Seine Stimme ist sein Markenzeichen, aber ein einflussreicher Gitarrist ist er auch: Robert Smith, der Kopf von The Cure. Foto: Lichtgut/Verena Ecker

Robert Smith gelingt eine Quadratur des Kreises in der Schleyerhalle: Er bringt Punk-Attitüde, New-Wave­-Melancholie und bittersüße Pop-Seligkeit in einen Dreiklang – mit Songs aus 30 Jahren kreativen Schaffens.

Stuttgart - Eine echte Rockband steht da auf der Bühne am Sonntagabend, der englische Sänger, Gitarrist und Komponist Robert Smith inszeniert in der Stuttgarter Schleyerhalle ein denkwürdiges Konzert seiner Gruppe The Cure. Er streift er alle Phasen seiner Karriere, und die Darbietung wirkt durch und durch live und analog – auch bei Songs, deren Studio-Fassungen stark von der Produktionstechnik geprägt sind.

Selbst träumerische Stücke wie „In Between Days“ entfalten da immensen Druck, der balladeske „Lovesong“ wird durch die Wucht der Interpretation zum Zeugnis eines Getriebenen. „Want“ tobt als klanggewordene Feuerwalze durch die Halle, „Never Enough“ als elastische Glamrock-Nummer, „Prayers“ for Rain“ entfaltet gar Stadionrock-Qualitäten.

Ein Höhepunkt ist eine muntere Version von Smiths Post-Punk-Hymne „Boys Don’t Cry“ („Jungs weinen nicht“) von 1979, in der er auch als 57-Jähriger noch glaubwürdig das Gefühlschaos eines selbstverschuldeten Liebeskummers auf den Punkt bringt. Viele im Publikum sind um die 50, haben einst mit Hilfe der Musik von The Cure verquere Teenager-Jahre durchgestanden, und sind nun gekommen, um ein bisschen in Nostalgie zu schwelgen. Dabei wirkt das Repertoire, wie die Band es darbietet, kein bisschen abgestanden, sondern universell und zeitlos.

Melancholie und Glück liegen nah beieinander

Smith gehört zu den großen Protagonisten der schwarzen Pop-Romantik – und zur allmählich aussterbenden Gattung völlig eingeständiger Pop-Künstler, die große Hallen nicht nur ausverkaufen, sondern auch mit Inhalt füllen können.

Standesgemäß tritt er ganz in schwarz auf, seine wirre Mähne erscheint wilder denn je, Smiths wichtigstes Markenzeichen aber ist sein klagendes Organ. Dessen Klang allein erzeugt eine Aura von Melancholie und Weltschmerz, die auch fröhlichen Cure-Songs wie dem heftig bejubelten Sonnenscheinchen „Friday I’m in Love“ anhaftet – was freilich nur funktioniert, weil die romantische, nie endende Hoffnung auf Glück immer mitschwingt.

Daran hat sich nichts geändert, wohl aber an Smiths Stimmbändern, die nicht mehr alle Spitzen meistern: Bei „The Lovecats“ etwa weicht er stellenweise in eine tiefere Lage aus, doch das Publikum unterstützt ihn beim Refrain und scattet eifrig mit.

Bassist Simon Gallup verkörpert den Punk-Aspekt

Weil seine Stimme so markant ist, unterschätzen viele die Bedeutung von Smiths Ryhtmusgitarrenspiel, mit dem er Indie- und Gothic-Rock gleichermaßen beeinflusst hat. Meistens fährt er an diesem Konzertabend einen ordentlich angezerrten Sound und legt immer wieder mächtige Riffs vor wie bei „The Hungry Ghost“.

Ein großer Showman ist Smith nicht, in dieser Hinsicht verlässt er sich ganz auf seinen Bassisten Simon Gallup, mit kurzer Unterbrechung seit 1980 bei The Cure. Der trägt sein Instrument auf Schritthöhe und ein T-Shirt der aus dem Punk-Kontext aufgestiegenen Metaller Iron Maiden, er ist permanent in Bewegung, wirbelt über die Bühne, zeigt mit offensiver Körpersprache Punkrockposen, steigt auf Monitorboxen.

Vor allem aber gibt er Musik den entscheidenden Energie-Impuls: Mit einem für den Punk charakteristischen, raunzenden Basssound lässt er nie auch nur für einen Moment nach in dem Bestreben, den Sound vor sich herzutreiben – bloß keine Behäbigkeit aufkommen lassen, das scheint Gallups Motto zu sein.

The Cure spielen jeden Abend ein anderes Set

Dabei harmoniert er gut mit Jason Cooper, seit 1995 bei The Cure. Der ist kein kantiger Drummer mit stoischem Gestus wie das 1989 ausgestiegene Original Lol Tolhurst, sondern einer, der alles spielen kann. Geschmeidig verbindet Cooper die vielen musikalischen Sphären, die dieser Konzertabend zu bieten hat. Keyboarder Roger O’Donnell ist dafür zuständig, mit vollen Händen die Synthesizer-Zuckerwatte der 1980er in die Halle auszuwerfen, der zweite Gitarrist Reeves Gabrels entlastet Smith vor allem mit Verzierungen und Solo-Passagen.

The Cure erinnern in dieser Form daran, dass Live-Musik, wie der Name nahelegt, eine lebendige Kunstform ist. Nichts ist da zu spüren von eingeschliffener Routine oder dem reinen Abspulen eines Programms – Smith und Kollegen spielen bei dieser Europa-Tournee jeden Abend ein anderes Set, variieren munter Songs und Reihenfolge. Das ist im Pop-Betrieb längst keine Selbstverständlichkeit mehr, allzu oft erscheinen große Konzerte von vorne bis hinten durchgetaktet ohne jeglichen Spielraum.

Die Lautstärke ist höher als sie sein müsste

Auch die flankierenden Show-Elemente sind bei The Cure mit Bedacht auf die Darbietung hin choreografiert. Projektionen und eine prächtige Lichtbatterie akzentuieren geschmackvoll, sie setzen die Musiker in Szene, überstrahlen sie aber nicht. Die farblich gut abgestimmten Strahler bilden Muster, Reihen und Fächer, und beim sanften Grusel-Hit „Lullaby“ setzt sich das Spinnenetz auf der Leinwand in kreuz und quer gestaffelten Lichtfingern im Raum fort. Mal dreht sich hinter der Bühne ein bunt angestrhaltes Riesenrad, mal vollzieht sich dort ein stilisierter Funkenflug – so wird eine Live-Show zum Gesamtkunstwerk.

Allein die Lautstärke ist höher, als sie sein müsste, und fordert auf Dauer die Ohren. Im reichen Programm fehlen nur einige frühe Meisterwerke: Das Opportunisten-Bashing in „Jumping Someone Else’s Train“, die Sehnsucht nach echter Liebe in „Plastic Passion“ oder „Killing an Arab“, Smiths Schlaglicht auf Albert Camus’ „Étranger“.

Dafür gibt es wuchtige Versionen von „A Forrest“ und „Let’s go to Bed“, die sich wie der ganze Konzertabend gut auf einem Live-Album machen würden. Die 12 000 jubeln und applaudieren begeistert. Zufrieden und ein wenig erschöpft verlassen sie nach gut zweieinhalb Stunden die Schleyerhalle, ein wenig benommen von der Dröhnung – und beseelt von der Erinnerung daran, wie schön es sein kann, an der Welt zu leiden.