Tobias Rehbergers Aquarell „Weißenhofsiedlung“ Foto: Esslinger Kunstverein

„Der Raum dazwischen und andere Verhältnisse“: Tobias Rehberger, gebürtiger Esslinger, folgt einer Einladung des Esslinger Kunstvereins in die Villa Merkel.

Seine Kindheit und Jugend hat Tobias Rehberger nie verleugnet. 1994 erregte der gebürtige Esslinger mit seinem Debüt in der Galerie von Bärbel Grässlin in Frankfurt am Main Aufsehen. Der angehende Profi, der an der Städelschule bei Thomas Bayrle und Martin Kippenberger studiert hatte, glänzte mit kopierten, aber vierfach vergrößerten Hobbymalereien seines Vaters, denen er mit nachgebauten Möbeln aus der elterlichen Wohnung ein perfektes Ambiente schuf.

Jetzt blickt der gefragte Künstler, der inzwischen selbst an der Städelschule lehrt, beim Esslinger Kunstverein erneut „zurück auf die vertraute Umgebung seiner Kindheit“. Und weil er das aus großer zeitlicher und räumlicher Entfernung tut, nennt sich das Unterfangen sperrig „Der Raum dazwischen und andere Verhältnisse“.

Im Erdgeschoss der Villa Merkel sind es in erster Linie Blicke von oben, die Rehberger auf seine alte Heimat richtet. Als fotorealistisch realisierte riesige Aquarelle füllen sie die stattlichen Wände der Villa aus und bieten dem Betrachter mehr als nur einen Überblick. Man schaut auf das Kloster Denkendorf und auf die Psychiatrische Klinik in Winnenden, auf die Justizvollzugsanstalt in Stammheim und das Atomkraftwerk bei Neckarwestheim, auf einen Truppenübungsplatz und auf die Agnesbrücke in Esslingen, nicht zuletzt auch auf die Krauternte auf den Fildern. Dazu kommen Ansichten von der Weißenhofsiedlung, der Bärenhöhle beim Lichtenstein und dem Dreifarbenhaus in Stuttgart sowie gelinde „Störelemente“, die den Realismus der Bilder in Gestalt wackeliger Linienraster konterkarieren.

In Anbetracht der bearbeiteten Flächen stellt sich die Frage, wie der 48-Jährige das Arbeitsquantum bewältigt hat, wenn die Esslinger Ausstellung, wie zu hören ist, erst seit August vorbereitet wurde. Immerhin ließen die umfangreiche Schau in der Frankfurter Schirn im Frühjahr und ein im Sommer für London komplett mit Tarnanstrich („Dazzle-Camouflage“) versehenes Kriegsschiff aus dem Ersten Weltkrieg Rehberger wohl wenig Muße. Tatsächlich lässt sich der erfolgreiche Künstler, der 2009 für seinen Biennale-Beitrag in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, von einem Team zuarbeiten. Das soll bis zu 25 Köpfen zählen und je nach Bedarf Experten einbeziehen.

In China ist Rehberger keramischem Know-how auf der Spur. „Die können eben, was andere nicht können.“ Wie gut vernetzt der Wahl-Frankfurter ist, machen auch Lampenobjekte deutlich, die den Aquarellen im Erdgeschoss der Villa zugeordnet sind und aus der Ferne, „synchron zur Wohnbeleuchtung ausgewählter Haushalte“, geschaltet werden. Darum erscheint „das ehemalige Merkel’sche Wohnhaus (. . .) für die Dauer der Ausstellung auch nachts belebt.“ So zu lesen auf einem Informationsblatt zur Edition der Ausstellung, dreierlei von Hans-Peter Haas gedruckte Serigrafien in 8/10 Farben auf Somerset 280 g Bütten.

Wie vielerlei Helfer für Rehberger infrage kommen und wie ungebunden er sich als Maler, Bildhauer, Designer, Ideengeber und Konzeptkünstler zwischen künstlerischen Optionen fühlt, erlebt der Besucher im Obergeschoss, wo frühere Arbeiten zu sehen sind. Begehbare, interaktive Skulpturen sprechen seine Sinne an, sind zum Sehen, Hören, Fühlen gedacht. „Schattenskulpturen“ werfen mit entsprechend geformten Öffnungen Worte an die Wand, „Tom Cruise“ zum Beispiel oder „Beeilt Euch“.

Etwas, das „Butter“ heißt, sieht amorph, kantig, hart und nach allem aus, nur nicht wie der sahnige Aufstrich. Ein anderes Objekt endet am unteren Ende mit einer schadhaften Stelle, ist also mit einem Makel behaftet. Noch ein anderes tropft, sofern der eingebaute Tank nicht leer gelaufen ist. „Ich beginne zu ahnen, was Frieden ist“, so der Titel. Man ahnt allmählich auch, was Kunst ist. Sie ist vor allem Projektionsfläche.

Danach gefragt, was „gute Kunst“ ist, lautet die Antwort des Künstlers: „Dass man durch sie auf Sachen kommt, die mehr mit einem selbst zu tun haben als mit dem, was der Künstler wollte.“ Und was ihn inspiriere: „Missverständnisse, Probleme, Fehlinterpretationen. Und natürlich gute Kunst.“

Esslingen, Villa Merkel, Pulverwiesen. Bis zum 23. November. Öffnungszeiten: Di 11 bis 20 Uhr, Mi bis So 11 bis 18 Uhr.