Seit 2016 wird jedes neugeborene Kind in Deutschland obligatorisch auf die Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose hin getestet. Foto: dpa-Zentralbild

Jährlich werden in Deutschland 200 Kinder mit Mukoviszidose geboren. Wie die Betroffenen aufwachsen und lernen, mit der Stoffwechselkrankheit zu leben, zeigt die Spezialambulanz in Stuttgart.

Stuttgart - Die Schwüle des Sommertags lastet schwer auf dem Körper, der sowieso schon um Atem ringt. Aufrecht sitzt Markus in seinem Bett, ein weißes Flügelhemd umhüllt die schmalen Schultern, ein durchsichtiger Schlauch führt zu seiner Nase und versorgt den 50-Jährigen mit Luft. Besuchern, die er nicht so gut kennt, verschweigt er seinen richtigen Namen. Stattdessen erzählt er gern von seinen Fahrradtouren mit dem E-Bike. Erst vor wenigen Wochen hat er mit Freunden die Region Stuttgart erkundet. Doch an Radfahren ist nicht mehr zu denken. Jetzt liegt Markus in der Ambulanz für Mukoviszidose und seltene Lungenerkrankungen im Klinikum Stuttgart und muss sich überlegen, ob er einer Lungentransplantation zustimmen soll. „Ich habe davor gewaltigen Schiss.“

Zäher Schleim verstopft eine Reihe lebenswichtiger Organe

Eigentlich hat Markus keine Wahl: Er hat Mukoviszidose. Seine Lunge arbeitet nur noch zu 30 Prozent. Der zähflüssige Schleim, der zeit seines Lebens immer wieder die Lunge verklebt, die ständigen Entzündungen und Infektionen haben das Organ so stark geschädigt, dass es ausgetauscht werden muss. Die in Europa am häufigsten vererbte Stoffwechselkrankheit ist noch immer nicht heilbar. Ursache ist ein Gendefekt auf dem Chromosom Nummer sieben. Er betrifft das sogenannte CFTR-Gen. Das Gen enthält bei Gesunden den Bauplan für ein Eiweiß, das den Transport von Salzen und damit den Salzhaushalt der Zellen reguliert. Experten sprechen von einem Ionenkanal. Doch dieser Kanal fehlt bei Mukoviszidose oder der Durchgang klemmt, lässt sich nicht oder nur schlecht öffnen. Wo genau der Fehler liegt, hängt von der Mutation im Gen ab. Doch die Auswirkungen sind ähnlich, sagt Justyna Winiarska-Kiefer. Die Oberärztin betreut Markus in der Mukoviszidose-Ambulanz des Klinikums seit mehreren Jahren: „Im Prinzip ist der Wasser- und Salztransport im Körper des Betroffenen komplett gestört.“ Zäher Schleim verstopft eine Reihe lebenswichtiger Organe.

Das betrifft neben der Lunge auch alle anderen Organe, in denen Körperflüssigkeiten eine Rolle spielen: Die Bauchspeicheldrüse etwa und die Leber, was dazu führt, dass viele Patienten wie Markus Verdauungsstörungen haben und untergewichtig sind. Manche erkranken auch an Diabetes und müssen wegen Gallensteinen behandelt werden. Selbst auf die Knochendichte hat die Stoffwechselerkrankung Einfluss: Viele Patienten leiden an Osteoporose.

Schon neugeborene Babys haben den typischen sehr salzigen Schweiß

Erkannt wird die Stoffwechselkrankheit aber meist an einem ganz anderen Symptom: „Die Mütter wundern sich, warum ihr Kind einen so stark salzigen Schweiß haben“, sagt Martin Rosewich, Leiter der Mukoviszidose-Ambulanz. Sie küssen ihr Neugeborenes und bemerken den auffälligen Beigeschmack. Aufgrund dieses charakteristischen Merkmals ist 1959 der Schweißtest als Diagnose entwickelt worden. Seit 2016 werden alle Neugeborenen über einen Bluttest auf Mukoviszidose untersucht. Im Olgahospital sind das 400 Kinder, die pro Jahr getestet werden. Hat das Kind den Gendefekt, beginnt sofort eine maßgeschneiderte Therapie. „Bei bestimmten Ausprägungen des Gendefekts können Medikamente den Salztransport in den Zellen positiv unterstützen“, sagt Rosewich. Diese mutationsspezifischen Therapien kommen in manchen Fällen einer Heilung gleich.

Betroffene haben eine Lebenserwartung von rund 40 Jahren

Doch bei den betroffenen Patienten, bei denen der Kanal komplett fehlt, hilft nur die vorbeugende Therapie: Die Ärzte versuchen, die Entzündungen und Infektionen in der Lunge lange in Schach zu halten. Bislang gelingt es recht gut, den Normalzustand über Jahre und Jahrzehnte aufrechtzuerhalten: Kinder, die heute mit der Stoffwechselerkrankung geboren werden, können nach Einschätzung des deutschen Vereins Mukoviszidose mit einer Lebenserwartung von mehr als 40 Jahren rechnen. Im Fachmagazin „European Respiratory Journal“ warnen Experten, dass mittlerweile mehr Erwachsene als Minderjährige mit Mukoviszidose leben – und die auf Kinder spezialisierte Versorgung auf eine alternde Klientel eingestellt werden müsse.

In Stuttgart werden derzeit rund 183 Patienten betreut

Im Klinikum Stuttgart ist diese Umstellung dank Unterstützung der Eva-Mayr-Stihl-Stiftung schon vollzogen: In der Mukoviszidose-Ambulanz werden derzeit rund 183 Patienten aller Altersklassen von einem Ärzteteam betreut, das aus allen Abteilungen des Krankenhauses zusammengesetzt ist. „Wer so eine spezialisierte Behandlung von Anfang an nutzen kann, dessen Chancen stehen auf lange Sicht besser“, sagt Rosewich. In der Ambulanz lernen die Patienten von Kindesbeinen an Atemübungen und wie sie inhalieren müssen. Physiotherapeuten zeigen ihnen, wie sie ihren Brustkorb mit speziellen Handgriffen bearbeiten können, damit sich der Schleim löst, nach oben transportiert und abgehustet wird.

Markus konnte so die Krankheit lange Zeit in Schach halten. Doch in den vergangenen Monaten erging es ihm zusehends schlechter: Er hatte sich einen resistenten Keim eingefangen, wie es vielen Mukoviszidose-Patienten passiert. Zweimal war er auf der Intensivstation, zweimal hat er sich zurückgekämpft. „Damit er wieder an sein altes Leben anknüpfen kann, braucht er eine neue Lunge“, sagt Winiarska-Kiefer.

Mit der Transplantation verschwindet die Krankheit nicht

In der Forschung ist man schon dabei, nach gentechnischen Mechanismen zu fahnden, die Betroffenen wie Markus zur Heilung verhelfen könnten: Neue Behandlungsmöglichkeiten versprechen sich Wissenschaftler etwa durch den Einsatz von Stammzellen oder der Genschere Crispr/Cas. Derzeit befinden sich diese Verfahren noch in einer vorklinischen Phase.

Für Markus wird die Zeit jedoch knapp. Als seine Ärztin die Transplantation anspricht, sieht er besorgt aus. Er weiß um die Operationsrisiken. Er wird zusätzliche Tabletten schlucken müssen, die verhindern, dass sein Körper das neue Organ abstößt. Zudem ist Markus damit auch nicht gesund: Die Mukoviszidose wird in seinem Körper weiter wirken. „Denken Sie nicht daran“, sagt Winiarska-Kiefer. „Es gibt Mukoviszidose-Patienten, die mit Spenderlunge jahrelang weiterleben.“ Ohne das Keuchen und den zähen Husten. „Sie können es schaffen.“

Wie wird Mukoviszidose von Eltern zu Kind übertragen?

So wird die Stoffwechselerkrankung vererbt

Jeder Mensch trägt in jeder seiner Körperzelle die gesamte Erbinformation in den sogenannten Genen. Die Gene sind auf verschiedene Chromosomen verteilt. Insgesamt sind in jeder Körperzelle 46 Chromosomen vertreten – 23 von der Mutter, 23 vom Vater. In diesem Chromosomensatz liegt somit jedes Gen doppelt vor. Auf dem siebten Chromosom liegt unter anderem das CFTR-Gen, das bei Gesunden den Bauplan für ein Eiweiß enthält, das den Transport von Salzen und damit den Salzhaushalt der Zelle reguliert. Jeder Mensch hat zwei dieser CFTR-Gene – eines von der Mutter und eines vom Vater.

Ist eines der beiden Gene verändert – etwa durch eine Mutation – und erhält das Kind von einem Elternteil dieses defekte Gen, dann ist das Kind gesund. Aber es ist Merkmalsträger und kann das defekte CFTR-Gen an seine Nachkommen weitergeben.

Sind beide Gene verändert, die das Kind von den Eltern bekommt, dann hat das Kind Mukoviszidose. Es kann aber auch sein, dass die Eltern zwar Merkmalsträger sind, aber nur das jeweils gesunde Gen weitergeben, dann ist auch das Kind gesund. Laut Statistik haben Partnerschaften, in denen beide Eltern Merkmalsträger sind, das 25-prozentige Risiko, dass das Kind an Mukoviszidose erkrankt. In 75 Prozent der Fälle ist es gesund, zu 50 Prozent trägt es das kranke Gen.

Mukoviszidose-Betroffene haben mit einem gesunden Partner, der aber ein defektes CFTR-Gen hat, das Risiko, das zwei von vier Kindern ebenfalls an Mukoviszidose erkranken. Hat der Betroffene aber einen gesunden Partner, der auch nur gesunde CFTR-Gene besitzt, dann wird keins der Kinder an Mukoviszidose erkranken, sie sind aber alle Merkmalsträger. (StN)