Bleich wie der Mond: Julischka Eichel als Titelheldin in einer Szene aus „Salome“ im Schauspielhaus Stuttgart Foto: Birgit Hupfeld

Endzeitstimmung im Hause Herodes: Sebastian Baumgarten inszeniert „Salome“ nach Oscar Wilde / Einar Schleef fürs Staatsschauspiel Stuttgart

Stuttgart - Frau begehrt Mann, Mann entzieht sich. Frau führt obszönen Tanz vor dem königlichen Stiefvater auf und verlangt als Belohnung den Kopf des Angebeteten. Wer will so eine Geschichte aber heute noch erzählen: Die Frau als verführerisches, alles verderbendes Wesen?

Sebastian Baumgarten hat jedenfalls keine Lust dazu. Auch wenn der Prolog in seiner „Salome“-Inszenierung am Donnerstag im Schauspielhaus Stuttgart das ankündigt. Felix Mühlen tritt in Astronautenkluft auf, ein Glas Gin schwenkend palavert er über das Stück und „den Stoffgeber: die Bibel“. Da stünde, das männliche Christentum brauch das weibliche Opfer, es sei dessen Fundament. Unterm Kreuz Christi winde sich die Schlange. „Und seien wir mal ehrlich“, sagt er und grinst: „So ’ne Schlange schaut man sich doch gerne an.“

Doch Julischka Eichels Salome ist alles, nur keine verführerische Schlange. Bleich und mit pechschwarzer Strupp-Perücke ähnelt sie einer Figur aus einer Horrorklamotte. Sie stakst wie eine Gottesanbeterin über den Unrat und Dreck, der als Videoprojektion die Bühne vermüllt. Sebastian Baumgarten und sein Bühnenbildner Thilo Reuter schaffen eine Endzeitstimmung mit einer Welt in Trümmern. Hoffnungslos.

Salome auf dem Müllberg der Geschichte

Der Spott von Herodias, als ihr Mann Herodes Eindringlinge im Garten vermutet: „Hallo? – Hallo? – Hallo? Da ist nichts“, könnte als Motto des Abends durchgehen. Im 1891 entstandenen Stück von Oscar Wilde und in Einar Schleefs ruppiger Bearbeitung wird den Göttern der Totenschein ausgestellt. Außerhalb der Erde ist auch nichts zu hoffen, sagt Baumgarten, erklärt die heutige Wissenschaftsgläubigkeit für obsolet, indem er Schauspieler Felix Mühlens Astronaut in Nasa-Anzug als Chauvinisten desavouiert. Der Mond, den die Figuren im Stück fürchten und anbeten, wird auf Video gezeigt, er wirft eitrige Blasen, grün und rot, hat aber nicht mehr Funktionen als die einer esoterische Atmosphäre schaffenden Lavalampe.

Salome jetzt also auf einem Müllberg der Geschichte, in einer geteilten Welt, die von Religionskrieg und wirtschaftlicher Ungleichheit geprägt ist: Auf dem Palast steht links „King David Hotel“, rechts sieht man arabische Schriftzeichen. Links führt eine Treppe hinab, rechts nur grob behauene Steine. Unten im Gulli gefangen haust Johannes der Täufer, den König Herodes leben lässt, obwohl (oder weil) der ständig „die Hure Babylon“ schmäht und Herodias sich gemeint fühlt.

Die Männer sind hier trottelhafte Nichtsnutze

Der Palast gleicht einem wummernden Technobunker, in dem dekadente Partypeople sich dem Rausch hingeben. Ein Diener in Goldlack (Horst Kotterba) und ein Henker (Sebastian Röhrle) mit Irokesenschnitt und Lederkluft, der aussieht wie der Frontmann der Punkband Prodigy. Ein Syrer (Christian Czeremnych), der sich wegen Salomes unerwiderter Liebe töten wird, kommt daher wie ein cracksüchtiger Statist, der sich kürzlich in einem Hollywood-Sandalenfilm ein paar Cent verdient hat. Auch Herodes (Thomas Wodianka), ein Wirrkopf im Damenmorgenmantel, spielt den unberechenbaren Despoten, schielt letztlich nur brav nach Rom zu seinem Gönner Cäsar. Trottelhafte, von Angst getriebene Nichtsnutze, die nur eines hoffen: dass alles so bleiben möge wie es schon immer war.

Salome ist die einzige, die von einem Begehren getrieben ist. Sie sucht Liebe, und sei es in einer Jauchegrube. Die grandiose Julischka Eichel gibt das verwilderte Mädchen, das sich gierig über die Luke beugt und unbeholfen, kindlich schmollend die Männer so lange provoziert, bis einer nachgibt und das Gitter öffnet.

Und Paul Grills Johannes der Täufer? Unklar, ob er ein Prophet ist oder ein Scharlatan. Ein Kloakenwesen, kein bisschen von jener Lilienweiße zu sehen (Kostüme: Marysol del Castillo), die der Ästhet Oscar Wilde ihm andichtete. Verschlammt steht er vor Salome. „Ich küsse dich!“ „Töte mich!“ „Ich liebe dich“. Schon in Kay Voges’ „Das erste Evangelium“ im Schauspielhaus Stuttgart haben die beiden ein Paar gespielt. Nun gieren und geifern sie einander an wie Martha und George in Edward Albees Ehedrama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“.

Salome beißt Johannes die Zunge aus dem Mund

Doch was dort ein intellektuelles Spiel ist, wird hier blutiger Ernst. Die willenstarke Salome erweist sich als Opfer des Kapitalismus, immer das Neueste, das noch nie Dagewesene verlangend. Weshalb sie mit ihrem Wunsch zwar auch Mutter Herodias hilft, die vergeblich den Tod Johannes’ gefordert hatte. Vor allem aber will sie eins: haben, nehmen, besitzen. Und so setzt sie sich in die Blechwanne, taucht die Hände ins Blut, beißt dem Toten die Zunge aus dem Mund, züngelt posthum mit Johannes. Eine etwas unappetitliche Angelegenheit, die Baumgarten seinem Publikum zumutet, wobei er sich, was Tonfall und Spielweise betrifft, nicht konsequent entschieden hat, ob er sich aus „Salome“ einen morbiden Jux machen will oder nicht.

Während die Männer sich wie in Zeichentrickfilmen zu „Bing“- und „Bäng“-Geräuschen roboterhaft bewegen, manches platt und trashig wikt, setzt Astrid Meyerfeldt als Herodias vor allem auf die Kraft des Geiferns. Sie zelebriert die Rolle als kapitale Nervensäge, gibt die abergläubische Diva, die für ihren zeugungsunfähigen Gatten nur Hohn übrig hat. Und die triumphiert, als Salome nach dem Tanz für Herodes Johannes’ Kopf als Belohnung verlangt.

Cooler Schleiertanz

Und der berühmte Schleiertanz? Julischka Eichel absolviert ihn mit cooler Nonchalance. Auf ihr Gewand werden Bilder geworfen (Video: Philip Bußmann) – verschieden geformte nackte Körper von Männern wie von Frauen. Alles Denken, alle Lust ist nur Projektion. Doch dann verlässt den Regisseur das Vertrauen in seine nicht schönen, aber assoziationsreichen Bilder, und er liefert zum Finale als philsophisches Postscriptum Giorgio-Agamben-Zitiate, die in kaum einer Baumgarten-Arbeit fehlen.

Astrid Meyerfeldt rezitiert Sätze über die christliche Heilslehre und ihre Wendung ins Profane, die Salomes unglaubliches Tun womöglich erklären könnten: „Der Messias kommt wegen unserer Wünsche. Er trennt sie von den Bildern, um sie zu erfüllen. Oder eher, um zu zeigen, dass sie schon erfüllt sind. Was wir uns eingebildet haben, haben wir schon bekommen.“ So gut und klug das klingt, der theoretischen Durchdringung konnten die Bilder der Inszenierung nicht immer standhalten.

Weitere Aufführungen: 13., 17. Mai; 1., 23., 27. Juni. Karten: 07 11 / 20 20 90.