Foto: Theater/Sabine Haymann

Warum das Drama „Geliebter Lügner“ mit Susanne Heydenreich und Dirk Emmert im Stuttgarter Theater der Altstadt absolut sehenswert ist.

Stuttgart - George Bernard Shaw ist ein Schriftsteller, der die Welt als ein Stück weißes Papier begreift, das er beschreibt. Einer, der die Figuren in Stücken und die Menschen im Leben zu formen versucht – in diesem Sinne: „Ich will doch nichts weiter, als dass alles nach meinem Sinn geht.“

 

Das gilt auch für die gefeierte Diva des Theaters, Stella Patrick Campbell, der er Rollen auf den schönen Leib schreibt – was diese amüsiert mit den Worten annimmt: „Ich könnte Ihre Schlampe spielen.“ Worauf er sie bei den Proben zu „Pygmalion“ mächtig triezt. Er buchstabiert ihr jede Nuance des Dialekts des Blumenmädchens Eliza vor, bis sie „Kann ick doch nüscht dafür!“ so kokett nuschelt, wie er es wünscht. Auch wenn sie ihn dafür als Nervensäge beschimpft.

Briefwechsel von Shaw und Campbell

Das Ergebnis ist gleichwohl: ein Triumph. Das gilt sowohl für Shaw und Campbell als auch für jene, die Szenen aus dieser Künstlerbeziehung auf der Bühne des Stuttgarter Theaters der Altstadt verkörpern – Susanne Heydenreich und Dirk Emmert. Gespielt wird „Geliebter Lügner“, Jerome Kilty hat aus dem über 40 Jahre währenden Briefwechsel zwischen Shaw und Campbell ein kluges Kammerspiel gemacht. Es reflektiert ein angespanntes Arbeits- und Liebesverhältnis ebenso wie Fragen nach Politik und Krise, Kunst und Leben – die vielfach ineinander übergehen. Bei dem zweistündigen Abend stellt sich Bühnenzauber ohne überbordende Technik ein, Licht und Requisiten reichen aus, um Orts- und Zeitwechsel zu markieren. Der Regisseur Gerhard Weber vertraut auf jene Kunst, die diese Figuren beherrschten: Sprache und Schauspielkunst. Susanne Heydenreichs Diva schmollt aufs Schönste, als Emmerts Dichter fordert, sie solle sich für „Pygmalion“ einen guten Schauspieler suchen, der als Professor Higgins aus dem ordinären Mädchen eine feine Dame machen will. Sie wolle doch bitte schön „nicht ein Hammer ohne Amboss“ sein.

Gute Sparringspartner

Das wollte auch die Intendantin, die die Schauspielerin Susanne Heydenreich ja ebenso ist, nicht. Dirk Emmert überzeugt als sarkastischer Dichter mit Hang zum Narzissmus, gibt einen guten Sparringspartner für die grandiose Susanne Heydenreich ab. Sie interpretiert die Diva elegant und anrührend, flirtet, wütet, zeigt die Künstlerin im Übermut so überzeugend wie in Trauer und Einsamkeit.

Der bis zu Campbells Tod im Jahr 1940 dauernde Briefwechsel handelt auch von Schicksalsschlägen, vom Vergehen der Zeit. Die Diva muss erkennen, dass das Alter sie immer weiter von den großen Rollen entfernt. Auch dies ist ein Kommentar auf die sich bis heute kaum geänderte Theaterpraxis – Susanne Heydenreich spielt eine deutlich jüngere Schauspielerin, die selbst wiederum in „Pygmalion“ eine gut zwanzig Jahre jüngere Figur verkörpert hatte. Und all das gelingt hervorragend. Die Produktion zeigt, wichtiger als rigoroses Achten auf Quote von Alt, Jung, Geschlecht ist die Frage der künstlerischen Qualität.

Geliebter Lügner. Termine am 8.–12., 15.–19., 22., 23. Dezember im Theater der Altstadt in Stuttgart. Karten unter: 07 11 / 99 88 98 18.

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