Die neue britische Premierministerin: Theresa May neben David Cameron. Foto: AFP

Beim Thema Migration ist Theresa May knallhart, beim Thema Brexit muss sie dagegen Wandlungsfähigkeit beweisen. Dann ist da noch das explosive Thema Schottland. Eine Herkulesaufgabe für die neue Premierministerin.

London - Eigenartig, sehr eigenartig: Da feiert das Brexit-Lager einen historischen Sieg, Großbritannien muss aus der Europäischen Union (EU) - doch drei Wochen später wird Theresa May Premierministerin, die im Wahlkampf noch gegen den Brexit war. Die Frage ist: Wie fühlt sich Frau May, wenn sie demnächst in Brüssel Verhandlungen führen muss, die sie eigentlich niemals führen wollte? Geht so viel Wandlungsfähigkeit gut?

Kein Wunder, dass an diesem Mittwoch, an dem die Frau mit den schrillen Schuhen ihr Amt übernimmt, wilde Spekulationen ins Kraut schießen. Da fragt sich etwa der Kommentator Sean O’Grady im „Independent“: „Wird Theresa May wirklich diejenige sein, die den Artikel 50 auslöst? Ich glaube das nicht.“ Das klingt nach einem echten Glaubwürdigkeitsproblem der Neuen - gar nicht gut.

Stark verwässerter Ausstieg

Vermutlich, so O’Grady, wird May auf einen Art „Brexit Lite“ zusteuern - sozusagen ein Ausstieg, aber stark verwässert. Doch weil die EU da kaum mitspielen wird, könnte es bald schon ein Ende haben mit May in der Downing Street - dann werde Boris Johnson, der lautstarke Brexit-Mann mit den blonden Strubbelhaaren, in einem Jahr an die Tür klopfen. Soweit der Kommentar.

Aber am Mittwoch ist erst einmal die Übergabe-Zeremonie angesetzt. Rasch, pragmatisch und ohne Pomp bringen das die Briten hinter sich. Erst geht David Cameron zur Queen, dann May, alles nur kurze Stippvisiten, zack, zack, reine Formsache.

Es folgt Übergabe in der Downing Street, kurze Rede, nüchtern, sachlich, tränenlos. Das war’s dann. Krise bei den Tories im Schnelldurchgang beendet, May darf sich in die Arbeit stürzen. Die hat es aber in sich. Seit Jahrzehnten steht Großbritannien nicht mehr vor einem so großen und derart explosiven Problemgemisch:

Brexit

Die Austrittsverhandlungen mit der EU sind das Problem Nummer 1. Ziel ist es, weiterhin den freien Zugang zum EU-Binnenmarkt zu sichern. Doch da beharrt die EU: Das geht nur, wenn auch die Freizügigkeit der Menschen garantiert wird - also die ungehinderte Migration aus EU-Staaten. Das wiederum will May nicht, die schon als Innenministerin eine harte Linie in Sachen Einwanderung vertrat. Dann ist da noch die in Brexit-Lager und EU-Lager gespaltene Partei - kein leichtes Spiel für May.

Wirtschaft

Wie groß die Brexit-Risiken sind, führt die Bank of England mit ihrem Krisenmanagement vor Augen. Bereits an diesem Donnerstag dürfte die Zentralbank an der Zinsschraube drehen und den Leitzins senken, um die Konjunktur anzukurbeln.

Die akute Brexit-Katastrophe bleibt bisher zwar aus, doch die Stimmung ist düster. Unsicherheit herrscht vor allem am Finanzplatz London.

Schottland

Das könnte zum heißesten Thema ihrer Amtszeit werden. Edinburgh will in jedem Fall in der EU bleiben. Koste es, was es wolle. Zudem verleiht das Brexit-Votum dem Streben nach Loslösung von London neue Flügel.

Schon fasst die schottische Regierung ein zweites Unabhängigkeitsvotum ins Auge. 2014 scheiterte ein Referendum nur knapp, das könnte jetzt anders ausgehen. Großbritannien ohne Schottland - das wäre Mays Alptraum.

Abschied von David Cameron

Und David Cameron? Normalerweise spricht man ja gut über einen scheidenden Premier. Doch bei Cameron ist das anders.

„Die Geschichte wird ihn für den einen riesigen Brexit-Fehlschlag in Erinnerung behalten, den größten außenpolitischen Rückschlag seit Suez“, meint der „Guardian“ unerbittlich. Der Mann habe sein Land verraten. Kein freundlicher Abschied.