Während der Operation liegen die Pferde meistens auf dem Rücken. Foto: Max Kovalenko

Schwerwiegende medizinische Fälle werden heute auch in der Tiermedizin mit Hilfe technisch aufwendiger Gerätediagnostik abgeklärt. Herzultraschall gehört längst zum Standard.

Kirchheim/Teck - Die Sonne scheint, Bienen summen in der Frühlingsluft über den Pferdekoppeln. Geranien hängen an den Fenstern, das typische Geräusch eines mit Mist beladenen Schubkarrens, der über den Hof geschoben wird, ist zu hören. Auf den ersten Blick wirkt die Pferdeklinik in Kirchheim unter Teck wie ein ganz normaler Pferdestall.

Neben einer Reithalle blinzeln neugierige und aufmerksame Pferdeaugen aus den Boxen, auf den Tafeln daneben stehen Name und Speiseplan des jeweiligen Tieres. Auf einer Wiese am Hang grasen drei Pferde und lassen sich die Sonne auf ihr Fell scheinen. Doch hinter den Mauern und Türen des Anwesens verbergen sich hochkomplexe Geräte; hier wird Tiermedizin vom Feinsten betrieben.

Die Pferde auf der Weide sind ehemalige, hochkarätige Turnierpferde, die heute als Blutspende-Pferde dienen. „Mit unseren Geräten und unserem Angebot sind wir eine der bestausgerüsteten Pferdekliniken Europas. Neben Freizeitpferden betreuen wir auch international erfolgreiche Spring- und Dressurpferde“, sagt Klinikleiter Ulrich Walliser. 1987 fing Walliser als Assistenzarzt hier an, ehe er die Klinik im Jahr 2004 von seinem Vorgänger übernahm.

Manchmal sind auch kranke Kamele zu Gast

Heute werden in dem idyllisch gelegenen Anwesen pro Jahr etwa 2000 Tiere medizinisch versorgt, untersucht und operiert. Der Vielseitigkeitsreiter Michael Jung, amtierender Olympiasieger, Welt- und Europameister, bringt seine Pferde seit 25 Jahren nach Kirchheim. Ab und zu sind auch kranke Kamele und andere Zirkustiere zu Gast. „Pferde können zwar ganz schöne Zicken und Diven sein, und manche Pferde haben sowieso eine Aversion gegen männliche Tierärzte“, sagt Walliser. Bei Kamelen liege der Fall anders. „Da müssen immer die Besitzer oder die Tierpfleger mit dabei sein, sonst wird es eher schwierig und chaotisch“, sagt er und lacht. Das dunkelbraune Kamel Tamara aus einem Zirkus steht derweil in der Box und schaut die Besucherin unschuldig zwinkernd aus lang bewimperten Augen an.

Behandelt wird in der Kirchheimer Klinik so ziemlich alles, was einem Pferd Schmerzen und Probleme bereiten kann: Koliken und Darmverschlingungen, Sehnenzerrungen und Erkrankungen im Bereich des Kopfes und der oberen Halswirbelsäule sowie Zahn- und Genickprobleme. Kranke und blinde Augen können entfernt werden, natürlich auch Warzen und Hauttumore. Blasensteine werden zertrümmert, Gebärmütter gedreht, Kaiserschnitte durchgeführt. Arthroskopische Untersuchungen und Eingriffe stehen ebenso auf dem OP-Plan wie Kehlkopfchirurgie, Sonografie und Herzultraschall.

Eventuelle Lauffehler oder Fußkrankheiten des Pferdes können auf dem Laufband festgestellt werden. Zudem können die Tiere nach einer Operation auf dem Hometrainer festgebunden und wieder auf Trab gebracht werden. Nur Ersatzteile wie etwa künstliche Hüftgelenke, die können hier nicht eingesetzt werden. „Das würde das Gewicht des Tieres gar nicht tragen, wir können nur mit verbindenden Platten oder Schrauben arbeiten“, sagt Walliser.

Bei Turnierpferden ist die Medikamention sehr schwierig

An diesem Vormittag steht ein Wallach in der mit viel Stroh und Heu ausgelegten Aufwach-Box neben dem Operationssaal. Die Wände der Box sind mit einer dicken Gummimatte beschlagen. Bis vor einer halben Stunde war er noch ein Hengst und echter Kerl, nun erholt er sich von der Kastration. Noch ist dem Ärmsten etwas schwindlig, er schaut leicht irritiert. „Das gibt sich aber schnell, so eine kurze Narkose verkraftet ein Pferd sehr gut. Und selbst wenn die Betäubung nachlässt: Er hat schon Schmerzmittel bekommen, ihm tut daher nichts weh“, sagt Ulrich Walliser beruhigend. Allerdings stellt der Pferdedoktor auch gleich klar: Liegen Turnierpferde auf seinem Tisch, darf selbstverständlich nicht alles verabreicht werden, was aus medizinischer Sicht eigentlich notwendig wäre. „Gerade bei solchen Pferden ist die Medikamentation wegen des Dopingthemas sehr schwierig. Selbst kleinste Mengen an Schmerzmitteln können noch Wochen später im Blut nachgewiesen werden.“ Das sei auch einer der Punkte, die die Arbeit als Tiermediziner heute schwieriger gestalteten als noch vor einigen Jahren.

Auch bei den Untersuchungen werde heutzutage mehr erwartet als früher, die Anforderungen seien um einiges höher. So gehöre eine Kernspintomografie (MRT) heute schon fast zur Standarduntersuchung. Etwa 200 solcher Untersuchungen werden pro Jahr in Kirchheim vorgenommen. „Wir können die unteren Gliedmaßen eines Pferdes im Stehen sehr genau, schonend und kostengünstig untersuchen“, erklärt Walliser.

Muss das Tier schließlich operiert werden, wird es nach der Betäubung mit einem Kran in den Operationssaal gehievt. Während des Eingriffs liegen die Pferde zumeist auf dem Rücken, ein Team von vier bis fünf Klinikmitarbeitern sorgt für den reibungslosen Ablauf. „Eine OP am Pferd ist im Prinzip nichts anderes als beim Menschen: Der Patient wird intubiert, der Anästhesist sorgt für die richtige Dosierung der Narkose, die anderen operieren und assistieren und achten darauf, dass alles glattgeht.“

Unfälle passieren im Freizeitbereich viel häufiger als im Profisport

Auch das schwarze Pferd in der Nachbarbox lag vor einigen Tagen noch angeschnallt auf dem OP-Tisch. „Den hat es ganz böse erwischt: Er ist offenbar ausgerutscht und hat sich die komplette Flanke an einer Metallplatte aufgeschnitten, die offenbar auf seinem Heimathof herumstand“, erzählt Walliser. Entsprechend böse sieht die Narbe noch aus, zahlreiche Fäden hängen aus dem Fell. Interessanterweise passierten im Freizeitbereich viel häufiger Unfälle mit den Tieren als im Profisport, erzählt der Arzt. „Möglicherweise achten die Profis mehr auf ihre Tiere, und den Freizeitreitern fehlt es häufiger an dem nötigen Sachverstand – ich weiß auch nicht genau, weshalb das so ist.“

Doch auch wenn Wallisers Beruf heute nicht mehr viel mit dem Bild des hemdsärmeligen Dr. James Herriot aus der Fernsehserie „Der Doktor und das liebe Vieh“, die in den 40er und 50er Jahren spielt, gemein hat – auch er und seine Mitarbeiter fahren jeden Tag zu ihren Patienten, von Hof zu Hof. Und der Geruch von Pferd und Heu ist immer noch derselbe.