Die Waldspitzmaus braucht ständig Futter. Doch im Winter knurrt ihr öfter mal der Magen. Foto: Karol Zub

Spitzmäuse, Wiesel und Hermeline nehmen im Winter ab, um Energie zu sparen – auch ihre Gehirne schrumpfen kräftig. Im Sommer legen die Tiere dann wieder zu.

Stuttgart - Für die Kleidung ihrer Kinder können Eltern ein Vermögen ausgeben. Nicht nur, weil bestimmte, nicht ganz preiswerte Marken gerade in sind. Sondern auch, weil der Nachwuchs schnell aus seinen Klamotten herauswächst. Wollen sich Erwachsene dagegen neu einkleiden, taugt dieses Argument wenig. Schließlich ändert sich vom Leibesumfang einmal abgesehen an ihrer Körpergröße wenig. Erwachsene sind nun einmal ausgewachsen. Und das nicht nur bei uns Menschen, sondern auch bei anderen Säugetieren.

Einige Arten wie das Mauswiesel, das Hermelin und die Waldspitzmaus scheinen von dieser Regel wenig zu halten. Bei ihnen schrumpfen im Herbst der Schädel, das Gehirn und andere Körperteile kräftig – um im folgenden Frühjahr wieder zu wachsen. Über dieses Phänomen berichten Dina Dechmann vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell und ihre Kollegen in den Zeitschriften „Scientific Reports“ und „Royal Society Open Science“.

Die genannten Arten haben gute Gründe für das verblüffende Schrumpfen und Wachsen des bereits ausgewachsenen Körpers und vor allem des Schädels. Der Organismus von Mauswieseln, Hermelinen und Spitzmäusen läuft ständig auf Hochtouren, einen Energiespar-Modus kennen diese Tiere nicht. Solange sie wach sind, suchen Spitzmäuse daher pausenlos nach Regenwürmern und Insekten, um sich mit diesen Leibspeisen den Bauch zu füllen und damit genug Energie für ihren Hochleistungskörper zu tanken. Aus dem gleichen Grund vertilgen Mauswiesel und Hermeline jede Menge kleiner Nagetiere. Zum Glück finden sie zumindest im Sommer reichlich Beute. Und da etliche Tiere, die im Magen von Hermelinen, Mauswieseln und Spitzmäusen landen, bei uns Menschen unter die Rubrik „Schädlinge“ fallen, sind die flinken Jäger meist sehr willkommen.

Knurrender Magen im Winter

In der kalten Jahreszeit aber dürfte den Mini-Räubern öfters mal der Magen knurren, weil sich ihre Beute rar macht. Mit diesem Problem sehen sich vor allem in den nördlichen Teilen von Europa, Asien und Nordamerika natürlich auch viele andere Arten konfrontiert. Viele von ihnen hamstern Vorräte, schalten auf einen energiesparenden Lebensrhythmus um, fallen sogar in einen Winterschlaf mit minimalem Energieverbrauch oder kombinieren solche Maßnahmen miteinander. Braunbären zum Beispiel fressen sich im Spätsommer und Herbst genug Winterspeck als Vorrat an und schlummern zusätzlich auch noch dem Frühjahr entgegen.

Spitzmäuse und Wiesel tun sich mit solchen Strategien schwer. Können Eichhörnchen und Feldhamster noch relativ einfach Nüsse und Getreidekörner für den Winter bunkern, weil beides gut haltbar ist, lässt sich lebende Beute schlecht bevorraten. Am eigenen Körper lassen sich Vorräte in Form von Winterspeck ebenfalls kaum in ausreichender Menge lagern, wenn man wie eine Spitzmaus nur ein paar Gramm wiegt und gleichzeitig eine Grundregel der Naturwissenschaften beachten muss. Nämlich die, nach der ein kleiner Körper erheblich mehr Energie für die Versorgung von einem Gramm Gewicht aufwenden muss als ein großer Organismus. Und weil sie im Gegensatz zu anderen Arten ihren Stoffwechsel auch nicht auf „Sparflamme“ umschalten können, stecken die Mini-Räuber in einem echten Dilemma.

Im ersten Lebensjahr können die Tiere sich meist noch nicht fortpflanzen. Irgendwie müssen sie also über den Winter kommen, sonst sterben die Spitzmäuse bald aus, die ohnehin im Durchschnitt nur 13 Monate leben. Reicht die Beute in dieser Situation nicht, um eine in ihrem ersten Sommer rund acht Gramm wiegende Wald-Spitzmaus zu ernähren, muss das Tier eben kleiner werden. Genau das passiert auch, erklärt Dina Dechmann: „Im Winter bringt die Waldspitzmaus gerade noch fünf oder sechs Gramm auf die Waage“, berichtet die Biologin.

Bei der Spitzmaus geht es ans Eingemachte

Natürlich können auch andere Tiere abnehmen. Nur bauen sie dann meist als Vorräte eingelagerte Fettreserven ab. Bei den Waldspitzmäusen geht es dagegen ans Eingemachte: Die Schädel werden kleiner, selbst die lebenswichtigen, inneren Organe schrumpfen. Wiegt die Milz zum Beispiel im Sommer noch 92 Milligramm, schrumpft dieses Organ im Winter auf ganze 34 Milligramm, nur um im kommenden Frühjahr wieder auf 129 Milligramm anzuwachsen. Vermutlich können die Spitzmäuse sich diesen Verlust leisten, weil die Milz wichtige Aufgaben beim Bekämpfen von Infektionskrankheiten übernimmt. Im Winter aber leben die Waldspitzmäuse als notorische Einzelgänger unter der Schneedecke und suchen dort Beute. Wer kaum Artgenossen begegnet und auch nicht unter freiem Himmel frische Luft tankt, senkt auch seine Infektionsgefahr.

Auch die Leber schrumpft von 735 Milligramm im Sommer auf 635 Milligramm im Winter, während das ohnehin relativ große Herz sich kaum verkleinert. Schließlich muss so eine Spitzmaus auch im Winter unter der Schneedecke Beute machen. Und das geht nur, wenn das Herz die Muskeln gut mit Sauerstoff versorgt.

Spürbarer Hirnschwund

Vor allem aber schrumpft der Schädel und damit natürlich auch das Gehirn erheblich. Bei Spitzmäusen beschrieben Zoologen dieses Phänomen bereits 1949, untersuchten den Schwund aber seither kaum. Erst Dina Dechmann und ihre Kollegen nehmen die Waldspitzmaus jetzt genauer unter die Lupe. Und vermessen darüber hinaus in den Naturkundemuseen in Nordasien, Nordamerika und Europa 512 Hermeline und 847 Mauswiesel, bei denen sie ebenfalls ein bisher unbekanntes Schrumpfen feststellen: Im August sind die in diesem Jahr geborenen Tiere vorerst ausgewachsen und die Schädel erreichen ihre größte Dimension.

Bis zum Februar schrumpfen die Wieselköpfe dann erheblich, mitten im Winter sind die Schädel 16 Prozent flacher als im vergangenen Sommer. Gleichzeitig muss auch das Gehirn entsprechen schrumpfen, das bei Mensch und Tier als Energiefresser bekannt ist. „Insgesamt müssen die Tiere im Winter durch dieses Schrumpfen 20 bis 30 Prozent weniger Körpermasse versorgen und brauchen entsprechend weniger Energie“, erklärt Dina Dechmann. So lässt sich der Winter besser überstehen. Und wenn es im Frühjahr wieder mehr Beute gibt, können Mauswiesel, Hermeline und Waldspitzmäuse dann ja wieder wachsen.

Mit Fallen und Mikrochips auf der Jagd nach Daten

Vererbung
Das Schrumpfen von Spitzmäusen, Wieseln und Hermelinen hängt nicht von der tatsächlichen Ernährungssituation ab. Auch wenn die Tiere noch genügend Futter finden, schrumpfen sie im Herbst. Offensichtlich haben die Tiere diese Reaktion also geerbt.

Untersuchung Die Messungen an Schädeln in Museen sind sehr zuverlässig. Trotzdem untersuchen Dina Dechmann und ihre Kollegen das Schrumpfphänomen auch in der Natur. Mit 300 Fallen stellen sie Spitzmäusen nach, messen gefangene Tiere, implantieren ihnen einen Mini-Chip und lassen sie wieder frei. Fangen die Forscher ein Tier ein zweites oder sogar ein drittes Mal, erkennen sie es mit Hilfe des Chips wieder. Diese Wiederfänge sollen in absehbarer Zukunft dann zeigen, wie einzelne Tiere schrumpfen und wachsen.

Zusammenarbeit Kooperationen mit Medizinforschern, die Knochenkrankheiten wie Osteoporose untersuchen, sind bereits angelaufen. Schließlich könnte das Schrumpfen und Wachsen von Schädeln in erwachsenen und gesunden Tieren neue Ansätze für die Diagnose und Behandlung von Knochenleiden ermöglichen. Auch Hirnforscher würden gern verstehen, welche Fähigkeiten ein Gehirn verliert, wenn es deutlich kleiner wird.