Poesie, Schönheit, Realismus – das war ihr Dreiklang: Gudrun Schretzmeier (1941–2025) Foto:  

Sie war eine der besten Kostüm- und Bühnenbildnerinnen für Film, Theater, Tanz und Mitbegründerin des Theaterhauses. Jetzt ist Gudrun Schretzmeier im Alter von 84 Jahren gestorben.

Zuletzt hat man sie nur noch selten gesehen, da war sie bereits von der Krankheit gezeichnet. Lebensfroh und den Menschen zugewandt blieb sie auch in dieser schwierigen Zeit, ganz so, wie man sie noch aus früheren Begegnungen kannte, als sie vor Vitalität strotzte und eine Herzlichkeit versprühte, die sich wie eine Umarmung anfühlte.

 

Gudrun Schretzmeier – lebensfroh, den Menschen zugewandt

Aber zugewandt war Gudrun Schretzmeier im Grunde der ganzen Welt und insbesondere der Poesie und Schönheit, die das Leben und den Alltag feierten. Das signalisierte schon ihr frischfreches Outfit. Blonde Kurzhaarfrisur, schwarze Hornbrille, lippenstiftroter Mund, schwarze Hosen: Anders als so konnte man sie sich überhaupt nicht vorstellen, ob bei Spaziergängen im Wald, beim Einkaufen auf dem Wochenmarkt oder im Theater. Über Jahrzehnte hinweg kultivierte sie diese fröhlich zur Schau getragene Signatur.

Ihr Äußeres drückte dabei den Stilwillen aus, der auch ihre Kunst prägte und sie zu einer der renommiertesten deutschen Kostüm- und Bühnenbildnerinnen für Film und Theater aufsteigen ließ. In der Nacht zum Sonntag ist Gudrun Schretzmeier, der man ihr Alter nicht ansah, mit 84 Jahren gestorben.

Gudrun und Werner Schretzmeier im März 2025 im Theaterhaus, als die von ihnen mitbegründete Kulturinstitution 40-jähriges Bestehen feierte Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Kunst und Kultur müssen sich in Dankbarkeit vor ihrem Lebenswerk verneigen. Hundertsiebzig Produktionen für Kino und Fernsehen, für Theater, Tanz und Oper hat die immer sprungbereite, nie gestresste Gudrun Schretzmeier in ihrer sechs Jahrzehnte währenden Karriere ausgestattet, in Stuttgart oder Berlin, Paris, Zürich oder Prag. Als wäre das nicht genug, hat sie mit Tatkraft und Zuversicht auch noch eine Kulturinstitution ins Leben gerufen, die aus Stadt und Land nicht mehr wegzudenken ist: das Stuttgarter Theaterhaus. 1984 gehörte sie zum Gründungstrio des soziokulturellen Zentrums, das im Jahr darauf in Wangen seinen Spielbetrieb aufnahm und 2003 auf den Pragsattel zog.

Gudrun Schretzmeier liebte Stuttgart, liebte das Theaterhaus

Die anderen Zwei der ersten Stunde: der Aktivist und Kabarettist Peter Grohmann sowie der Mann an Gudruns Seite, Werner Schretzmeier, mit dem sie seit 1970 verheiratet war. Bis heute leitet er das Theaterhaus, aber es ist ein offenes Geheimnis, dass die wegweisende Institution ohne seine Frau nicht existieren würde. Ihre soliden Einkünfte waren das Netz, das den furchtlosen Drei den Sprung ins Risiko erst erlaubte.

Geboren 1941 in Stuttgart, absolvierte Gudrun Schretzmeier die Stuttgarter Modeschule und zog hinaus in die Welt. Nach ihrer Lehre zur Bühnen- und Kostümbildnerin bei den Bayreuther Festspielen schneiderte sie in Paris für Dior und Esterel, doch weil die Haute Couture sie langweilte, kehrte sie zurück und wählte Stuttgart zum Lebensmittelpunkt. Seitdem startete sie ihre weiten Reisen von hier aus. „Ich wollte selbstständig sein. Anders und frei. Heute hier, morgen dort, irgendwo zwischen Paris, London und New York“, sagte sie.

Gudrun Schretzmeier im Jahr 2016, als im Theaterhaus eine Ausstellung über ihr Lebenswerk zu sehen war Foto: Lichtgut/Michael Latz

Tatsächlich kam sie dank ihrer Filmaufträge in der Welt rum und kleidete am Ende alle ein, wirklich alle, von Iris Berben bis Martina Gedeck, von Heino Ferch bis Christoph Waltz, von Maria Schrader, Katja Flint, Mark Waschke bis hin zu Joseph Fiennes.

Im Kostüm eines Schauspielers sah sie „seine zweite Haut, die nur auffallen sollte, wenn es dramaturgisch wichtig ist“. So lautete ihr Credo, auch als sie – um das berühmteste Beispiel zu nennen – 1983 in der bitteren Faschingskomödie „Kehraus“ Gerhard Polt und Gisela Schneeberger in Kostüme steckte, hinter deren Lustigkeit die Traurigkeit und Armseligkeit von Menschen steckte, die sich die Pappnasenlustigkeit krampfhaft verordnen mussten. Das war dramaturgisch wichtig. Und dafür hatte sie einen Blick, ihr eignete das präzise Auge für sprechende Details, weshalb sie in Historienfilmen eine besondere Herausforderung sah.

Für Gauthier Dance stattete sie fast alle Tanzproduktionen aus

Für den ZDF-Zweiteiler „König der letzten Tage“ von 1993 reiste die neugierige Gudrun Schretzmeier ins Mittelalter und kostümierte 1500 Komparsen, ohne dass der Film nach Kostüm stank: eine Kunst.

Und bis zuletzt diente sie damit auch dem Stuttgarter Theaterhaus, ihrem Kind, dem sie als leitende Bühnen- und Kostümbildnerin treu blieb. Für Eric Gauthier stattete sie fast alle Tanzproduktionen aus und für Werner Schretzmeier die Theaterarbeiten sowieso.

Poesie, Schönheit, Realismus: Das war der Dreiklang von Gudrun Schretzmeier. Zeitlebens blieb sie ihren Prinzipien treu, machte keinen Unterschied zwischen Hoch- und Soziokultur und wohnte seit fünfzig Jahren an der Neuen Weinsteige, wo sie – den nie versiegenden Autoverkehr im Ohr – den „Pulsschlag der Stadt“ fühlte.

Sie liebte Stuttgart, sie liebte das Theaterhaus, sie liebte die Menschen, die „leuchten sollten“: Mit Gudrun Schretzmeier verliert die Kulturwelt eine außergewöhnliche Frau und Künstlerin.