Kai Wiesinger als Christian Wulff, Anja Kling als Bettina Wulff in "Der Rücktritt". Foto: SAT.1/ Stefan Erhard

Der Bundespräsident gilt als moralische Instanz, Christian Wulff ist daran gescheitert. Filmakademie-Direktor Thomas Schadt versucht nun in seinem Film „Der Rücktritt“, sich den Vorgängen und der Person zu nähern.

Der  Bundespräsident gilt als moralische Instanz,  die Bürger verzeihen ihm keinerlei Fehlverhalten. Das hat der Fall Christian Wulff gezeigt, der monatelang die  Medien beschäftigte. Filmakademie-Direktor Thomas Schadt  versucht nun in seinem Film „Der Rücktritt“, sich den Vorgängen und der Person zu  nähern.
Stuttgart - Herr Schadt, wieso haben Sie sich nicht für einen reinen Dokumentarfilm entschieden, sondern für Doku-Fiction mit Spielszenen?
Nico Hofmann und mir war von Anfang wichtig, dass wir in die Innenperspektive gehen können, die ja bis heute unerforscht geblieben ist. Und Doku-Fiction war dafür die beste Form.
Christian Wulff hat nie so einen ausgeprägten Charakter mit Ecken und Kanten entwickelt wie etwa Gerhard Schröder oder Horst Seehofer – wie schwierig war das, ihn zu fassen zu bekommen?
Wir stützen uns auf alle Quellen, die es gibt, Armin Fuhrers Wulff-Biografie, Michael Götschenbergs Buch „Der böse Wulff?“, Bettina Wulffs Zeugnis „Jenseits des Protokolls“. Es gibt da mehr, als man denkt. Außerdem haben wir viele Hintergrundgespräche geführt, mein Co-Drehbuchautor Jan Fleischhauer ist gut vernetzt im politischen Journalismus. Mir haben auch meine eigenen Filme geholfen über Gerhard Schröder und Helmut Kohl. Das alles zusammen ergibt dann ein Fundament, auf dem man stehen kann.
Wie viel Spekulation ist im fiktionalen Teil erlaubt bei einem so sensiblen Thema?
Weniger, als man vielleicht gemeinhin denkt. Die Dialoge haben so im Wortlaut nicht stattgefunden, und wir wissen nicht, was wo geredet wurde, der entscheidende Punkt ist, dass inhaltlich sinngemäß letztlich alles belegt sein muss. Wir haben einen gewissen interpretatorischen Freiraum, aber inhaltlich sind wir dem Sinn nach verpflichtet. Das dringt ja in Privatsphären ein, da hat man auch eine Verantwortung, nur so weit nach vorne zu gehen, wie man das Gefühl hat, dass man sich abstützen kann.
Wie hat sich Kai Wiesinger der Figur Christian Wulff genähert – wie nah kann ein Schauspieler so jemandem überhaupt kommen?
Er hat sich viele Auftritte Wulffs angeschaut auf You Tube. und er kommt selbst aus Hannover, hat Wulff auch schon leibhaftig erlebt. Im Prinzip war es wie bei Thomas Thieme in meinem Film über Helmut Kohl: Es geht um Interpretation und nie ums Nachahmen, es geht darum, dass man sich so einer Figur über eine Haltung nähert. Kai Wiesinger interpretiert Wulff und bleibt dabei doch Wiesinger – anders hat man keine Chance. Sobald so etwas zur Imitation wird, ist man verloren.
Sie streuen immer wieder dokumentarische Montagen ein, in denen Sie die Rolle der Medien beleuchten und die Entwicklung von berechtigtem öffentlichem Interesse hin zu einer Art Hetzjagd. War das eine Motivation, den Film zu machen?
Ja, ich habe das damals schon sehr ambivalent beobachtet. Die Recherchen am Anfang, auch die des im Film auftretenden „Bild“-Journalisten Martin Heidemanns, waren durchaus legitim. Investigativen Journalismus gibt es überall, in den USA und Großbritannien hat er eine große Tradition. Aber nach Wulffs TV-Interview auf ARD und ZDF, in dem er unglücklich agiert hat, weil der Druck so hoch war, haben sich die Medien wie ein Tsunami auf diesen Mann gestürzt. Bis an den Punkt, an dem sogar ein Enthüllungsjournalist wie Günther Wallraff gesagt hat, das sei quasi eine Hinrichtungskampagne. An einem bestimmten Punkt ist das gekippt, und wie das gekommen ist, das ist interessant zu beobachten.
Glauben Sie, das hat damit zu tun, dass Wulff von Anfang an ein ungeliebter Kandidat war, der nur ins Amt kam, weil die Kanzlerin es unbedingt so wollte? Haben die Medien ihn gewogen und für zu leicht befunden?
Er hat ein bisschen gebraucht am Anfang, es hat lange gedauert bis zu seiner bemerkenswerten Aussage, dass auch der Islam zu Deutschland gehöre. Kurz darauf ging dann das mit dem Kredit schon los. Er hat keine richtige Chance gehabt und sie sich auch selbst nicht gegeben durch die unglückliche Art, wie er in der Krise agiert hat. Die Frage ist, wer überhaupt geeignet ist für so ein Amt, auf das eine ganze Nation mit Argusaugen schaut.
Im Bundespräsidialamt herrscht ein Umgangston, der an Filme aus dem Kaiserreich erinnert – sagen Leute dort wirklich Sachen wie: „Ich darf meiner Hoffnung Ausdruck verleihen . . .“?
Dieses Höfische und diese Steifheit haben wir genau so vorgefunden, die Sprache ist sehr gewöhnungsbedürftig. Die Beamten, die dort arbeiten, bewegen sich in einem festen Protokoll, Anreden und Satzbausteine sind festgelegt wie vor 100 Jahren. Es ist auch interessant, wer wen duzt, die Frage des Vertrauens ist da ganz wichtig. Wulffs Sprecher Olaf Glaeseker redet relativ direkt mit Wulff, denn das haben die so mitgebracht aus Hannover, während Lothar Hagebölling, Chef des Bundespräsidialamtes, Wulff immer mit „Herr Bundespräsident“ anspricht. Diese ganze protokollarische Form des Amtes erscheint mir reformbedürftig. Ich habe diese Dinge auch bei Schröder erlebt, zum Beispiel diese Defilees und militärischen Ehren, wenn Staatsgäste kommen.