Intendantin und Festivalleiterin Brigitte Dethier zeigt internationales Theater für junge Leute. Foto: Pingel

Zum 10. Mal findet im Jungen Ensemble Stutgart (Jes) das Internationale Kinder- und Jugendtheaterfestival „Schöne Aussicht“ statt. Intendantin Brigitte Dethier sagt im Gespräch, wie junges Theater gesellschaftlich brisante Themen künstlerisch aufregend präsentieren kann.

Stuttgart - „Schöne Aussicht“ – das Internationale Kinder- und Jugendtheaterfestival Stuttgart – präsentiert vom 4. bis 12. Juni neun Gastspiele aus Europa und Afrika. Außerdem ist das Festival eine Leistungsschau für neun Kinder- und Jugendtheater aus Baden-Württemberg, die Ergebnisse ihrer künstlerischen Arbeit vorstellen. Veranstalter des zweiteiligen Theatertreffens ist das Junge Ensemble Stuttgart (Jes). Jes-Intendantin Brigitte Dethier freut sich besonders über starkes politisches Theater.

Frau Dethier, zwei Jahre lang haben Sie und Ihre Kollegen „Sichtungsreisen“ unternommen, um an Kinder- und Jugendbühnen nach Gastspielen für das Festival Ausschau halten. Auf welchen Ertrag darf sich das Publikum freuen?
Anders als bei vorigen Festivals ist die Auswahl eindeutig politisch gefärbt. Wir reagieren darauf, dass sich die Welt vor allem aus mitteleuropäischer Sicht verändert hat. Das Schicksal der Geflüchteten und der Terror als Grund für viele Fluchtgeschichten kommen immer näher. Näher an das Bewusstsein. Darauf muss auch das Kinder- und Jugendtheater reagieren. Mit hauseigenen Produktionen wie „Drei dabei“ oder „The Emigrants“ haben wir das schon getan; das Festival kann es in größerer künstlerischer Vielfalt.
Wie darf man sich die Adaption von Themen wie Terror, Flüchtlingsbewegung oder Bürgerkrieg für Inszenierungen vorstellen, die junge Menschen erreichen sollen?
Es werden keine konkreten, personalisierten Flüchtlings-, Armuts- und Kriegsgeschichten nacherzählt. Das Theater hat andere Mittel, nämlich die des Tanzes, des noverbalen Darstellens, der ästhetischen Analyse und Abstraktion.
Haben Sie ein Beispiel?
Das „Backa-Teater“ aus Göteborg hat junge Menschen gefragt, ob sie schon einmal „eine gute Tat“ initiiert hätten. Die Antworten wurden gesammelt. Sie ergeben ein Zeitzeugnis Europas, in dem Egoismus, Gier, Rassismus und Brutalität mit theatralen Mitteln abgebildet sind. In einer anderen Inszenierung werden die persönlichen Erfahrungen aus der Arbeit im Flüchtlingscamp Za’athari in Jordanien verarbeitet. Hier ist das Publikum eingeladen, mitzuträumen, auch wenn die Realitäten manchmal schrecklich sind.
Zeigen Sie wie in der Vergangenheit Theater aus Belgien, das als besonders innovativ gilt?
Die belgischen Theatermacher sind auch wieder präsent. Die Gruppe Bronks reagiert mit ihrer Produktion „Wir/Die“ auf das Attentat im Jahre 2004, als im Kaukasus 1200 Schulkinder, deren Eltern und Lehrer von bewaffneten Terroristen als Geisel genommen wurden. Die Zwei-Personen- Inszenierung zeigt in einer betont körperlichen Spielweise, wie man mit den Erinnerungen an einen solchen Vorfall umgeht.
„Schöne Aussicht“ will auch Lust auf Produktionen aus Baden-Württemberg machen. Sehen Sie einen grundlegenden Unterschied in der Arbeit zwischen hiesigen und internationalen Kinder- und Jugendbühnen?
Ja. Bei der diesjährigen Ausgabe des Festivals zeigen die internationalen Kinder- und Jugendtheater fast ausnahmslos selbst entwickelte Stoffe, die baden-württembergischen Ensembles dagegen machen zu großen Teilen Autorentheater. Gerade diese Unterschiedlichkeit macht die Vielfalt des Festivals aus. Der Blick über den Tellerrand, den wir alle zwei Jahre mit „Schöne Aussicht“ wagen, lockt viele Besucher zum Festival. Für mich als Intendantin ist die internationale Vernetzung die Haupttriebfeder für meine Arbeit hier in Stuttgart.
Wer schöne Aussichten will, muss dafür zahlen. Das ist im Immobiliengeschäft nicht anders als im Theater. Wer zahlt in diesem Jahr?
Rund 300000 Euro kostet das Festival in diesem Jahr. 157000 Euro davon kommen von der Stadt, 100000 vom Land. Und der Rest wurde von Stiftungen, Sponsoren und vom Jes selbst geleistet.

INFO zum Festival:

Das Kinder- und Jugendtheaterfestival „Schöne Aussicht“ findet von 4. Juni bis 12. Juni statt.

Gespielt wird an verschiedenen Orten: im Jes, im Fitz und der tri-bühne in der Eberhardstraße 61a, im Theater Rampe (Filderstraße 47), im Theater Nord (Löwentorstraße 68) und auf Schloss Solitude (Südseite, Solitude 1).

Traditionell wird im Rahmen des Theaterfestivals „Schöne Aussicht“ der vom Baden-Württembergischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst gestiftete Jugendtheaterpreis überreicht, verbunden mit kurzen szenischen Lesungen aus den Preisträgerstücken. Die Verleihung findet am 9. Juni um 20 Uhr im Zentrum für Figurentheater (FITZ) statt. Die Sieger sind: der kanadisch-britische Autor Evan Placey und sein Übersetzer Frank Weigand für „Mädchen wie die“. Den zweiten Preis erhalten die Norwegerin Liv Heloe und ihre Übersetzerin Berit Glanz für „meet me“. Charlotte Luise Fechner erhält für „Kleinkaliber“ den Förderpreis und das Projektstipendium geht an Lisa Sommerfeldt und das Theater Ulm für „Der dunkle Vogel“. Diese Entscheidung hat eine 20-köpfige Jury getroffen, der neben VertreterInnen der Kinder- und Jugendtheater Baden-Württembergs AutorInnen, KritikerInnen, LektorInnen und VeranstalterInnen angehören.

Das vom Jungen Ensemble Stuttgart (Jes) organisierte gleichzeitig stattfindende 16. Baden-Württembergische Kinder- und Jugendtheaterfestival ist auch ein Arbeitstreffen der teilnehmenden Ensembles. In „Schönen Talks“ werden Positionen des aktuellen und zukünftigen Kinder- und Jugendtheaters ausgetauscht.

Weil Kinder von heute Zuschauer von morgen sind, lädt „Schöne Aussicht“ Theaterbesucher ab 2 Jahren gleich zur Festivaleröffnung am 4. Juni zu „Spiegelspielen“ mit dem Ensemble Wien ein. Anschließend wird das Festival um 17.30 Uhr offiziell eröffnet - mit hoffentlich kurzen, aber schönen Reden.

Benelux-Länder: In der Inszenierung „Der Löwe“ der Gruppe „Studio Orka“ aus Belgien am 5. Juni geht mal wieder alles schief. Jes-Intendantin Brigitte Dethier verspricht „den nackten Wahnsinn“. Unbedingt anschauen müsse man sich auch das Stück „Frühlingsweihe“ vom Maas Theater En Dans aus den Niederlanden. Das Publikum sitzt um einen ovalen Laufsteg, auf dem zu subtilem Tekkno dem Geheimnis der Weiblichkeit nachgespürt wird. „Wunderbar“ verspricht auch die Performance „Fußball in Stilettos“ von Kopergietery aus Belgien zu sein. Die Show um Vorurteile gegenüber homoerotischen Neigungen gewann 2014 den Niederländischen Theaterpreis.

Weitgereist: Als „kleine, feine Vorstellung über den Lauf der Jahreszeiten“ (Brigitte Dethier) spielt das Magnet Theatre aus Südafrika das Stück „Tree“. Kinder ab 3 Jahren sind eingeladen, nicht nur zu staunen, sie können sich auch mit den Künstlern aus Kapstadt austauschen.

Baden-Württemberg: Nicht so weit angereist wie das Ensemble von Magnet Theatre aus Südafrika sind die neun Ensembles aus Baden-Württemberg, die von der Jury zum Festival eingeladen wurden. Aus Esslingen kommt die Junge Württembergische Landesbühne mit „Monolog für einen Reuber“ mit Markus Michalik. Das „Schnawwl“ aus Mannheim bringt das Vier-Personen-Stück „Du Hitler“ mit. Wie wichtig ist Geld, vor allem dann, wenn man zu wenig davon hat? Dieser Grundfrage geht die Badische Landesbühne Bruchsal mit „Flaschengeld“ nach. Von einem Außenseiter erzählt das Junge Staatstheater Karlsruhe mit „Frerk, Du Zwerg!“.

Wer wissen möchte, welche Helden, Schätze und Versprechen noch alles im Programm des Festivals verborgen sind, der kann sich unter www.jes-stuttgart.de informieren.