Die bedornten Raupen des Tagpfauenauges haben kleine weiße Punkte, die wie Sterne in samtschwarzer Nacht aussehen. Foto: Michael Eick

Als Knäuel sehen die Raupen bedrohlich aus, doch aus ihnen entwickelt sich einer der farbenprächtigsten Schmetterlinge – das Tagpfauenauge (Inachis io). Ein Grund mehr, Wegränder nicht zu mähen.

Fellbach - Es wirkt wie ein Angriff einer unheilvollen Armee. Ein Gewusel von unzähligen pechschwarzen Raupen, die auf ihrem Körper dornartige Fortsätze tragen. Wie unheilvolle schwarze Ritter in einer wehrhaften Rüstung, die sich über alles hermachen, was grün ist. Doch halt! Was dramatisch aussieht, ist eigentlich ein ziemlich erfreuliches Naturschauspiel – zumindest wenn man Tagfalter mag. Wie jeder Schmetterling hat auch das Tagpfauenauge mehrere Entwicklungsstadien in Form einer Raupe. Und diese Schmetterlingslarven ernähren sich nun mal von grünen Pflanzen.

Die Brennnessel ist ein sogenannter Stickstoff-Zeiger

Im Fall des Tagfalters ist das ausschließlich eine Pflanzenart. Diese exklusive Pflanze für die Raupen ist die Große Brennnessel – und die erscheint in Bezug auf ihre Seltenheit nicht besonders „exklusiv“. Sie zählt nicht gerade zu den botanischen Raritäten, sondern wächst eigentlich fast überall, etwa am Feldrand, an Straßenböschungen oder neben Hecken. Die Brennnessel ist ein sogenannter Stickstoff-Zeiger und wächst besonders gerne dort, wo die Nährstoffversorgung besonders üppig ist. Damit profitiert sie von Stickstoff-Einträgen in die Böden durch die Landwirtschaft – kritische Stimmen würden das „Überdüngung“ nennen – und ebenso durch die Luft, infolge beispielsweise industrieller Aktivitäten des Menschen. Kurzum, der Brennnessel geht es heutzutage eigentlich richtig gut. Und mit ihr müsste es dem Tagpfauenauge eigentlich auch richtig gut gehen. Eigentlich. Aber von Heerscharen dieser bunter Falter wird nirgends berichtet. Woran es liegt, dass selbst diese Schmetterlingsart, die relativ unempfindlich und häufig ist und die sich zudem noch an einer überaus häufigen Pflanze entwickelt, hat sicher verschiedene Ursachen. Jedenfalls scheint dies dem allgemeinen Trend des Insektenschwundes zu entsprechen.

Weibchen suchen sich zur Eiablage geeignete Standorte aus

Flatternde Tagpfauenaugen sind heutzutage leider gar kein alltäglicher Anblick mehr. Aus diesem Grund sollte man Wegränder mit Brennnessel-Horsten vielleicht lieber ein bisschen stehen lassen. Sonst haben nämlich die Raupen keine Chance, sich zu einem erwachsenen Falter zu entwickeln. Übrigens gibt es neben dem Tagpfauenauge noch einige weitere Schmetterlingsarten, die ebenfalls als Raupen an Brennnesseln leben.

Die Weibchen der Tagpfauenaugen suchen sich zur Eiablage geeignete Standorte aus. Es sollte sonnig, aber möglichst nicht zugig sein, außerdem darf es nicht zu trocken werden. Ist der ideale Platz gefunden, platzieren sie Pakete von bis zu 200 Eiern auf die Unterseite von Blättern. Die winzigen grünen Eier sind der Länge nach leicht gefurcht. Nach etwa 14 bis 20 Tagen schlüpfen die Raupen, die anfangs keine fünf Millimeter groß sind. In diesem ersten Raupenstadium sind sie ganz grün, mit einem schwarz glänzenden Kopf, der selbst die winzigen Räupchen schon ein wenig unheimlich aussehen lässt.

Nach insgesamt vier Häutungen erreichen sie das letzte Raupenstadium

Die ganze Truppe verspeist ein Blatt nach dem anderen, ausschließlich von ihrer Brennnessel-Pflanze. So wachsen die gefräßigen Raupen heran und müssen sich zwischendurch immer wieder häuten, denn ihre äußere Hülle wächst nicht mit. Mit einem gemeinsam produzierten dichten Gespinst schützen sie sich vor Feinden. Sobald die erste Brennnessel kahl gefressen wurde, wechselt die gefräßige Horde weiter zur nächsten. Zum Glück entlauben die Raupen keine beliebten Zierpflanzen im Garten, sonst würde den Schmetterlingslarven vermutlich schnell der Krieg erklärt werden, und der weise Homo sapiens würde die Giftkeule schwingen.

Nach insgesamt vier Häutungen erreichen sie das letzte Raupenstadium. Nun sind sie samtartig schwarz mit mehreren feinen weißen Punktreihen ringsum an jedem Segment, die wie Sterne in dunkler Nacht aussehen. Markant sind die bedrohlich wirkenden spitzen Dornen. Jetzt werden aus den Raupen, die vorher immer gemeinsam unterwegs waren, Einzelkämpfer. Sie trennen sich voneinander und suchen sich jede für sich eine geeignete Stelle zur nächsten spannenden Lebensphase: dem Puppenstadium. Obwohl man gar nicht so reicht weiß, ob man das eine „Lebensphase“ nennen kann, denn äußerlich passiert nicht viel.

Nun produziert die Raupe zunächst ein kleines Gespinst und klammert sich mit dem hintersten Beinpaar daran fest. So hängt die Raupe kopfüber herunter und verharrt in dieser Stellung für ein bis zwei Tage. Dann beginnt der nächste Akt der wundersamen Verwandlung: Es platzt die Rückenhaut, und nach und nach drückt sich die Puppe daraus hervor. Um nicht abzustürzen, hängt sie sich mit häkchenartigen Fortsätzen an dem Gespinst fest. Jetzt kann sie die Raupenhaut abwerfen. Dazu kreiselt sie mehrere Male um ihre Längsachse, bis die alte Hülle abfällt.

In den kommenden rund zwei Wochen passiert ein weiteres kleines Wunder der Natur. Die ehemalige Raupe verwandelt sich in der sogenannten Puppenruhe in einen Schmetterling. Kurz vor dem Schlupf kann man schon die bunte Flügelzeichnung des fertigen Tagpfauenauges erahnen, die durch die pergamentartige Hülle der Puppe hindurchschimmert. Wenn die Hülle am Kopfende aufgeht, gleitet der fertig entwickelte Schmetterling mit zunächst noch schlaffen Flügeln vorsichtig nach unten heraus. Sobald er diese mit Körperflüssigkeit quasi „aufgepumpt“ hat und der Chitinpanzer ausgehärtet ist, flattert er als farbenfroher Falter durch die Welt.

Steckbrief

Das Tagpfauenauge gehört zu den häufigsten Tagfaltern bei uns. Die erwachsenen Schmetterlinge sind auffallend gefärbt: Auf jedem der roten Flügel tragen sie je einen schillernden Augenfleck. Die Unterseite ist hingegen ganz unscheinbar dunkelbraun bis grau mit einer feinen Marmorierung. Die Spannweite dieser großen Falter beträgt bis zu fünfeinhalb Zentimeter.

Viele Tagpfauenaugen überwintern in unseren Breiten. Sie suchen sich dazu einen geschützten Platz mit ausreichend Luftfeuchtigkeit, etwa in einer Höhle oder einem Keller. Auf dem Dachboden besteht dagegen die Gefahr auszutrocknen. Die Tarnfärbung der Unterseite sorgt dafür, dass die Schmetterlinge meist unentdeckt bleiben. Wenn sie im Frühling aus der Winterruhe erwachen, zählen sie zu den ersten aktiven Faltern, die dann an Frühblühern nach Nahrung suchen.