Nicht jeder mag es, wenn einem Fremde auf die Pelle rücken – bei Thorsten Strotmann ist diese Nähe der größte Trumpf. Sein Zaubertheater, zu 95 Prozent ausgelastet, lebt von Wundern, ganz ohne Fördergelder. Ein Besuch bei einem Phänomen im Römerkastell.
Stuttgart - Feierlich hängt an der hohen Decke ein antik aussehender Kronleuchter mit etwa 30 Leuchtarmen. Wer die Magic Lounge von Thorsten Strotmann betritt, ein früheres Fabrikgebäude hinter der Phönixhalle im Römerkastell, glaubt, in einem stilvoll eingerichteten, raffiniert ausgeleuchteten und gut besuchten Szenelokal mit langem Tresen und erhöhten Tischen gelandet zu sein.
Wird der Zauberkünstler von Tisch zu Tisch seine Tricks vorführen? Es kommt anders. Und der wuchtige Kronleuchter wird bei der Zugabe zum Teil eines furiosen Finales. Doch davon später mehr.
180 Plätze auf einer steilen Tribüne mit nur sieben Reihen
Erst einmal öffnet sich bei zuckendem Licht ein Vorhang. Wer noch nie hier war, macht große Augen. Jetzt erst sieht man, dass die frühere Fabrikhalle ein Doppelleben führt. Da sich der Raumteiler aus Stoff zurückzieht, können sieben sich steil nach oben erhebende Zuschauerreihen mit 180 Plätzen bestiegen werden. Einst ließen sich an diesem Ort Römer nieder, die der Legende nach Brot und Spiele liebten. Auf Häppchen folgt heute das kollektive Staunen.
Mit Auftritten als Zauberer finanzierte Strotmann sein Studium der Betriebswirtschaft. Dieses in Deutschland und vielleicht sogar in Europa einzigartige Mini-Theater ist so erfolgreich, weil der Chef von Geld und Kunst gleichermaßen was versteht. Als vor acht Jahren Strotmanns Magic Lounge eröffnet wurde, glaubten die meisten, das gehe nicht gut. Etliche kleine Bühnen können selbst mit Subventionen kaum überleben. Der 45-Jährige bekommt nicht einen Cent von Land oder Stadt und sorgt mit PR-Tricks und dank der Mund-zu-Mund-Propaganda begeisterter Besucher für eine Auslastung von 95 Prozent, wie er sagt.
Zur außerbetrieblichen Fortbildung in Las Vegas
Provoziert hat der Magier Stuttgarts Kulturszene mit seiner These, Subventionen hemmten Kreativität. Je nach Auslastung sollten diese gewährt werden, meint er. Sonst sei die Gefahr groß, dass sich Bühnen auf weichen Matten der Bezuschussung ausruhten und eine „Versorgungsstandpunkt“ lebten. Im Römerkastell können die Theatermacher studieren, wie man mit nur sieben Reihen schwarze Zahlen schreibt, getragen von der Leidenschaft eines Teams.
Die Zuschauer müssen emotional gefesselt, von einem Gemeinschaftserlebnis so sehr ergriffen sein, dass sie den Kollegen und Freunden später davon vorschwärmen werden. Thorsten Strotmann, ein Entertainer mit Witz, gelingt dies mit locker inszenierten Zaubertricks. Selbst für Menschen, die schon viel gesehen haben, ist etliches neu. Das Timing ist mit Musik, Licht und nicht zuletzt mit der Bauchrednerstimme des Gastgebers perfekt gesetzt.
Im Sommer 2017 war der Magier mit seiner Frau Claudia Strotmann, der Managerin des Theaters, zur außerbetrieblichen Fortbildung in Las Vegas, in der Kapitale der Magie. Die Theaterbesuche mussten fürs Finanzamt detailgenau notiert werden. Eine wichtige Erkenntnis für den 45-Jährigen war, dass der Gigantismus der Großillusionen einen Gegentrend erlebt – es geht zurück zu Nummern, die mit Einfachheit verblüffen. Hat er aus Nevada neue Tricks mitgebracht? Hat er nicht, antwortet er, aber vielleicht sein Gespür für die Dramaturgie einer Show weiter geschärft.
Die Anzeige fürs Butterfly-Messer war die beste Werbung
Wie Tricks funktionieren, steht in Büchern, die man etwa in der Stuttgarter Stadtbibliothek ausleihen kann. Doch es ist wie mit Noten, sagt Strotmann: „Selbst mit den besten Notenblättern wird man nicht zum guten Musiker.“ Fürs magische Marketing helfen keine Bücher. Oft kommt’s auf den Zufall an. Dass der Künstler nach einer TV-Sendung wegen eines verbotenen Butterfly-Messers angezeigt worden ist, lässt sich als Werbeaktion kaum noch steigern.
Das Verfahren wurde eingestellt, Strotmann schneidet nun verschwundene Karten mit einem erlaubten Messer aus Zitronen. In den sozialen Netzwerken agiert er wie ein Meister – und lässt doch die gute, alte Postkarte hochleben. In der Pause dürfen die Zuschauer Karten an Freunde schreiben, die das Zauberteam anderntags zur Post bringt.
Kommen wir zurück zum Kronleuchter: Am Ende wird dieses Schmuckstück heruntergelassen. Eine Zuschauerin schraubt eine Birne heraus und zertrümmert sie. Die verschwundene Spielkarte steckt drin – ohne die abgerissene Ecke, die auf dem Zaubertisch liegt und passt. Kann man das verstehen? Diese Show fasziniert deshalb so sehr, weil man das Geheimnis hinter den Illusionen nicht versteht. Nah dran ist das Publikum am Spektakel – und kann es doch nicht fassen. Gut so! Wer nicht staunen kann, wird womöglich blind fürs Leben.