Auf einen Kaffee mit Lokstoff-Schauspielerin Kathrin Hildebrand (rechts) Foto: Haar

Das Ensemble Lokstoff sammelt in der City Gedanken zum Thema Erben zur Vorbereitung aufs nächste Stück. Bei den Gesprächen mit Passanten kommen unterschiedliche Antworten, doch den meisten ist eines gemein.

Nach mir die Sintflut? Um Gottes Willen! Fast keiner will vergessen werden. Fast jeder will der Nachwelt etwas geben. Oder etwa nicht? Bei der älteren Dame mit Baskenmütze und dunkler Sonnenbrille scheint das nicht so zu sein. Sie ist im Krieg mit Gott, der Welt und den Menschen. Auf die harmlose Frage, ob man sie zu einem Plausch samt Kaffee auf die Parkbank auf dem Schlossplatz einladen dürfe, reagiert sie unfreundlich. Erst als Kathrin Hildebrand fragt, „warum sind Sie denn so unfreundlich?“, wendet sich das Blatt. Und als die Schauspielerin von Lokstoff, dem Stuttgarter Ensemble für Theater im öffentlichen Raum, die Aktion erklärt, wird die Rentnerin sogar handzahm. Die Vorstellung, dass sie Teil eines Stückes ist, vertreibt all ihren Zorn. Und auf die Frage „Was soll von Ihnen bleiben?“ wird sie sogar ein Mensch, der sich mit der Welt verbunden fühlt. Am Ende gibt sie zu, dass sie zutiefst enttäuscht sei. Eine Erbsache mit vielen Ungerechtigkeiten hat ihr offenbar den Glauben ans Gute geraubt.

Fast allen geht es nur um immaterielle Dinge – nicht ums Geld

Schade für die Frau, gut fürs Gespräch. Denn genau darum geht es. Ums Vererben. Ums Weitergeben. Was soll bleiben? Diese Frage stellt Hildebrandt an diesem Nachmittag noch mindestens einem Dutzend Passanten. Menschen aller Couleur, jeden Alters, jeder Herkunft. „Ich bin jedes Mal überrascht“, sagt sie nach diesem Experiment, „wie es fast allen nur um immaterielle Dinge geht, die sie hinterlassen wollen.“

Da ist das Paar, das sein Vermögen jetzt an die Kinder und Kindeskinder verteilt hat. Man wolle keinen Streit oder Stress, sondern vielmehr mit dieser Geste einen bleibenden Wert vermitteln: Großzügigkeit. Oder das Geben seliger als Nehmen ist.

Auch der aus Afghanistan geflüchtete Mann, dem jeder seine Armut ansieht, spricht nicht etwa von Wohlstand. Er wünscht sich für die Kinder in seiner Heimat gerechte Bildungschancen. „Bildung ist das Wichtigste, was Kinder brauchen“, sagt er, spricht erneut in sein Smartphone und lässt den Google-Übersetzer eine kleine Korrektur ausspucken: „Liebe und Frieden sind natürlich auch wichtig.“

Eine junge Studentin hat ganz andere Gedanken zum Thema Erbschaft. Im Gegensatz zu einem 84-Jährigen, der Traditionen weiterreichen will, wird ihr Vermächtnis an die Nachwelt nicht auf Anhieb klar: „Ich will dass später mal auch die Regeln, die wir weitergeben, kritisch hinterfragt werden. Ich will, dass man kritisch bleibt.“

Theater im Selfstorage – wo Dinge lagern, die nicht weg sollen

Alleine dieser Querschnitt an Menschen und Gedanken bestärkt Kathrin Hildebrand in ihrem Projekt. Sie und später das Publikum lernen von Menschen und deren Wünschen über sich selbst. Es ist eine große Reflexion über das Vermächtnis einer Kulturgesellschaft. Und schließlich mündet alles in die Kunst, die Schauspielkunst. Sie könne, so Hildebrandt, Trost geben und verbinden.

Konkret wird alles in dem Stück „Gestern.Morgen.Heute – Was soll bleiben?“ Und damit der Gegensatz von kulturellen Gütern zu Mammon und unbeweglichen Gütern noch klarer wird, hat Lokstoff den „MyPlace - SelfStorage“ in der Pragstraße 130 als Bühne gewählt. „Gegenüber der Wilhelma in Stuttgart verstecken sich hinter einer unscheinbaren, grauen Fassade 1150 Storageboxen auf sieben Geschossen. Eine Art kommerzieller Dachboden zum Aufbewahren. „Jede Box ist gefüllt mit Gegenständen, die Menschen zu viel bedeuten, um sie wegzugeben“, sagt die Schauspielerin, „jede Box ist gefüllt mit einer Geschichte.“ Lokstoff versuche, sich an diesem Ort voller Geschichten und sich dem Thema Erben in all seiner Komplexität anzunähern. „Das Erben verbindet uns mit der Vergangenheit und der Zukunft und hat dabei sehr unterschiedliche Dimensionen“, sagt Hildebrandt. Die Vielschichtigkeit des Themas spiegelt sich in einer Video- und Audio-Installation wieder. Text, Tanz, Musik und Bild begleiten das Publikum, während sich dieses in den Gängen des Lagers auf Entdeckungsreise begibt und schließlich fragt: „Was soll von mir bleiben?“

Termin Wer auch mit Kathrin Hildebrandt übers Erben plaudern will, hat dazu an diesem Donnerstag am Kunstmuseum ab 11.30 Uhr, am Freitag am Stadtpalais (16 Uhr) und am Samstag in der Tübinger Straßen beim Delphi-Kino (12 Uhr) die Möglichkeit. Die Premiere des Stückes ist am 28. Oktober.