAK in der Better Go South Galerie in der Rotebühlstraße 175/1. Die Eröffnung inklusive der HYACYN Show von Tobias Ulmer beginnt um 18 Uhr.