Maja Beckmann und Wolfgang Michalek in David Böschs „Breaking The Waves“ Foto: Conny Mirbach

Regisseur David Bösch verkürzt Lars von Triers Film „Breaking The Waves“ in seiner Theaterinszenierung um eine halbe Stunde. Es geht – bei allen schauspielerischen Glanzleistungen – am Samstag im Schauspielhaus Stuttgart aber noch mehr abhanden.

Stuttgart - Es ist wie die Furcht vor der Geisterbahn. Eigentlich scheut man den Anblick, will nichts davon wissen. Man sieht Dinge, die einen gruseln, erschrecken, aber auch faszinieren. Und manchmal lacht man wie irr. Lars von Triers Filme lassen einen nicht kalt. Man hat Angst, leidet, es wird einem aber auch heiß ums Herz, ob der überwältigenden Gefühle. Und am Ende, wenn man es durchgestanden hat, will man noch einmal eine Fahrt durch diese emotionale Geisterbahn, weil es schrecklich, aber auch schön war.

„Breaking The Waves“ zum Beispiel: Im Zentrum des Films, der Lars von Trier 1996 international bekannt machte, steht Bess. Ein schlichtes, hyperreligiöses Gemüt, das in einer Art religiöser Sekte lebt. Durch einen Fremden, den auf einer Bohrinsel arbeitenden Jan, lernt sie die Liebe, auch die körperliche Liebe kennen. Als er sterbenskrank wird, opfert sie sich für ihn (so glaubt sie), in dem sie die Nachtseite der Sexualität auf Jans Wunsch hin auslebt und – für sie tödlich endenden – Sex mit anderen Männern hat.

David Bösch betrachtet von Triers emotionalen Horrortrip in seiner „Breaking The Waves“-Inszenierung am Samstag im Schauspielhaus Stuttgart von Außen. Er deutet an, da geschehen schlimme Dinge, aber er zeigt sie nicht. Und die Heldin soll kein Opfer sein. Tatsächlich beschleicht einen in Lars von Triers Werken immer wieder das Gefühl, ob nicht Voyeurismus und Sensationslust im Spiel sind, weil sie so sehr von der Faszination des Schreckens leben, von Gewalt, Sex, Religion, Macht. Die großen Frauenrollen sind immer auch schrecklich malträtierte Opferrollen.

Bösch entscheidet sich also, von Trier hierin nicht zu folgen. In seiner Version, die um eine halbe Stunde kürzer ist als der Film, zeigt er die expliziten Nacktszenen ebenso wenig wie den gewalttätigen Sex, die Vergewaltigungen. Auch der religiöse Aspekt spielt eine weniger zentrale Rolle. Zwar baut der Bühnenbildner (Falko Herold) eine Art Golgatha aus zertrümmerten steingrauen Kreuzen, wobei eines heil und aufrecht gen Bühnenhimmel ragt. Doch dass der ungläubige Jan am Ende des Films einer Art Wunder beiwohnt, das den Zuschauer einigermaßen befremdet, ist gestrichen. Bösch fügt seiner säkularisierten Fassung stattdessen Ironie, Humor, Menschenfreundlichkeit hinzu. Er konzentriert sich auf die große Liebesfähigkeit von Bess.

Maja Beckmann spielt das schreib- und leseschwache, übergute Mädchen überaus sympathisch. „Ulkig, nicht dumm“, so charakterisiert sie sich selbst, und so wirkt sie auch. Ihre Gespräche mit Gott, in denen sie beide Rollen übernimmt, sind deutlich lustiger als bei Emily Watson im Film. Auch kann man sich gut vorstellen, dass Jan diesen Wirbelwind unbedingt heiraten will. Wolfgang Michalek interpretiert Jan liebevoll, aber später in seiner Krankheit deutlich aggressiver als Stellan Skarsgård bei Lars von Trier.

Maja Beckmann hat der Figur eine Widerständigkeit und Stärke abgerungen, sie ist den anderen in ihrem Dorf weit voraus, die allesamt in ihren religiösen, ideologischen Strukturen gefangen sind. Sie weiß, anders als diese Gemeinschaft propagiert, ist das Zeigen von Gefühlen „keine Krankheit“, wie auch der Arzt (Matti Krause) Bess bestätigt. Und der ihr nebenbei vorführt, dass auch er Leidenschaften hat und zum Beispiel hervorragend twisten kann.

Das sind fabelhafte, charmante kleine Szenen. So auch, wenn Bess in Gummistiefeln umherstapft und über ihr Hochzeitskleid staunt: „Ich sehe aus wie eine Wolke“. Bösch gelingen Bilder mit Wow-Effekt. Bess zählt verzweifelt die Tage, bis ihr Jan von der Arbeit auf der Bohrinsel zurückkehrt, und die ganze Bühne wird per Videoprojektion zu einer Fläche von Abzählstrichen. Wenn die beiden miteinander telefonieren, baumeln zwei Telefonhörer von der Bühne herab, so bleibt die Distanz gewahrt und wird zugleich aufgehoben, weil Maja Beckmann und Wolfgang Michalek in einer zärtlichen Choreografie die Hörer vertauschend einander näherkommen.

Allerdings gelingt es Bösch kaum, die perfiden Machtstrukturen zu zeigen, denn jeder will Bess beeinflussen, über ihre Seele, ihren Leib bestimmen. In einem starken Moment ist immerhin diese latente Gewalt angedeutet. Robert Kuchenbuch als Pfarrer zaust Bess scheinbar freundlich das Haar, dabei droht jede Sekunde Asche seiner brennenden Zigarette auf ihren Kopf zu fallen.

Der Terror, dem Bess auf ihrem Leidensweg begegnet, lässt sich nur erahnen. Auch die Bess glücklich machende, sie befreiende sexuelle Erweckung ist ins Humorvolle, Kindliche gewendet: die Brautnacht – im Film eine Art Initiationsritus – wird zur heiteren Wasserschlacht, wenn Bess und Jan mit allerhand Verrenkungen und Wasserspielen vor einem Waschbecken zur Sache kommen, bis sie beide pitschnass sind.

Spielerisch feine Szenen sind zu sehen. Und doch geht Entscheidendes verloren. Regisseur David Bösch erspart dem Zuschauer in seiner von-Trier-Lightversion den großen Schrecken, den Ekel und den Horror, aber eben auch das Überwältigungsdrama, das überraschte Befremden auch vor dieser sehr besonderen Liebe. Lars von Triers Werk von seinem hartem Hyper-Realismus und der bisweilen bizarren Metaphysik, seinem Voyeurismus zu befreien erweist sich als freundliche, verständliche, politisch korrekte Geste. Eine vernünftelnde, protestantische Fassung eines dunklen Exzesses. Den alles überhöhenden Furor vermisst man dann aber doch empfindlich. Die heftigen Pendelausschläge von großer Leidenschaft und noch größerem Leid werden nivelliert. Es tröstet ein hervorragendes Ensemble, das dies zeigt: die Macht einer starken Liebe und einer starken Frau.

Die nächste Aufführung ist erst wieder am 19. Mai, da Maja Beckmann und Matti Krause mit der Produktion Vinterbergs „Das Fest“ in dieser Woche beim Berliner Theatertreffen gastieren. Weitere Termine: 31. Mai; 5., 10., 21. Juni; 1., 14. Juli