Tizian: „Madonna mit Kind, der heiligen Katharina sowie einem Hirten (Die Madonna mit dem Kaninchen)“ (um 1530), Paris, Musée du Louvre, Département des Peintures Foto: ©bpk / RMN - Grand Palais / Michèle Bellot

Das Städel-Museum in Frankfurt am Main lässt in einer groß angelegten Schau Venedigs Prachtepoche leuchtend auferstehen und feiert Tizian, aber auch andere Meister der Renaissance.

Frankfurt - Das schwarze Gewand täuscht. Alvise dalla Scala hatte einen bunten Beruf. Vielleicht den buntesten in ganz Venedig. Er war vendecolori, Farbenhändler. Während sich die Künstler aus Florenz oder Rom im frühen 16. Jahrhundert das Material für die Palette noch in der Apotheke besorgen mussten, hatten sich in der Lagunenstadt bereits Spezialgeschäfte etabliert, die Pigmente aus allen bekannten Erdteilen verkauften. Kein Geringerer als Tizian setzte dalla Scala in einem Porträt von 1561/62 ein Denkmal. Lieferte der Farbenhändler doch quasi die Grundzutat für jenen leuchtenden Kolorismus, der seit fünfhundert Jahren als Hauptkompetenz der venezianischen Renaissance gilt und der sich bei Weitem nicht auf das berühmte Rot beschränkt.

In den Malerwerkstätten links und rechts des Canal Grande lernte man den Stimmungswert der Farbe so opulent, so anspringend direkt einzusetzen wie nirgends sonst in der italienischen Renaissance. Dies sinnlich erfahrbar zu machen ist das Hauptverdienst der groß angelegten Schau im Frankfurter Städel, wo Venedigs Prachtepoche leuchtend aufersteht. Rund einhundert Werke hat der Kurator Bastian Eclercy zusammengetragen und vor violett getünchte Wände gehängt. Neben Tizian auch bedeutende Zeitgenossen und Nachfolger wie Paolo Veronese, Tintoretto und andere. Ihre Kompositionen wirken auf den Kunstfreund des 21. Jahrhunderts nicht zuletzt deshalb so modern, weil die handwerkliche Perfektion gegenüber der Leidenschaft zurücktritt. Manches Gemälde vermittelt in seiner skizzenhaften Oberfläche noch eine Ahnung davon, wie schnell der Pinsel über die Leinwand geflogen ist, wie die Hand vibriert haben muss, die ihn führte.

Venedig stemmt sich gegen Florenz

Alle stemmten sie sich gegen die florentinische Ästhetik, wonach die Zeichnung das Wichtigste in einem Bild ist. Auf die gestochen scharfen Umrisse eines Raffael, die glatte Porzellanhaut eines Botticelli antworteten Tizian und Co. mit dynamischer Lebendigkeit. Nicht Strich und Linie, Farbe und Licht führten Regie in einem monumentalen Bildtheater wie der „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ von Paolo Veronese. Das natursatte Grün und Braun der Palmen, ein zartwolkiger Himmel und das kühle Fernblau der Berge am Horizont bestimmen das atmosphärische Fluidum der Szenerie. Die taghelle Frische erstaunt umso mehr, als sie komplett aus dem Atelier stammt. Freiluftmalerei existierte, soweit man weiß, noch nicht. Trotzdem kommt ein Tintoretto mit einem Sonnenuntergang schon in die Nähe der Impressionisten. Es hat einen Grund, dass Tizian seinem Farbenhändler-Porträt ein Kästchen mit fein geriebenen Pigmenten auf die Fensterbrüstung stellt, hinter der sich eine abendliche Waldlandschaft erstreckt. Das Farbmaterial, so die verschlüsselte Botschaft, ist der Rohstoff der gemalten Natur.

Virtuelle Naturkulissen

Vielleicht, weil das dicht bebaute, von Wasser umgebene Venedig schon im 16. Jahrhundert den Bewohnern kaum Bäume und Wiesen zu bieten hatte, versuchten die Künstler, das fehlende Grün durch virtuelle Naturkulissen zu ersetzen. An bukolischen Flussufern, zwischen sanften Hügeln legen sich die Liebesgöttinnen und Nymphen zur Ruhe nieder. Dabei folgen Maler wie Paris Bordone oder Palma il Vecchio dem Vorbild ihres früh verstorbenen Kollegen Giorgione, der das Modell der mythologischen Stimmungslandschaft begründet hat und der, wäre er älter geworden, womöglich auch Tizian den historischen Rang abgelaufen hätte – dem titanischen Tizian, der sein Zeitalter überstrahlt, weil er stets millimetergenau Charakter und Haltung der Dargestellten traf.

Auch jetzt in Frankfurt gehört der psychologische Realismus seiner Porträts zu den Höhepunkten. Melancholisch und weltverloren träumt zum Beispiel der junge Mann mit dem roten Barett (ein Eigenbesitz des Städels) vor sich hin. Der fesche Handschuhjüngling aus dem Louvre dagegen weiß offenbar, wie gut er aussieht, und nimmt sein Gegenüber offensiv in den Blick. Beim Bildnis des Dogen Francesco Venier (1554–56) wiederum gelingt Tizian die Gratwanderung, dem Stadtregenten trotz dessen körperlicher Schwäche die ganze raumgreifende Macht eines hohen Amtes mitzugeben.

Allein schon Bassano lohnt die Reise

Geht es hier um Repräsentation und das Andenken an ein Individuum, zeigen die weiblichen Konterfeis nur selten identifizierbare Personen. Bartolomeo Venetos filigran-goldlockige „Flora“ oder Palma il Vecchios Dame mit der provokant geöffneten Bluse sind idealisierte Frauenbildnisse zwischen Göttin und Kurtisane.

Die Schau ist sympathisch aufgebaut, weil sie das Grundthema Farbe an vielen Bildtypen veranschaulicht. Am Ende sprechen Stofflichkeit und Dramatik der Gemälde stets für sich selbst. Um sie staunend zu genießen, muss man nicht genau wissen, welcher Kriegsherr uns da in blitzendem Harnisch aus dem Dunkel entgegentritt, ob Stellung und Proportion der Körper noch zur Renaissance oder schon zum Manierismus gehören.

Unabhängig von den großen Namen wäre allein der oft vergessene Jacopo Bassano eine Reise nach Frankfurt wert. 1510 geboren, entwickelte sich der Nachzügler der goldenen Generation zum steilsten Stilisten Venedigs. Wildes Pathos und flackernde Farben prägen seine Arbeit. Die expressive Gewalt der um 1575 entstandenen Kreuzigung lässt das Blut in den Adern gefrieren. Der nächtliche Kalvarienberg führt nicht nur den Tod Christi vor Augen, sondern den Tod selbst: die totale Finsternis. Mit Schwarz nämlich wussten Venedigs Maler genau so viel anzufangen wie mit Rot und all den anderen Farben, die ihnen Alvise dalla Scala verkauft hat.

„Tizian und die Renaissance in Venedig“ im Frankfurter Städel Museum: bis 26. Mai, Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, Donnerstag, Freitag 11 bis 21 Uhr