Vor zwei Jahren spielte das Bürgertheater „Die Akte Oppenheimer“ im Hof der Karlskaserne. Foto: factum/Archiv

In den vergangenen Jahren stand der Name Ludwigsburger Bürgertheater für Masse: Scharen von Zuschauern standen Scharen von Sängern und Schauspielern gegenüber. Das soll nun wieder anders werden: Im Herbst touren die Theatermacher mit „Urban Prayers“ durch Kirchen und Moscheen.

Ludwigsburg - Was ist Musik-, was Bürgertheater? Für die meisten Ludwigsburger ist alles eins. Doch von diesem Jahr an gehen die Veranstalter wieder getrennte Wege: Das Kulturamt und das Forum am Schlosspark machen weiterhin großes Musiktheater, die Kunstschule Labyrinth und die Tanz- und Theaterwerkstatt (TTW) erarbeiten gemeinsam neue Strukturen für das Bürgertheater. Eine erste Kostprobe vom neuen, experimentierfreudigen Theater gibt es im Herbst: Dann tourt das Bürgertheater mit dem Stück „Urban Prayers“ durch Ludwigsburger Kirchen und Moscheen.

„Wir wollten einen Schnitt machen, um wieder flexibler zu sein“, sagt Rainer Kittel, der künstlerische Leiter des Bürgertheaters. In den letzten Jahren hätten die Aufführungen nur noch von der Masse gelebt. Je mehr Musiker und Schauspieler, desto besser. Die Erwartungen des Publikums zielten auf immer mehr Größe – und nahmen den Machern damit den Spielraum. Jetzt versuchen sie, aus dem engen Korsett auszubrechen. Kittel meint, man habe sich damit eine Verjüngungskur verordnet. Das Bürgertheater solle wieder so experimentell werden wie in seinen Anfängen vor 30 Jahren.

Respekt vor der Religion

Das Motto „Zurück zu den Wurzeln“ sei zwar in der Stadt schwer zu vermitteln, aber es sei nötig. „Wir müssen auch wieder kleinere Produktionen machen können“, sagt die TTW-Geschäftsführerin Bettina Gonsiorek. Das sei nötig, um wieder flexibler bei der Produktion, aber auch bei der Wahl der Spielorte zu sein. Zur Idee vom Bürgertheater gehöre, dass es zu den Bürgern komme.

In der für Oktober geplanten Aufführungsreihe „Urban Prayers“ führt der Weg in die heiligen Orte von Moslems, Katholiken, Aleviten und Protestanten. „Schon die Recherche dafür empfand ich als sehr belebend“, sagt Kittel. Denn es war für ihn zugleich eine Reise in ein Neuland – obwohl er die Stadtgrenzen nicht überschritten hat. „Mit dem großen Bürgertheater erreichen wir immer dieselben Kulturbürger, aber wenn man etwa in die religiösen Gemeinden geht, begegnet man kulturfernen Schichten“, sagt Kittel. Sogar unter strengen Katholiken gebe es viele, die niemals in einem Theater gewesen seien.

Das Stück „Urban Prayers“ basiert auf Interviews, die der Autor Björn Bicker mit Angehörigen von Religionsgemeinschaften, Sekten und spirituellen Gruppen aller Couleur geführt hat. Das Thema ist der Glaube, die dazu gehörenden Besonderheiten und Absonderlichkeiten – sowie die Abgrenzung von den jeweils Andersgläubigen. „Trotz allen Streits vermittelt das Stück so etwas wie Respekt vor der Religion“, sagt der Regisseur Axel Brauch, der das Stück für das Bürgertheater inszeniert.

Als Türöffner zu den verschiedenen Konfessionen fungierte der frühere Citypfarrer Georg Schützler, der in Ludwigsburg den Dialog der Religionen in Gang gesetzt hat. „Es ging darum, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen“, sagt Kittel. Denn die Gemeinden sollen auch selbst Programm machen und nicht nur ihre Kirchen oder Moscheen zur Verfügung stellen.

Keine Abend ist wie der andere

Das in der Karlskaserne entwickelte Konzept sieht ein Stück in fünf Kapiteln vor. Vier Schauspieler werden die Texte sprechen. „Es sind allerdings eher Performer als Schauspieler“, sagt Regisseur Brauch. Das Bühnenbild werde bestimmt von einer Art Kuppel, die sie aus einer Eierform entwickelt habe, sagt die Bühnen- und Kostümbildnerin Gesine Pfitzer. Das sei ein Zugeständnis an die Urform des Glaubens, die bei aller Diversität noch immer durchscheine.

Kopfzerbrechen bereite noch die Wahl der Kostüme. Die Schauspieler sollten ein Gewand tragen, weil das in fast allen Religionen zu finden sei, sagt Pfitzer. „Aber es darf eben kein konkretes religiöses Zeichen aussenden. Es muss für alle stehen.“

Nach dem Eröffnungsabend am 21. Oktober in der Karlskaserne werden die „Urban Prayers“ in der evangelischen Erlöserkirche, in der katholischen Kirche St. Johann, in der Ditib-Moschee sowie der Aleviten-Gemeinde in der Osterholzallee Station machen. „Jede Vorstellung wird anders sein“, sagt Kittel. „Der Eintritt ist frei, aber wegen der relativ kleinen Räume müssen wir mit Einlasskarten arbeiten.“ Vergeben werden sie aber erst im September.

Künftig will das Ludwigsburger Bürgertheater wieder den Zweijahresrhythmus beibehalten. Ein kleines Experimentiertheater wie das der „Urban Prayers“ wird es voraussichtlich jedoch erst wieder in vier Jahren geben. 2019 möchte das Team um Rainer Kittel wieder eine größere Inszenierung in Angriff nehmen. „Das kann schon etwas in der Dimension der Nibelungen oder des Oppenheimer-Projekts sein.“