Abschied vom Sturm und Drang: Die kalifornische Band Red Hot Chili Peppers Foto: Warner

Nach fünfjähriger Pause melden sich die Crossover-Rocker Red Hot Chili Peppers mit einem neuen Album zurück und klingen plötzlich wie eine Popgruppe – eine verdammt gute, würdevoll gereifte Popgruppe.

Stuttgart - Wie viel Pop verträgt eine Rockband? Wie viel Abschied vom Altvertrauten, wie viel Innovation in Relation zur Tradition? Wie radikal will/muss eine Erfolgsgruppe ihren Sound umbauen, um nicht auf der Stelle zu treten, redundant zu werden? Muss man’s überhaupt? Oder lässt man – zumal, wenn die Dinge bestens laufen – nicht einfach alles beim Alten? Auch bei den Red Hot Chili Peppers(RHCP) scheint zuletzt ein derartiger Fragenkatalog aufgelaufen zu sein. Die vielleicht letzte übriggebliebene, große „alternative“ Rockformation der vergangenen dreißig Jahre lässt auf ihrem neuen Album jedenfalls kaum Zweifel daran, dass sie nach einer langen Phase voller Funkrock, Sex und Magie zwar weiter gewohnt viel Amüsement zu haben gedenkt, zugleich aber einen leisen Abschied von ihren Sturm-und-Drang-Jahren einläutet.

Das Verblüffende dabei: Es macht verdammt viel Spaß, ihr bei diesem Denkprozess zuzuhören. Nichts Selbstquälerisches liegt über den 13 Songs dieses auch erst elften Albums in dreiunddreißig Karrierejahren, nichts klingt hier hart erarbeitet oder grüblerisch erdacht. „The Getaway“ heißt es, zu Deutsch: der Aufbruch, die Flucht. Und auf gewisse Art haben Sänger Anthony Kiedis, Bassist Michael „Flea“ Balzary, Schlagzeuger/Perkussionist Chad Smith und der aktuelle Saitenmann Josh Klinghoffer tatsächlich die Koffer gepackt. Zurück blieb nach 24 Erfolgsjahren der Stammproduzent Rick Rubin. Rubin, ein New Yorker Spezialist für mätzchenfreie „Old School“-Arbeiten und eine bisweilen fast archaische Soundsprache (und ein Zuhörer der Extraklasse), gab seinen Einstand bei den Peppers 1991 auf „Blood Sugar Sex Magic“, dem Opus magnum im RHCP-Werkkatalog, betreute fortan jedes der seither fünf weiteren Alben und agierte quasi im Status eines zusätzlichen Bandmitglieds.

Grenzgänge zwischen Kunst und Kommerz

Dass man nun Distanz zwischen sich und den großen Mentor und Übervater an den Reglern gelegt hat, sei allerdings keineswegs auf atmosphärische Störungen zurückzuführen, erklärt Bassist Flea, sondern falle in die Kategorie „Tapetenwechsel“. Rubins Job übernahm nun Brian „Danger Mouse“ Burton, der als Produzent (für die Black Keys, die Gorillaz oder Norah Jones) fast schon genauso viel Erfolg wie sein Vorgänger hat und sich anschickt, eine Art Rubin 2.0 zu werden. Für den klanglichen Feinschliff verantwortlich: der Brite Nigel Godrich, der bereits Acts wie Radiohead, U 2 und Paul McCartney auf ihren Grenzgängen zwischen Kunst und Kommerz begleitet hat.

Eine Hinwendung zum Pop also, nicht nur eine Personal-, sondern auch eine Richtungsentscheidung? Ganz so einfach liegen die Dinge nicht, denn einerseits durchlief der RHCP-Sound auch in der Ära Rubin schon einen Transformationsprozess von einem muskulösen, virilen Mix aus Funk und Punk hin zu einem facettenreicheren, Elemente von Psychedelic Rock bis Sing-along-Pop integrierenden Stil. Und andererseits bleiben sich die Red Hot Chili Peppers vollkommen treu. Nur wenige Sekunden genügen, und die Band hat sich über ihren akustischen Fingerabdruck identifiziert. Neben der zwischen Rap und Rock changierenden Stimme von Anthony Kiedis – der Wortsilben gewohnt unnachahmlich zwischen Gaumen und Lippe hin und her jongliert oder auch mal rüde abwürgt – ist es vor allem Flea Balzary, der wieder einmal die Sound-DNA definiert. Dessen XXL-Bass walzt sich mal mit der Statur eines Sumoringers durch die Arrangements, dann wieder tänzelt er so leichtfüßig umher wie ein Fechter über die Planche, bildet mal mit satt schmatzendem „Fummppp“ die Basis für funky Groves oder reißt mit überdrehten Soli Marke „Dump-dödeledömp-döp“ die Klangvorherrschaft an sich.

Die Verbindung von Spaß und Seriosität

Unauffälliger hingegen die Gitarrenklänge. Prägten in der Vergangenheit mit Dave Navarro und John Frusciante zwei ausgesprochene Saiten-Charismatiker mit scharfkantigen bis artistisch verzwirbelten Riffs den Sound, kultiviert seit 2010 deren Nachfolger Josh Klinghoffer einen gefälligeren, geschmeidigeren Stil, wenngleich er (etwa in „Goodbye Angels“) auch kräftig zupacken kann.

So viel also zur Tradition: Die Band spielt wie immer – und doch deutlich anders als gewohnt. Stärker noch als eine Sache wirklicher Innovationen (okay: in „Go Robot“ mischt sich fast discoartige Elektronik ins Klangbild, und generell gibt’s vermehrt Synthieschleifen, Streicher und in „The Hunter“ sogar eine einsam verhallte Trompete) ist diese modifizierte Gangart aber eine Frage der Haltung.

Der oft zappelige und Geschmacksgrenzen streifende, brachial-physische Auftritt von einst ist einem lässigen Schlendern gewichen, die Band musiziert heute über weite Strecken in einem entspannten „Wir sind dann mal weg“-Modus. „Funkrock ohne Rock“, denkt man manchmal – insbesondere im ersten Drittel des Albums, wo mit dem Titelsong „The Getaway“, „Dark Necessities“ und „The longest Wave“ gleich mehrere äußerst lässige Soundhybride zwischen klischeefreiem Pop, fein schimmernder Psychedelic und locker hingetupftem Funk warten.

Hübsch auch „Sick Love“, auf dem übrigens Elton John Klavier spielen soll – das aber so dezent tut, dass man schon die Klanglupe auspacken muss, um auch nur ansatzweise ein Piano, geschweige denn den Mann an den Tasten herauszuhören. Das furiose „Detroit“ und „This Ticonderoga“ rocken die Verhältnisse dann wieder etwas zurecht: Ja, die Chili Peppers können noch klare Kante. Mit „The Hunter“ und „Dreams of a Samurai“ biegt „The Getaway“ dann balladesk auf die Zielgerade – ein überraschend kunstvolles Finale eines Albums, das einen musikalischen Veränderungsprozess angenehm en passant durchdekliniert und Spaß mit Seriosität, bewährte Tugenden mit hinzugewonnener Stilsicherheit verbindet.