Eindringliche Instrumentalklänge: Die Tindersticks im Wizemann Foto: Lichtgut/Julian Retig

Die Briten der band Tindersticks um den Sänger Stuart A. Staples sind noch immer ganz in sich gekehrt: Als Meister der Hypnose und der Melancholie verstehen die Tindersticks ihr Publikum zu fesseln – auch in Stuttgart im Wizemann.

Am Mikrofon ein Mann von 50 Jahren, er trägt ein schlichtes Jackett, eine Nelke im Knopfloch, seine Hand liegt am Mikrofonständer, er singt mit zitterndem, geisterhaftem Bariton, erzählt Geschichten, die ganz eingewoben sind ins Spiel der Klänge, er ruft: „We are dreamers!“ – Wir sind Träumer.

Die Tindersticks sind seit mehr als 25 Jahren ein Phänomen der exquisiten Art: Schon mit ihrem Debütalbum positionierten sich die Briten weit abseits des Mainstreams, unverwechselbar, eigenwillig, konsequent. Ihre Musik ist von tiefer Ruhe und Dunkelheit, bebt dabei vor innerer Spannung, Kraft. Stuart A. Staples’ Stimme schwebt zerbrechlich, unbeugsam im Raum, das Schlagzeug pocht verhalten, weit fort spielt die akustische Gitarre endlosen Rhythmus, mit wenigen Noten mischen Piano oder Xylofon sich ein, alle träumen.

Schlichte Eindringlichkeit

Mit „The Waiting Room“, ihrem jüngsten Album, ist nun eine Band auf Tournee, die sich lange rar machte, lange ein Geheimtipp blieb. Die Tindersticks veröffentlichten seit 1991 zwölf Studioalben und eine Anzahl von Soundtracks, arbeiteten eng mit der gefeierten Regisseurin Claire Denis zusammen. Sie spielen Instrumentalmusik von schlichter Eindringlichkeit, die sich immer wieder der Stille nähert, in der jeder Ton, jede Nuance ganze Welten eröffnet.

2013 schrieb die Band für Claire Denis mit „Les Salauds“ erstmals einen elektronischen Soundtrack; 2014 schuf sie für eine belgische Ausstellung zum Ersten Weltkrieg eine orchestrale Klanginstallation. An ein festes Instrumentarium scheint die musikalische Fantasie von Stuart A. Staples, David Boulter, Neil Fraser, Earl Harvin und Dan McKinna längst nicht mehr gebunden zu sein, an ein bestimmtes Medium ebenfalls nicht: „The Waiting Room“ wurde zu einem Multimedia-Projekt, bei dem die Tindersticks mit mehreren Regisseuren zusammenarbeiteten und auch Staples selbst als Filmemacher agierte.

Leiseste Klang-Momente

Im Wizemann tritt die Band sehr schlicht auf – keine Filmeinspielungen, keine Elektronik, selten die E-Gitarre, auch die Bläsersätze, die auf „The Waiting Room“ zu hören sind, fehlen. Die Musik verliert dadurch nichts, die Band scheint in der Lage, immer noch einen Schritt zurückzugehen, ihre Arrangements noch mehr zu reduzieren und ihrer Musik damit noch größere Kraft zu geben. „Planting Holes“ ist eines jener Stücke, die man auf Tindersticks-Alben immer wieder antrifft.

Hier schweigt Stuart A. Staples, nur das Keyboard spielt ein leises, kreisendes Motiv, fast könnte es ein Kinderlied sein, vom Schlagzeug her kommt ein verhaltenes Scharren, Sirren – und mehr als 600 Menschen lauschen diesem Klangbild, sind in seinen Bann geschlagen. Die sprichwörtliche Stecknadel – man könnte sie fallen hören. Die Tindersticks öffnen ihr Publikum für die leisesten Momente, füllen sie mit unfassbarer Emotionalität.

Kammerpop mit Anleihen bei Jazz und Soul

Und sie wechseln schon im nächsten Stück die Tonlage. Über die Jahrzehnte hat der Kammerpop dieser Band, jenes durchs tiefste Dunkelblau mäandernde Chanson, diskrete Momente von Jazz und Soul in sich aufgenommen, einen Hauch der Sechziger, Siebziger, der manche ihrer Stücke in treibende Hymnen verwandelt. Hier heben die Tindersticks Pegel und Tempo, spielen dicht und dynamisch, reißen ihre Hörer hinein in die Ekstase, um sie gleich im nächsten Stück wieder zurücksinken zu lassen in einen glücklichen Halbschlaf.

Im Wizemann spielen sie viele Songs ihres aktuellen Albums, viele Stücke des nicht minder faszinierenden „The Something Rain“ von 2012, eine kleine Auswahl älteren Materials, das sie für ihr Album „Across Six Years Leap“ überarbeiteten, weniges, das sich auf „Waiting For The Moon“ von 2003 und „The Hungry Saw“ von 2008 findet. „Were We Once Lovers?“ ist ein erstes Aufbäumen; „Medicine“ mit seiner unwiderstehlichen Melodie wird zum Sog; „Hey Lucinda“ trägt das schwere, trockene Spiel des Basses – „Hey Lucinda“, singt Staples, „Come on drinking with me tonight!“

Mit „The Waiting Room“ folgt wieder einer dieser großen stillen Augenblicke: Nur die Orgel und die zitternde Stimme im Nebel. „The Fire of Autumn“, das erste Stück der Zugabe, ist schließlich ganz das, was es zu sein vorgibt: ein Herbst, der in Flammen steht.