Sandra Hüller als Unternehmensberaterin Ines in dem Film „Toni Erdmann“ Foto: dpa

Sandra Hüller beeindruckt zurzeit im Kino in „Toni Erdmann“ und ist vom 2. September an auch auf der Bühne der Ruhrtriennale zu erleben. Sie spiel in „Die Fremden“, inszeniert von Regisseur Johan Simons. Vorher spannt sie noch auf dem Land in der Uckermark aus, findet aber auch noch Zeit, um über ihre Arbeit zu sprechen.

Stuttgart -

Sandra Hüller ist zurzeit schwer erreichbar – Urlaub in der Uckermark. Auch wenn der Handy-Empfang mal wackelt: die Schauspielerin findet klare Worte für ihre Theaterarbeit bei der Ruhrtriennale und den Film „Toni Erdmann“.
Frau Hüller, Sie stehen gleich zweimal auf der Besetzungsliste in Johan Simons Inszenierung der „Fremden“. Haben Sie, seit Sie die Münchner Kammerspiele verlassen haben, besonders viel Lust aufs Spielen?
Die Kammerspiele sind meine künstlerische Heimat gewesen, das hat mit Johan Simons’ sehr liberaler Arbeitsweise und seinem Vertrauen zu tun. Ich mag, dass er mit einem heterogenen Ensemble umgehen kann. Er lässt die Leute immer da, wo sie sind, er wertet das nicht. Ich vermisse das Ensemble extrem, und es ist schön, einige Kollegen aus München wiederzusehen, es ist ein großes Fest. Was die Figuren betrifft: Wir alle spielen die Hauptfigur Haroun, es gibt aber auch noch zwei Frauenrollen, die spielen Elsie de Brauw und ich. Ich spiele die Geliebte von Haroun, Meriem.
Es wird in diesen Tagen viel gestritten über Terror und Fremde. Kommt das Theater hinterher in seinem Aktualitätsanspruch?
Dafür ist das Theater eigentlich zu langsam, aber natürlich ist es toll, dass wir mit „Der Fall Meursault – eine Gegendarstellung“ von Kamel Daoud mit einem aktuellen Stoff umgehen, wobei Tagesaktuelles eher visuell, in Form von Videos eingebracht wird. Wir halten uns an den Roman , bringen aber auch Fremdtexte ein, dafür ist das Dramaturgenteam bekannt – oder berüchtigt. Simons’ Arbeiten gehen aber immer über das Aktuelle hinaus, sie finden auf einer anderen Ebene statt, sie befragen das Menschsein, sind universeller.
Kamel Daoud rechnet mit dem Kolonialismus ab und mit Religion. Er wurde für seine Islamkritik angegriffen und als antihumanistisch bezeichnet. Ist das nachvollziehbar?
Kritik an jeder Sache, die sich als einzig gültige geniert, finde ich richtig.
In einem Video auf der Homepage der Ruhrtriennale sprechen Sie mit Johan Simons über die Flüchtlingssituation und darüber, ob alle Menschen die gleichen Möglichkeiten haben sollten. Er bezeichnet sich selbst, aber auch Sie als idealistisch. Stimmen Sie zu?
Naja, ohne eine klitzekleine Idee, dass eine Situation sich Stück für Stück verbessert, wie sollte man da überhaupt weitermachen? Man muss daran arbeiten, dass der Umgang mit Flüchtlingen, mit Migranten selbstverständlicher wird und dass wir miteinander reden. Das ist vielleicht idealistisch und das wird jetzt sicher wieder eine Überschrift: aber ist das Gegenteil des Zynikers vielleicht der Zweckoptimist?
Vielleicht. Wenn Sie spielen, hat man aber vor allem immer den Eindruck, dass nur wenig Sie schocken kann. Woher kommt das? In einem Interview sagten Sie, Sie hätten den Mauerfall als Schock erlebt, als Ende der Kindheit. Bewirkt so ein Erlebnis Gelassenheit?
Da kamen schon ein paar Sachen hinterher, die schlimmer waren. Solch ein Ereignis prägt aber, weil man Systemen misstraut, wenn man erlebt, dass das, was als Wahrheit gilt, am nächsten Tag ungültig ist.
Spielorte bei der Ruhrtriennale sind oft stillgelegte Zechenhallen. Ist es traurig, dort zu spielen, wo viele Leute gearbeitet haben?
Ich komme aus einem sehr bodenständigen Haushalt und habe mich nie abseits der Arbeiterklasse gesehen. Das ist auch Handwerk, was wir machen.
Wie schwer war es, eine Figur wie die Unternehmensberaterin Ines in dem aktuellen Film „Toni Erdmann“ zu gestalten?
Ich fand das beängstigend, so jemand spielen zu sollen, weil sie so weit weg von mir war. Es war sauhart, man muss ja sehr viel vermeiden, etwa sie unsympathisch zu machen. Ich bin ein viel empathischerer, mitfühlenderer Mensch. Das zu unterdrücken, diesen Impuls der Freundlichkeit, das war schwer. Ich habe aber auch von Ines gelernt: man muss das nicht immer machen, man kann auch unsentimentaler sein.
Geht es Ihnen dennoch wie Ines, die in Rumänien arbeitet, aber abgeschottet ist und von ihrer Umgebung eigentlich nichts mitbekommt? Seit Sie das Münchner Ensemble verlassen haben, reisen Sie wie jetzt ins Ruhrgebiet, nach Zürich oder zu Filmsets.
Zwischen ihr und mir gibt es wenig Parallelen – außer dass sie etwas durchzieht, wenn sie muss. Ihr Umfeld ist kühler als meins. Wir sind im Theater anders miteinander verbunden. Ich mache Theater und Film nur mit Leuten, die ich kenne und mag.
Ein Schauspielkollege, Shenja Lacher, beklagte kürzlich in einem Interview auch kapitalistische Strukturen im Theater, es sei ausbeuterisch und neoliberal.
Ich bin gerade auf dem Land und habe davon nichts mitbekommen. Ich kann dazu also wenig sagen. Das Theater ist auch eine Firma und muss wirtschaftlich arbeiten. Aber man hat immer mehrere Möglichkeiten, damit umzugehen und zu sagen, dass man das nicht möchte. Man ist ja nicht gefesselt. Ich kann von mir behaupten, dass ich immer die Sachen gemacht habe, die ich wollte. Dafür nehme ich auch in Kauf, dass eine Weile nichts passiert.
Maren Ades Film „Toni „Erdmann“ wurde in Cannes bei den Festspielen ausgezeichnet. Gibt es jetzt auch fragwürdige Fernsehfilmangebote, bei denen höchstens Geld lockt?
Ich würde gern viel Geld verdienen, da hätte ich nichts dagegen! Es gibt auch keinen Plan, kein Fernsehen zu machen. Ich muss mich in ein Projekt verlieben, und das ist beim Fernsehen bisher selten passiert.
Neben Ihrer Whitney-Houston-Gesangseinlage rühmt man den Humor in diesem Film. Er speist sich auch durch peinliche Momente. Mögen Sie das?
Peinliche Momente mag ich gar nicht. Da bin ich hilflos. Im Film ist es toll, das auszuhalten. Peter Simonischek und ich haben uns noch viel länger schweigend gegenübergesessen als dann im Film zu sehen ist. Wir saßen eine Viertelstunde lang da, nachdem bei Ines das Geschäftsessen daneben gegangen ist und sie von sich und ihrem Beruf erzählen soll. Je mehr Zeit verstrich, desto klarer wurde die Situation. Dadurch, dass die beiden sich stumm einander aussetzen, wird das ganze Dilemma ihrer Beziehung deutlich.
In „Toni Erdmann“ fragt der Vater Winfried die Tochter Ines, ob sie glücklich ist. Sie antwortet nicht, aber vielleicht könnten Sie sagen: Was ist für Sie Glück?
Ein sehr großes Wort. (Leises Lachen). Ich glaube, Glück ist für mich, wenn ich an nichts anderes denke und einfach da bin.