Generation 2.0: Kinder und Jugendliche wachsen mit digitalen Medien auf - und mit seinen Gefahren. Foto: oly/Fotolia

Über Sex und Pornografie zu reden ist für die meisten Erwachsenen peinlich, vor allem, wenn es mit dem eigenen Kind ist. Und doch führt kein Weg daran vorbei.

Stuttgart - Die Pubertät ist für Betroffene genauso wie für andere eine echte Herausforderung: Das weiß jeder aus eigener Erfahrung nur zu gut. Pornografie im Internet anschauen – still und heimlich im eigenen Zimmer oder mit Gleichaltrigen auf dem Schulhofoder im Jugendtreff - gehört heute zur Pubertät. Jugendliche werden sich in dieser Zeit über sich selbst, ihren Körper, ihre sexuellen Bedürfnisse und Fantasien klar und entdecken die Faszination des anderen Geschlechts.

Was sagt der Experte von pro familia?

Doch wie sollen Eltern mit dem heiklen und für viele peinlichen Thema Internet-Pornografie in der Erziehung umgehen? Wir sprachen darüber mit dem Frankfurter Sexualpädagogen Dieter Schuchhardt (44) von pro familia, einem deutschlandweiten Verbund von Beratungsstellen, der sich vor allem an Jugendliche, Eltern und Schulen richtet:

1. Kinder brauchen Vertrauen

„Grundsätzlich ist es gut, wenn Eltern mit ihrem Kind über alle möglichen Themen offen sprechen und ein Vertrauen da ist. Wenn dann ein neues Thema aufkommt wie Pornografie ist es einfacher darüber zu reden, weil vielfach die Sprache fehlt. Was für Begriffe benutze ich, wie bespreche ich so ein Thema, das doch sehr persönlich, manchen peinlich und unangenehm ist.“

2. Kinder dürfen über alles reden

„Eltern sollten rechtzeitig über das Thema Sexualität und Nutzung von Medien sprechen – am besten noch bevor ihr Kind zum ersten Mal mit Pornografie konfrontiert wird. Wenn sie es nicht tun und plötzlich merken, dass es Pornos anguckt, ist es umso schwieriger darüber zu reden. Wenn sie jetzt schimpfen, wird nicht viel dabei rumkommen. Es braucht vielmehr eine Vorbereitung und Gesprächskultur, wie man damit umgehen kann. Kinder müssen offen sagen dürfen, was sie gesehen haben, was sie daran schön, ekelig oder problematisch finden.“

3. Kinder brauchen ein stabiles Umfeld

„Eltern müssen keine Angst haben, dass ihre Kinder durch Pornos gucken verrohen und geistig oder seelisch Schaden nehmen. Aber für Kinder, die in einer Familie mit Gewalterfahrung und sexistischen Einstellungen aufwachsen und die von ihrem Umfeld lernen, dass Frauen keinen Wert haben, ist der Konsum von Pornografie problematisch. Wenn ein solcher Jugendlicher Mädchen und Frauen beleidigt, liegt das jedoch nicht in erster Linie daran, dass er Pornos anschaut. Schon vorher ist in der Erziehung ganz viel schief gelaufen. Nur an dem Thema Porno zu arbeiten, greift viel zu kurz. Kinder und Jugendliche brauchen ein stabiles Umfeld, um mit Pornografie umzugehen.“

4. Immer erst anklopfen

„Jeder Jugendliche hat ein Recht auf seine Privat- und Intimsphäre. Ohne Klopfen geht man gar nicht in kein Zimmer rein. Und wenn es doch mal passiert, ist es gar nicht so einfach, aus dieser Situation möglichst wieder respektvoll rauszukommen. Am Besten man verlässt das Zimmer sofort wieder. Ob man die Situation klären kann, muss man später schauen.“

5. Kinder frühzeitig aufklären

„Aufklärung seitens der Eltern ist sehr wichtig. Man sollte damit frühzeitig anfangen. Bei kleineren Kindern genügt meist eine kurze Antwort. Wo kommen die Babys her? Von der Mama aus dem Bauch. Dann geht das Fragen weiter. Mädchen sollten frühzeitig über ihre Menstruation informiert werden, Jungen über den ersten Samenerguss – und zwar bevor das passiert. Viele Jungen haben damit Probleme. Da sie nicht genau wissen, was los ist, haben sie Angst, dass irgendetwas mit ihnen passieren könnte, was ekelig oder schädlich ist. Man sollte ihnen klar machen, dass das ganz normal und auch Selbstbefriedigung kein Problem und nicht verboten ist.“

6. Porno ist nicht gleich Porno

„Früher gab es Kataloge mit Unterwäsche-Modells, später Sex-Videos. Sie waren der deutschen Gesetzgebung unterworfen. Diese Videos waren Pornografie , aber nicht das, was rechtlich gesehen „harte“ Pornografie ist – also etwa die Darstellung von sexueller Gewalt. Solche heftigen Inhalte findet man heute in Hülle und Fülle auf kostenlosen Internetportalen. Wenn Jugendliche in einer Gruppe sind, gucken sie unter Umständen härtere Filme als wenn sie alleine sind. Dass der Zugang zur Pornografie im Netz heute wesentlich leichter als früher zu Videos oder Sex-Heften ist ein großes Problem. Als Fünfjähriger konnte man früher in der Videothek nichts ausleihen, mit 15 vielleicht schon. Heute kann man mit fünf harte Pornos angucken.“

7. Handy- oder Computerverbot ist der letzte Schritt

„Manche Experten raten dazu, mit dem Kind eine Vertrag zu machen, wenn es sein erstes Handy bekommt. In diesem Vertrag vereinbart man, wie man das Gerät nutzen und was man sich darauf anschauen darf. In regelmäßigen Abständen kontrollieren die Verlaufsprotokolle. Ich empfehle das nicht. Auf Vertrauensbasis läuft so etwas in der Regel besser. Ein solcher Vertrag wäre erst der zweite Schritt oder dritte Schritt, der irgendwann notwendig werden könnte. Vor der Kontrolle steht aber die Info. Außerdem: In der Grundschule oder der fünften oder sechsten Klasse brauchen Kinder noch kein Smartphone mit schnellem Internetzugang. Auch wenn der Handy-Kauf oft der leichtere Weg, ist er trotzdem nicht sinnvoll.“

8. Eltern müssen authentisch und ehrlich sein

„Eltern müssen gegenüber ihren Kindern authentisch hinsichtlich ihren Bedürfnissen, Erwartungen und Gefühlen sein. Sie können zwar sagen, dass sie Pornografie ganz schrecklich finden – wobei es immer auf das Alter der Kinder ankommt. Sie sollten sich aber nicht moralisch überhöhen und so tun, als hätten sie noch nie Pornos angeschaut. Wie soll dann der Sohn reagieren, wenn er auf dem Computer des Vaters im Verlaufsprotokoll Pornografisches vorfindet?“

9. Verbote bringen nicht viel

„Verbieten bringt nicht viel. Sinnvoller ist es, eine Auseinandersetzung über das Thema zu führen: Warum guckst Du Pornos? Was gibt Dir das? Was daran findest Du aufregend oder abstoßend?“

10. Kinder müssen lernen Fiktion und Realität zu unterscheiden

„Kinder wissen vielleicht etwas von Pornos und haben sich welche angeschaut, aber eine echte Beziehung zu einem Mädchen oder Jungen hatten sie noch nicht. Deshalb müssen sie lernen, was eine Beziehung und Partnerschaft ausmacht. Und sie können das entwickeln, was man „Pornografie-Kompetenz“ nennt. Man kann einen aufgeklärten Umgang mit Pornografie bei Kindern fördern, indem Eltern offensiv mit dem Thema umgehen und ihrem Kind Fragen stellen: Wie findest Du Pornografie? Was für Gefühle löst das bei Dir aus? Weißt Du eigentlich, wie Porno-Filme produziert? Welche Filme schaust Du Dir an und warum? Was wäre, wenn Du der Filmproduzent wärst?“

Zur Person

Dieter Schuchhardt studierte Erziehungswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg. Seit Juni 2000 ist er Sexualpädagoge und Männerberater bei der Frankfurter Beratungsstelle von pro familia sowie Mitbegründer und Mitarbeiter bei „SexnSurf“, einer Fachstelle für Jugend, Sexualität und Medien des pro familia Landesverbandes Hessen.