Thomas Müller: Der Bayern-Stürmer will mehr Verantwortung übernehmen Foto: dpa

Rollenwechsel für Bayern-Stürmer Thomas Müller: In Südafrika lief die WM an dem Neuling vorbei wie ein wunderschöner Film. Das Turnier in Brasilien wird der Torschützenkönig von 2010 bewusster erleben. Er will seinen Titel verteidigen und mehr Verantwortung im deutschen Team übernehmen.

Rollenwechsel für Bayern-Stürmer Thomas Müller: In Südafrika lief die WM an dem Neuling vorbei wie ein wunderschöner Film. Das Turnier in Brasilien wird der Torschützenkönig von 2010 bewusster erleben. Er will seinen Titel verteidigen und mehr Verantwortung im deutschen Team übernehmen.
St. Leonhard - Herr Müller, wir sitzen hier im Mannschaftshotel am künstlichen See, in bequemen Korbsesseln, die Sonne scheint, es riecht nach frischem Gras. Wie gefällt Ihnen Ihr Urlaub?
(Stutzt, schaut um sich) Ja, es sieht hier wirklich aus wie Urlaub. Aber glauben Sie mir: Was wir hier machen, ist harte Arbeit.
Am freien Nachmittag haben wir Sie beim Golfspielen beobachtet.
Golfen ist gut. Ich hatte den Schläger in der Hand. Aber gegolft habe ich nicht. (Lacht) Beim Golfen sind meine Ansprüche höher, als ich liefern kann.
Na, na – wie schlecht sind Sie denn?
Ich habe Handicap elf (Europa-League-Niveau, Anm. d. Red.). Ich sage mal so: Die Schnellkraft ist da, aber die Streuung der Bälle ist zu groß, das muss ich verbessern.
Beim Fußball haben Sie das besser im Griff. Die WM 2010 war für Sie wie ein Rausch, Sie kamen aus dem Nichts und wurden ein Star.
An die Bilder von Südafrika erinnere ich mich jetzt, wo die WM in Brasilien näher rückt, häufiger. Und ich muss sagen, es ist ein komisches Gefühl. 2010 habe ich mich wie in einer Kapsel gefühlt. Da wusste ich gar nicht, was mit mir passiert.
Und heute?
Heute ist mir viel mehr bewusst, wie viel eine WM bedeutet. Die Erwartungen, die Emotionen, die großen Momente im Spiel. Ich erlebe den Fußball und damit auch die WM 2010 jetzt viel intensiver. Heute fühlt sich das noch schöner an.
Was hat sich für Sie geändert?
Ich stehe jetzt mehr in der Verantwortung. Damals bin ich auf den Platz gegangen und habe frisch drauflosgespielt. Ich sehe mich jetzt an einem Punkt, an dem ich nicht nur dabei bin. Jetzt will und muss ich mehr Verantwortung übernehmen, auf und neben dem Platz.
Mussten Sie dafür ernsthafter werden, oder sind Sie der Gaudibursch von einst geblieben?
Ernsthafter? (Überlegt) Ich denke nicht. Ich verlasse mich in vielen Situationen weiter auf mein Gefühl.
Was sagt Ihnen Ihr Gefühl, wenn Sie an die Hitze in Brasilien denken, mittags um 13 Uhr, wenn die Spiele beginnen?
Wir müssen körperlich bereit sein, das wird ganz wichtig werden. Ich denke, die Hitze kann unangenehm werden, allerdings gilt das auch für unsere Gegner. Ich kenne jedenfalls keinen Sportler, der bei 30 Grad gern auf dem Platz steht.
Was bedeutet das für den Spielstil der deutschen Mannschaft? Mit angezogener Handbremse wird es ja kaum gehen?
Unsere Philosophie ist nicht nach den Temperaturen ausgerichtet. Vor Ort stellt sich das vielleicht anders dar, da muss man spontan auf die klimatischen Bedingungen reagieren. Aber wir werden sicher nicht in der gegnerischen Hälfte stehen bleiben und uns ausruhen. Wir werden auch dort zuerst auf unsere Positionen zurücklaufen, dann können wir vielleicht kurz Luft holen. Das hat viel mit Cleverness zu tun.
Mit dem Bayern-Stil werden Sie in Brasilien jedenfalls nicht weit kommen.
In der Nationalmannschaft spielen wir keinen Bayern-Stil. Wenn, dann spielen wir eine Mischung aus Bayern-Fußball und Dortmund-Fußball. Aber eigentlich spielen wir Nationalmannschaftsfußball, das ist ein eigener Stil. Und noch mal zum Thema Hitze: Wie belastend die ist, wissen wir erst nach jedem Spiel. Wenn wir erfolgreich waren, dann hat sie nicht so gestört.
Die Erwartungen der Fans sind wie immer hoch. Wie erleben Sie das?
Ich weiß, unsere Spiele sind sehr wichtig für die Leute daheim. Für viele bedeuten unsere Auftritte mehr als nur ein Fußballspiel. Da schwingen große Emotionen mit.
Die Sie nicht beliebig bedienen können?
Auch in Brasilien wird es Momente geben, die unter die Haut gehen. Ich hoffe, es sind nur positive.
Vor einem Jahr standen der FC Bayern und Borussia Dortmund im Endspiel der Champions League . . .
. . . da waren die Erwartungen an den deutschen Fußball noch viel größer als jetzt. Heute ist das gekippt, das geht im Fußball ganz schnell. Gestern war Deutschland im Empfinden der Leute eine Fußballmacht, heute sind wir nichts mehr, weil keine deutsche Mannschaft im Finale stand. Heute haben wir uns den Schneid abkaufen lassen – und dann die vielen Verletzten in der Nationalmannschaft! Das führt dann zu einer negativen Haltung, die mir aber fremd ist.
Was sind realistische Ziele, was können Sie den Fans versprechen?
Versprechen kann ich gar nichts. Wir werden in jedem Spiel versuchen, unsere beste Leistung auf den Platz zu bringen. Klar ist: Wir fahren nach Brasilien, um den Titel zu gewinnen. Das ist unser Ziel, das wollen wir in jeder Sekunde eines Spiels zeigen.
Ihre Prognose?
Ich kann keine Vorhersage machen. Niemand kann das, sonst würden ja die ganzen Wettfirmen pleitegehen.
Sie sind ja ein glänzender Vorbereiter. Sie könnten Miroslav Klose zum Titel des Rekord-Torschützen bei WM-Turnieren verhelfen.
Das würde mich freuen. Ich traue ihm durchaus zu, dass er sich in ein paar Bälle von mir reinwirft.
Er behauptet ja, er sei trotz seiner 36 Jahre noch einer der schnellsten Spieler in der Nationalmannschaft.
(Schmunzelt) Ach, der Miro! Er ist ja Angler, und bei denen sind die Fische auch immer soooo groß. (Spreizt die Arme)
Und was ist Ihr persönliches Ziel? Wieder Torschützenkönig zu werden wie 2010, als Ihnen fünf Treffer gelangen?
Ja, das wäre was! Für mich geht es im Unterbewusstsein schon darum, den Titel als Toptorjäger erfolgreich zu verteidigen. Aber mir ist bewusst, dass das nicht unbedingt realistisch ist. Das hat noch kein Spieler bei einer WM geschafft, das wäre historisch. Und da waren ja durchaus ein paar grandiose Torjäger am Start. Aber ich will WM-Geschichte schreiben und werde mein Bestes geben. Und wenn es nicht klappt, kann ich ja vielleicht der Mannschaft mit dem einen oder anderen Tor helfen.