Die großen „Lear“-Buchstaben fallen im Lauf des Stücks genauso wie der starrsinnige König, der zu spät merkt, wer zu ihm hält. Foto: /Simon Granville

Nach zwei happigen Jahren startet die Ludwigsburger Freilichtbühne mit einem gegen den Strich gebürsteten „König Lear“ in die Spielzeit.

Im paradiesischen Ludwigsburger Cluss-Garten wird von Mittwoch an intrigiert, getäuscht, geblendet, vergiftet und gemeuchelt. Das alles auf höchst unterhaltsame Weise. Denn Shakespeares Tragödie „König Lear“ über den altersstarrsinnigen Regenten, der trotzig ausgerechnet diejenige seiner drei Töchter verstößt und vom Erbe ausschließt, die es ehrlich mit ihm meint und ihm keinen Honig ums Maul schmiert, ist in der Bearbeitung von Thomas Melle und in der Inszenierung von Peter Kratz ein freches, buntes, temporeiches und mit schwarzem Humor gespicktes sommerleichtes Stück geworden. Dabei ist der Inhalt eigentlich bitterernst. Doch ungefilterte Shakespeare-Tragödie – „das ist nicht gerade das, was das Publikum am Freitag- oder Samstagabend nach einer anstrengenden Arbeitswoche unbedingt noch auf der Freilichtbühne sehen mag“, sagt Kratz.

Lear lechzt nach Facebook-Freunden

Das klassische Drama um Sein und Schein und die Konsequenzen, die es haben kann, wenn man Letzterem mehr vertraut als Ersterem, wollte Kratz trotzdem in den Cluss-Garten holen. Früher sei Shakespeare beim Theatersommer rauf und runter gespielt worden, erzählt er. Der Lear stand aber noch nie auf dem Spielplan. Im schnodderig-rotzigen Großstadtton von Thomas Melles Adaption, der den Stoff ins Jetzt verlegt und aufs Kern-Personal reduziert hat, setzen die eiskalt kalkulierenden Schwestern Goneril und Regan auf „Eskalation“, um zum Ziel zu kommen – wobei sie nicht für die eigenen Zwecke kämpfen und töten, sondern für „gleiches Recht für alle Menschen aller Klassen, Farben und Geschlechter“. Lear selbst ist dem Internet verfallen, in dem er „in Ruhe und Andacht dahindämmern will“.

Von Facebook-Freunden entliked zu werden, fürchtet er mehr als den Niedergang seiner Familie und seines Reichs. Cordelia wird „von der Resterampe nach Frankreich wegverheiratet“, Gloucester ist hier eine überkandidelte, betriebs- und später wirklich blinde Gräfin, die von einem Mann verkörpert wird. Ihren zu Unrecht verstoßenen Sohn Edgar, der sich statt als Bettler Tom als „Major Tom“ mit Pilotenbrille durchs Gebüsch schlägt, spielt hingegen eine Frau.

Wenn Schwarmdummheit tödlich endet

Lears Narren sind zwei schrillbunte Figuren aus der LGBTQ-Szene, und der hinterhältige Edmund irrlichtert wie ein Zombie durch das Stück. Schließlich kommt es, wie es kommen muss, wenn „nutzlose alte weiße Männer, die an ihrer Macht hängen, obwohl sie sie doch abgegeben haben“, und „Schwarmdummheit“ aufeinandertreffen: Am Ende gibt es vier Tote – und trotzdem hat man bis dahin viel gelacht an dem zweistündigen Abend. Vordergründig ist er trotzdem nicht. Dazu ist der Lear-Stoff viel zu wenig schwarz-weiß und die Inszenierung trotz klamaukiger Elemente subtil. Jede und jeder auf dem Akteurstableau, und mag er sich auch noch so aasig aufführen, hat zumindest in Teilen gute Gründe dafür, wie er handelt.

Das Theatersommer-Team hofft nun, dass das Wetter mitspielt und das Publikum den Stoff und die Inszenierung goutieren wird. Auf die treuen Besucherinnen und Besucher aus Stadt und Kreis, die wissen, dass das Freilichttheater für kurzweilige, qualitätvolle Schauspielkunst steht, zählt der Intendant. „60 Prozent unserer Kosten müssen wir selbst einspielen, wir haben einen großen Erfolgsdruck“, sagt Peter Kratz. Bisher sei das aber fast immer gelungen, „und wenn wir mehr erwirtschaften, können wir in technisches Equipment investieren.“

Das Kinder- und Familientheater hat besonders viele Fans

Vor allem das Kinder- und Familientheater ist stets eine sichere Bank, es kommen viele Eltern mit Kindern, aber auch die Vorstellungen für Schulklassen sind sehr beliebt. Allerdings kommt durch die günstigeren Karten fürs junge Publikum eben nicht so viel Geld herein wie für die teureren Karten fürs Erwachsenentheater. Ohne eine perspektivische Erhöhung der städtischen Zuschüsse werde man das Programm nicht mehr in gewohnter Weise fahren können, sagt Kratz.

Eine Erfolgsgarantie für den „Lear“ ist jedenfalls das Darsteller-Quintett. Zu schon bekannten Gesichtern wie Andreas Klaue (Lear), Marius Hubel (Gräfin Gloucester, Kent, Narr) und Bernhard Linke (Edmund) gesellen sich die in dieser Spielzeit neu engagierten Schauspielerinnen Claudia Roick (die durch mehrere Kniffe Goneril und Regan verkörpert – sogar zeitgleich) und Kristin Hansen (Cordelia, Egdar, Närrin), die auch famos singen. Überhaupt ist viel Musik im Spiel – Henry Purcells Frost-Arie kurz vor dem finalen Meucheln ist ebenso zu hören wie das „Dies irae“ aus Verdis Requiem oder 70er-Jahre-Pop zu Lila-Perücke- und Rosa-Riesensonnenbrille-Oufit. Das hintersinnige Freilicht-Vergnügen kann beginnen.