Erklomm 2003 als erster Deutscher Platz eins in der Weltrangliste: Der inzwischen 39 Jahre alte Timo Boll. Foto: dpa/Carmen Jaspersen

Mit 39 Jahren ist für Timo Boll noch lange nicht Schluss. Er peilt mit seinem Club Borussia Düsseldorf seine inzwischen elfte Tischtennis-Mannschafts-Meisterschaft an – und auch Olympia 2021 hat der Ausnahmespieler im Visier.

Düsseldorf - Timo Boll ist ein sehr höflicher Mensch. Er entschuldigt sich, dass das Telefongespräch gerade einmal fünf Minuten später beginnt, als vereinbart. „Die Massage hat etwas länger gedauert“, sagt er und schiebt mit einem Schmunzeln hinterher: „Mit 39 Jahren ist man nicht mehr ganz so gelenkig.“

Halbfinale gegen Angstgegner

Seit einem Vierteljahrhundert spielt der in Erbach geborene Hesse Tischtennis auf höchstem Niveau. Im zarten Alter von 14 Jahren debütierte er für den TTV Gönnern in der Bundesliga. Inzwischen hat er zehn deutsche Mannschafts-Meisterschaften gewonnen, 13 deutsche Einzel-Titel und sieben Einzel-Europameister-Titel. Alles erlebt – könnte man meinen. Doch in dieser Woche winkt ihm mit fast 40 doch noch eine Premiere: Der Gewinn seines ersten deutschen „Geister-Meister“-Titels. An diesem Donnerstag (13 Uhr/Eurosport) will er mit dem deutschen Rekordmeister Borussia Düsseldorf daheim gegen Angstgegner TTF Ochsenhausen (von den vergangenen fünf Duellen gingen vier verloren) ins Finale einziehen. Das geht dann am Sonntag (14 Uhr/Eurosport) in Frankfurt über die Bühne. Alles ohne Zuschauer versteht sich.

Stimmung in der Box

Timo Boll kennt diese Bedingungen bereits. Anfang des Monats siegte er beim „Düsseldorf Masters“. Das Turnier hatte Bundestrainer und Tischtennis-Ikone Jörg Roßkopf organisiert, um Spitzenspielern Spielpraxis zu geben. „Da gab es nicht einmal einen Coach. Es war mucksmäuschenstill. Jetzt sitzt immerhin die ganze Mannschaft an der Box und wird einen puschen“, setzt Boll wenigstens auf ein bisschen Stimmung. Er selbst ist jedenfalls hoch motiviert. In der dreimonatigen Saisonunterbrechung hat Boll gemerkt, wie sehr ihm sein Sport fehlt. Außer Athletiktraining konnte er nicht viel tun. Bestimmt hätte er in seiner alten Sporthalle in Höchst im Odenwald – wenn vielleicht auch nur mit einem Tischtennis-Roboter – trainieren können. Doch Boll versuchte die Sondergenehmigung vom Bürgermeister erst gar nicht zu erfragen. „Ich wollte keine Sonderrolle, ich will Vorbild sein und mich an die Regeln halten, die für alle gelten“, sagt er.

Sportsmann durch und durch

Das ist typisch für diesen Prototypen eines Sportsmannes, der sich in vielfältiger Weise sozial engagiert – in Organisationen wie „Sportler für Organspende“ und „Kinderhilfe Organtransplantation“ oder als Schirmherr einer Stiftung, die sich für Straßenkinder in Honduras einsetzt. Boll ist vielfältig interessiert. Langweilig wird dem Vater der sechsjährigen Tochter Zoey Malaya auch ohne seinen Lieblingssport nicht. Doch die Lust auf Tischtennis ist ungebrochen. „Der Tag wird mir sehr, sehr weh tun, an dem ich spüre, dass das Weitermachen keinen Sinn mehr ergibt, weil ich körperlich zu sehr abgebaut habe“, sagt Boll.

16 Siege in der Hauptrunde

Wann das sein wird? „Mein Körper setzt mir das Limit“, erklärt der Linkshänder. Früher zwickte immer wieder der Rücken oder die Halswirbelsäule. Doch immer wieder kam er zurück. Noch immer kann er mit der Weltklasse mithalten. Nicht ein Einzel hat er in dieser Bundesliga-Saison abgegeben. 16 Siege feierte der Routinier in der Hauptrunde. Er scheint voll im Saft zu sein.

Lesen Sie hier: Selbstversuch – so fühlt es sich an, gegen Timo Boll zu spielen

Werden also die auf 2021 verschobenen Olympischen Spiele sogar noch ein Thema sein? Wäre es sein Traum, bei Olympia in Tokio die Laufbahn mit einer Einzelmedaille zu krönen? Zumal es bei den Spielen bisher fast wie verhext für ihn lief. Denn ausgerechnet beim größten Sportfest der Welt verlor er oft überraschend gegen Außenseiter. Bolls Antwort zeigt seinen ungebrochenen Ehrgeiz: „Das ist nicht unrealistisch. Ich habe dieses Jahr gut gespielt – auch gegen die Chinesen. Sie sind nicht weit weg. Und in einem Jahr ändert sich nicht allzu viel. Ich bin heiß und optimistisch, auch mit dann 40 Jahren bei Olympia eine gute Rolle zu spielen“, sagt der Mann, der im Januar 2003 als erster Deutscher Platz eins in der Weltrangliste erklomm. Vielleicht trifft er dann in Tokio im Duell zweier Generationen auf das japanische Supertalent Tomokazu Harimoto, der am 27. Juni erst 17 Jahre alt wird. „Der Junge ist superstark. Er kann vielleicht einmal die chinesische Dominanz brechen“, sagt Boll.

Lesen Sie hier: Warum Tischtennis ein Image-Problem hat

Doch zunächst hat er nur ein Ziel: Den Gewinn des ersten deutschen „Geister-Meister“-Titels mit seinem Verein Borussia Düsseldorf.