Raus aus dem Theater und unter Menschen, das war der Plan der Gruppe Monster Truck und des Theaters Rampe bei „Display! Sortiert euch!“: Stadtbewohner bekamen eine Bühne auf öffentlichen Plätzen und später auch im Theater selbst Foto: Florian Kraus/Rampe

Zwei Jahre lang haben das Stuttgarter Theater Rampe und das Theaterkollektiv Monster Truck im Rahmen des Förderprogramms Fonds Doppelpass zusammengearbeitet. Ein Ziel war die Mobilisierung des Hauses durch die freie Gruppe. Was bleibt nach zwei Spielzeiten Kooperation?

Stuttgart - Ein Monster Truck pflügt durch Stuttgarts Straßen. Er pflückt Bürger mit einem Greifarm aus dem Stadtbild und platziert sie auf einem Bühnenelement hinten auf der Ladefläche. Nach zwei Jahren parkt er in der Filderstraße 47 und lädt Bühne plus Bürger im Theater Rampe ab. Das Benzin für die Fahrt hatte der Fonds Doppelpass gesponsort.

So könnte eine Kinderfantasie zur Kooperation des Theaterkollektivs Monster Truck und des Theaters Rampe aussehen, wenn Intendantin Martina Grohmann erklärt: „Die Vorgabe der Doppelpass-Förderung ist es, die Strukturen der freien Szene und festen Häuser gegenseitig zu untersuchen und neue Arbeitsfelder zu erschließen. Unsere Idee war, dass Monster Truck das Theater Rampe mobilisiert. So, dass Monster Truck in der Stadt unterwegs ist, sie erforscht und sich fragt, wie man die Stadtgesellschaft wieder zurück ins Theater bringen kann.“

Auch wenn Monster Truck kein Gefährt ist, sondern das 2005 in Gießen gegründete Theaterkollektiv mit dem dreiköpfigen Kern aus Sahar Rahimi, Manuel Gerst und Ina Vera, ist eine freie Theatergruppe trotzdem mobiler als feste Institutionen wie Theaterhäuser. Die nomadische Freiheit ist nicht immer ein Vorteil. „Im freien Theater ist man viel unterwegs und muss sich immer neu justieren. An einen Ort zurückzukommen ermöglicht eine Entspannung, und Entspannung fördert Kreativität“, resümiert Sahar Rahimi. In Unterschieden wie diesem, zwischen freier Szene und festen Häusern, liegt laut dem Fonds Doppelpass das Potenzial zur Erforschung neuer Formen der Zusammenarbeit und künstlerischer Produktion.

Ein heterogener Bürgerquerschnitt im Foyer

Das finale Monster-Truck-Projekt „Display! Sortiert euch!“ im Juli kam der anfänglichen Idee der Mobilisierung erstaunlich nahe. Am Premierenabend beschlich einen beim Betrachten des Publikums das seltene Gefühl, es sei ein heterogener Bürgerquerschnitt im Foyer anwesend. Da waren Hells-Angels-Motorradrocker, Mitglieder des Hundevereins Fellnasen e.V. und „Bacardi“ von der Paulinenbrücke.

Über Plakate und im Internet hatten Monster Truck zuvor die Stuttgarter Stadtbevölkerung mit der Aktion „Sortiert euch“ dazu aufgerufen, sich Gruppen zuzuordnen, die scheinbar im Stadtbild unterrepräsentiert sind. Zur Auswahl standen beispielsweise Süchtige, Homosexuelle, Hundebesitzer, Hells Angels oder Depressive. Diese Gruppen saßen an den zwei letzten Juniwochenenden auf einer Tribüne für jeweils eine Stunde auf Marien- und Schlossplatz. Im Gegenzug winkten je einem Grüppling 1000 Euro Gewinnsumme und fünf Minuten Bühnenzeit. Aus diesen 12 x 5 Minuten entstand die Performance „Display“.

Nach der Vorstellung meint eine Zuschauerin, sie hoffe, dass niemand ihre Gedanken lesen könne, weil sie sich so sehr mit ihren eigenen Vorurteilen konfrontiert gefühlt hätte. Wer das erste Projekt „Dschingis Kahn“ gesehen hat, kennt dieses Gefühl vielleicht. In einer völkerschauähnlichen Performance hatten Monster Truck gemeinsam mit Menschen mit Down-Syndrom gesellschaftliche Vorurteile reinszeniert und so auf unangenehme Weise sichtbar gemacht.

Ein gemeinsames strukturelles Interesse an Theater

„Wir inszenieren Versuchsanordnungen, oft außerhalb einer Political Correctness. Der Zuschauer ist Teil des Systems und muss sich dazu verhalten“, sagt Rabea Kiel, die für „Display“ mit den Monster Truckern kooperiert. „Es ist genau der Raum der Kunst, der ungefährlich ist“, führt Sahar Rahimi fort. „Man kann heikle Überschreitungen im Theater machen, um sie nicht in der Realität zu machen. Ohne diese Überschreitungen bestätigen wir uns permanent selbst, und das kann es nicht sein.“

Die Kooperation auf die Mobilisierung von sozialem Engagement zu beschränken wäre verkürzt. Auch wenn die soziale Komponente oft in den Vordergrund rutscht, geht es bei der Zusammenarbeit viel um ein gemeinsames strukturelles Interesse an Theater. Was im Programm der Rampe die Suche nach zeitgenössischer Autorschaft ist, ist bei Monster Truck das Forschen nach neuen Spielmöglichkeiten abseits der klassischen Bühneninszenierung.

Neben „Display“ und „Dschingis Kahn“ ist auch das Projekt „Romeo und Julia“ gemeinsam mit den Stuttgarter Baubotanikern entstanden, das komplett mit pflanzlichen Akteuren im benachbarten Park auskam. Oder „Who’s there?“, eine Inszenierung, in der nur eine Stimme aus dem Off zum Zuschauer sprach. „Wenn man realisiert, wie viele verschiedene Wahrnehmungsmodi es gibt, ist Sprechtheater nur eine Form. Die ist vielleicht nicht adäquat für alle Inhalte“, sagt Sahar Rahimi. „Eine Erschütterung von bekannten Formen ist immer auch eine inhaltliche Aussage, wenn man im Theater nicht immer nur bestätigt, was gut ist und was böse, sondern tiefergehend fragt: Was ist überhaupt gut und böse?“

Um die Varianz solcher Theaterformen zeigen zu können, sind zwei Jahre im Rückblick ein angemessener Zeitrahmen, aber wie nachhaltig wirkt die gemeinsame Arbeit über den Förderzeitraum hinaus?

Der baubotanische Ansatz von „Romeo und Julia“ fließt in das nächstgeplante Projekt von Monster Truck ein. Und Rabea Kiel will ein Jahr lang mit einer Bürgerin von „Display“ zusammenarbeiten.

„Dass die Rampe nicht nur Produktionsstätte ist, wo beliebig angedockt wird, wäre der Idealfall. Gerade, wenn es um die Zusammenarbeit mit Menschen aus der Stadt geht,“ bemerkt Martina Grohmann und endet mit einem fast utopischen Gedanken: „Im Theater herrscht gerade das Denken, dass nach jedem Abschluss sofort das nächste innovativere Projekt folgen muss. Das kann mit Langzeitprojekten, die sich prozesshaft entwickeln, teilweise unterlaufen werden und ermöglicht einen anderen Erzählbogen jenseits dieser Schnelllebigkeit.“