Philipp Alfon Heitmann spielt den Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ den Beckmann Foto:  

Regisseur Winfried Alt inszeniert im Theater der Altstadt Stuttgart Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“

Das Mädchen (Kira Thomas) rutscht wie an einer Feuerwehrstange an Beckmann herunter. Dessen fragender Blick geht zur Decke. Da hämmert irgendwer mit Krücken auf dem Dach herum. „Was tust du hier?“, fragt der Einbeinige (Lou Bertalan), der Wahnvorstellung ist. Wie Beckmann selbst ist auch der Gehbehinderte ein aus dem Krieg Zurückgekehrter, auch seine Frau hat sich wie jene Beckmanns mittlerweile anderweitig umgeschaut.

Ein Frage in Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ lautet: was machen wir mit denen da draußen? Speziell mit denen, die für uns, zumindest für unsere Nation, den Schädel hinhalten? Wenn sie vom Himmelfahrtskommando Krieg zurückkommen, nach Jahren plötzlich wieder an die Tür klopfen, verkrüppelt und traumatisiert? Eine gewaltige Frage – aber das reicht dem Theater der Altstadt wohl nicht. Auch wachsende Abgestumpftheit der Gesellschaft thematisiert Regisseur Wilfried Alt. Eine der stärksten Szenen, wenn Philipp Alfons Heitmann als herrlich schnoddriger Beckmann „Musik aus!“ brüllt. Gerade erfuhr er, dass seine Eltern „sich selbst entnazifizierten“, also den Freitod wählten. Er geht zum Publikum, verlässt den abstrakten Bereich Bühne und erklärt: „Zwei Tote. Wer redet heute von zwei Toten! Ist natürlich ärgerlich, wenn es gerade deine Eltern sind. Aber zwei Tote, alte Leute? Schade um das Gas! Davon hätte man einen ganzen Monat kochen können.“ Worte als Provokation.

Ein Flachbildschirm zeigt uns Soldaten, die mit Schusswaffen hinter Mauern lauern und somit unsere eigentlich perfide Mediendistanz zu Schusswechseln an anderen Orten. Borchert starb am 20. November 1947 – einen Tag später staunten seine Zeitgenossen über die Uraufführung von „Draußen vor der Tür“. Im Stück hat er dem unwillkommenen Beckmann „den Anderen“ gegenübergestellt: Diesem Ja-Sager, diesem durch und durch ans Gute Glaubenden, illusionistisch gespielt von Stefan Müller-Doriat mit drei schwarzen Ballons am Rücken, gehen die Argumente aus. Keiner will einen Beckmann, kein Theaterdirektor (amüsant: Reinhold Weiser), kein Oberst (sein unangebrachtes Lachen ist ansteckend: Dietmar Kwoka). Und kämpfen Beckmann und der Andere, verschmelzen Heitmann und Müller-Doriat zur alltäglichen inneren Auseinandersetzung des Menschen: Resignation und Zynismus einerseits gegen Optimismus auf der anderen Seite. Kurz hat ihn der Optimist im Schwitzkasten, aber dann legt Beckmann ihn aufs Kreuz.

Und das Fragen nimmt kein Ende: wie kann der Theaterdirektor „eine mutige, nüchterne, revolutionäre Jugend“ mit einem Geist „wie Schiller, der mit 20 seine Räuber machte“ fordern – und gleichzeitig den Anfänger Beckmann unterbuttern: „Einen Anfänger bringen, das kann den Ruin bedeuten. Das Publikum will Namen!“

Bemerkenswert, wie Alts Inszenierung dem Zuschauer all diese Fragen aufruft. Man kennt sie ja, und eigentlich auch die Antwort. Doch Bequemlichkeit verhindert die Änderung der Missstände.

Karten und mehr Informationen unter: www.theater-der-altstadt.de