Die Stadt Stuttgart will eine Anlage bauen, in der sämtliche Bioabfälle vergärt werden – aber hier lebt auch die gefährdete und geschützte Zauneidechse Foto: 13413827

Die Stadt Stuttgart will eine Biogasanlage zur Verwertung von Bioabfällen bauen. Wegen der Zauneidechse musste jetzt umgeplant werden. Die Mehrkosten könnten bis zu zwei Millionen Euro betragen.

Stuttgart - Grob geschätzt zehn bis elfeinhalb Millionen Euro sollte die neue Biogasanlage kosten, in der künftig einmal alle Bioabfälle aus Stuttgart auf Stuttgarter Gebiet verwertet werden. Das haben Technikbürgermeister Dirk Thürnau (SPD) und der städtische Eigenbetrieb Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS) noch vor gut einem Jahr den Stadträten mitgeteilt. Das war allerdings der Stand gewesen, bevor die Zauneidechse auf den Plan trat. Inzwischen muss nach Informationen unserer Zeitung mit deutlich höheren Kosten gerechnet werden. „Schlimmstenfalls könnten es bis zu zwei Millionen Euro mehr sein“, bestätigte AWS-Chef Thomas Heß auf Anfrage.

Ein Biologe hat die Zauneidechse im angepeilten Baugebiet entdeckt, als für das Regierungspräsidium (RP) Stuttgart die Tier- und Pflanzenwelt begutachtet wurde. Man wisse nicht genau, wie viele Eidechsen in dem Gebiet leben, sagte AWS-Chef Thomas Heß unserer Zeitung. Die Entdeckung dieser Tierart, die in Baden-Württemberg und in Deutschland auf der sogenannten Vorwarnliste zur Roten Liste der bedrohten Tierarten steht, ist trotzdem ein Faktum, an dem offenbar niemand mehr vorbeikommt. Obwohl die Zauneidechse in Stuttgart nicht nur im Hummelsbrunnen Süd daheim ist, sondern auch an vielen anderen Stellen in Stadt und Land.

Ihre Schutzbedürftigkeit wird so ernstgenommen, dass wegen geschätzter 100 Tiere bereits die Arbeiten für das Bahnprojekt Stuttgart 21 in Feuerbach verzögert wurden und eine Umsiedlung diskutiert wurde. Auch die AWS und Technikbürgermeister Thürnau wollten am Schutzstatus nicht rütteln, sagte Heß. Obwohl die Folgen, die das Auftreten der Zauneidechse hat, gravierend sind: Zunächst wird die Stadt kräftig drauflegen müssen. Danach zahlen aber die Privathaushalte, denn die Mehrkosten werden sich wie die anderen Kosten der Biogasanlage in den Gebührensätzen für die Abfallgefäße niederschlagen.

Der Zauneidechse wegen sah sich die AWS gezwungen, die Planung kräftig zu überarbeiten. Die Vergärungsanlage soll jetzt viel kompakter ausfallen, aber doch noch eine spätere Erweiterung erlauben. Für die Eidechsen wird eine Art von Reservat entstehen, mit Abstandszonen zur Biogasanlage und mit Pflanzen, die den Tieren einen Lebensraum bieten.

Bei dieser Umplanung tat sich ein neues Problem auf. Die Biogasanlage benötigt zwei große Tanks, in denen das sogenannte Presswasser von der Verdichtung der Bioabfälle gelagert werden kann, bis die Vegetationsperiode vorbei ist und das Wasser auf Wiesen und Felder ausgebracht werden darf. Für die Zauneidechse musste der Standort der Tanks verlagert werden. Aber dort, wo sie jetzt vorgesehen sind, trägt der Untergrund auf dem ehemaligen Deponie- und Gärtnereigelände nicht überall, wie Probebohrungen ergaben. Deswegen muss er aufwendiger präpariert werden. Das ist ein Grund für die Mehrkosten, die von der Zauneidechse ausgelöst wurden.

Im Terminplan hat das Tier auch Spuren hinterlassen. „Es ist dadurch zu Verzögerungen gekommen“, sagte Heß. Er hofft jetzt auf eine Fertigstellung 2016. Bei der Frage, ob dies eher zur Jahresmitte oder zum Jahresende sein wird, will er sich nicht festlegen.

„Eine große Hürde für den Bau ist inzwischen beseitigt“, sagt Heß. Vor wenigen Tagen erhielt er vom Regierungspräsidium (RP) den Bescheid, dass das Gebiet Hummelsbrunnen Süd im Grundsatz in eine Baufläche für die Anlage verwandelt werden darf, obwohl es im Regionalplan Teil eines regionalen Grünzugs ist. Mit dieser Entscheidung hat das RP das sogenannte Zielabweichungsverfahren beendet. Danach kann nun ein förmlicher Bauantrag eingereicht werden, über den im Genehmigungsverfahren erneut das RP befinden wird. Wenn auch die konkreten Baupläne genehmigt sind, wird eine EU-weite Ausschreibung der Anlage stattfinden. Daraus ergibt sich dann, was sie wirklich kosten wird.

Das magische Datum bei der Verwertung von Bioabfällen wird mit der Inbetriebnahme der Anlage auf jeden Fall um ein bis zwei Jahre verpasst. Denn schon am 1. Januar 2015 sollen gemäß Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz die Bioabfälle bundesweit getrennt gesammelt werden, also in eigenen Abfalleimern und nicht in den Restmülltonnen. Dadurch wird die braune Bioabfalltonne, die man bisher freiwillig bekommen konnte, für die Haushalte in Stuttgart Pflicht. Droht also gleich am 1. Januar 2015 eine Lawine von Biomüll, noch ehe die Biogasanlage fertig ist? Das, sagt Heß, befürchte er nicht. Die Umstellung laufe langsam an. Und die Stadt hat sich die Option offengehalten, den Bioabfall vorläufig weiterhin ins Kompostwerk in Kirchheim/Teck zu liefern, wo er in den vergangenen Jahren zu Kompost verarbeitet wurde.

Mit der Anlage in Zuffenhausen wollen die AWS und die Stadtverwaltung die Verwertung der Stuttgarter Bioabfälle ökologischer und wirtschaftlicher machen. Was mit dem Biogas später geschieht, wird zurzeit noch überlegt. Bisher plante man, das Gas zum Stadtbad Zuffenhausen zu leiten und dort in einem neuen Blockheizkraftwerk Strom und Wärme zu erzeugen. Damit könne man etwa 75 Prozent des Heizbedarfs im Stadtbad und den benachbarten Schulen decken, hat man errechnet. Aber denkbar ist auch noch, dass das kleine Kraftwerk bei der Biogasanlage entstehen wird und man über zwei Kilometer hinweg Fernwärme zum Bad leitet, sagt Jürgen Görres, der Energieexperte im Amt für Umweltschutz.

Im Sommer brauche das Bad kaum Wärme, beim bestehenden Kompostplatz des Gartenamts im Hummelsbrunnen könnte man die Wärme aber zum Trocknen des Materials benützen, aus dem Holzhackschnitzel gemacht werden. Und wenn die Kapazität der Biogasanlage später verdoppelt wird, könnte man vielleicht Wohnanlagen in Zuffenhausen bis hin zum Stadtteil Rot mit Heizwärme versorgen. Dann müssten wohl die Stadtwerke mitwirken, meint Görres.