Mitglieder der Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“ kümmern sich um den Tiger Lasis. Foto: AFP

Der Gaza-Zoo genoss den schlechtesten Ruf. Auf die Tiere wartet jetzt dank der Organisation „Vier Pfoten“ ein besseres Leben im Ausland.

Gaza - Ganz von allein ist Lasis, der Tiger, in die Transportbox getappt. Als ob er ahnte, dass sie ihn in ein besseres Leben befördern würde. Seine letzten Stunden im Gaza-Zoo Chan Junis döst er in der verriegelten Kiste, um die zur Sicherheit noch mal eine dicke Kette gelegt ist. Obenauf liegen Eisbrocken, ein vor die Luftlöcher gestellter Ventilator sorgt für zusätzliche Kühlung auf der ersten Etappe der mehrtägigen Reise eines Tigers in die geschützte Freiheit.

Am Donnerstagmorgen wird Lasis in in einer El-Al-Maschine in Johannesburg landen und am Nachmittag erstmals Gras unter seinen Tatzen spüren, malt Tierarzt Amir Khalil aus. Auf den Tiger wartet ein Paradies für Großkatzen in Südafrika, Lionsrock (Löwenfelsen) genannt.

Der Tiger heißt Lasis, arabisch für „Süßer“

Lasis bedeutet auf Arabisch „Süßer“, aber sein Los in Chan Junis, wo er die meiste Zeit auf dem Betonboden eines drei mal drei Meter großen Käfig verbringen musste, war bitter. Seine Tiger-Gefährtin starb während des Gaza-Krieges 2014, vermutlich an Auszehrung. 17 Tage lang, erzählt der Besitzer des Privatzoos, Siad Idiab Aweiba, ein vollleibiger Geschäftsmann, habe er damals aus Angst vor israelischen Luftangriffen die Tiere nicht versorgen können. Fast die Hälfte war am Ende tot.

In einem Akt der Verzweiflung oder vielleicht auch der Ignoranz ließ Aweiba einige seiner Prachtstücke, die er zumeist über die Schmuggeltunnel vom Sinai in den Gazastreifen für viel Geld importiert hatte, ausstopfen und in die Gehege stellen. Auch die frühere Gespielin von Asis.

„Vier Pfoten“ evakuiert den ganzen Zoo

Das brachte den Gaza-Zoo als „schlimmsten der Welt“ in die Schlagzeilen, rief aber auch die internationale Tierschutzorganisation „Four Paws“ – „Vier Pfoten“ auf den Plan. Sie kam, half und beschloss – in Kooperation mit dem Eigentümer – eine dramatische Rettungsaktion: die Evakuierung eines ganzen Zoos, Kostenpunkt rund 40 000 Dollar, zusammengetragen durch Spenden.

Diese Woche war es dann soweit. Die letzten verbliebenen Tiere, 15 an der Zahl – fünf Affen, ein Emu, ein Pelikan, zwei Riesenschildkröten, zwei Stachelschweine, ein Bussardpärchen, ein Reh und ein Tiger – zogen in eine neue, artgerechte Heimat um.

Die Menge der Kamerateams und Schaulustigen wächst

Nicht alle lassen sich so problemlos in die Frachtkisten bugsieren wie Tiger Lasis. Panisch rast eine Grüne Meerkatze am Gitter rauf und runter. Die Menge der Kamerateams und Schaulustigen wächst, was ihre Aufregung noch steigert. Das flinke Äffchen zu „darten“, wie die Tierschützer sagen, es also mit einem Blasepfeil zu betäuben, erweist sich als echtes Kunststück. Es dauert länger, bis das Mittel wirkt und der Fänger es mit einer Decke schnappt.

Endlich, die Affen sind schon mal geschafft. Nach erster Untersuchung, zu der alle Tiere in die Cafeteria gebracht werden, kann Frank Göritz vom Berliner Leibniz-Institut für Zoologie, der das „Vier-Pfoten-Team“ unterstützt, noch eine freudige Überraschung verkünden. Eine Meerkatze ist trächtig.

Rehkitz ist zwei Tage vor der Aktion verendet

Für ein Rehkitz allerdings kam die Rettung zu spät. Zwei Tage vor der Aktion ist es verendet. Die Mutter liegt einsam mit traurigem Bambi-Blick im heißen Sand ihres Geheges. Es rührt einen an, wie das betäubte Reh erst taumelt, dann gegen eine Dattelpalme gelehnt in die Knie sackt und schließlich von Aktivisten der Vier-Pfoten-Organisation behutsam auf einer Gummimatte hinausgetragen wird.

Für richtig „Action“ sorgt das trotz leichter Sedierung noch immer sehr bewegliche Emu und dies bei Zwei-Meter Körpergröße! Es flippt geradezu aus, als es in die Kiste muss. Gut, dass die Tierärzte und die Dutzend Helfer die Ruhe weghaben.

Ohne Improvisationstalent geht es nicht

Allen voran Amir Khalil, ein Ägypter, der in Wien lebt und für die „Four Paws“ schon Tanzbären aus Rumänien befreit und voriges Jahr bereits drei Löwenjungen aus Gaza geholt hat. Er kann mit Menschen so gut wie mit Tieren umgehen, was sich gerade bei dieser vielfach komplizierten Gaza-Aktion auszahlt. Ohne Fingerspitzengefühl bei der Koordinierung mit islamistischer Hamas, israelischem Militär sowie Veterinärbehörden und Grenzregimen in vier Ländern hätte sie nicht funktioniert.

Ohne Improvisationstalent auch nicht. In Ermangelung eines Gabelstaplers wird am Ende die schwere Tigerkiste auf ein palästinensisches Tuk-Tuk – ein Moped mit Lastenanhänger – gehievt, um sie so vom Zookäfig zum Sattelschlepper zu transportieren. Noch eine Nacht müssen die Tiere, geparkt in ihren Boxen auf der Ladefläche des angeheuerten Trucks, ausharren. Mittwochmorgen dann rollt die „Four Paws“-Karawane über den hoch gesicherten Grenzkontrollpunkt Eres aus Gaza heraus.

Tiere können sich in einem Zoo in Jordanien erholen

Die Affen können sich künftig auf den Kletterbäumen eines israelischen Reha-Zentrums für Primaten austoben. Der Rest der Zoobewohner aus Chan Junis wird sich in einem Tierpark in Jordanien erholen – bis auf Lasis, die Raubkatze. Man wäre gerne dabei, wenn der Tiger, angeblich ein bengalischer, seine ersten Schritte in die freie Natur von Lionsrock wagt. Ioana Dungele, die rumänische Chefin der Wildtierabteilung von „Vier Pfoten“, wird Lasis dabei begleiten, so wie sie es vielfach mit Großkatzen getan hat, die aus der Gefangenschaft entlassen wurden.

„Es ist jedes Mal anders“, sagt sie, „aber immer extrem emotional, so als ob man sein Kind zum ersten Mal laufen sieht.“ Zunächst steht Lasis eine Zeit der Gewöhnung bevor: an artgerechtes Futter zum Beispiel – in Gaza bekam er oft nur gefrorenes Hühnchen – und auch an das Löwengebrüll aus den abgeschirmten Gehege. Aber irgendwann, hoffentlich bald, wird er in seinem eigenen, hektargroßen Freilauf in Südafrika herumtigern.